2017: Ulrich Zwingli in Ranft
21. März – Es ist nicht nur kalendarischer Frühlingsanfang; das Datum erinnert uns daran, dass 2017 auch Hoffnung auf einen ökumenischen Frühling besteht: Bruder Klaus und Ulrich Zwingli begegnen sich zum ersten Mal – an Niklaus‘ Geburtstag, denn dieser feiert gleich das ganze Jahr seinen 600.
2017 – ein Supergedenkjahr
Wenn ich es mir recht überlege, ist dieser Geburtstag eigentlich nicht selbstverständlich. Warum, fragen Sie? – Sie haben vermutlich wie ich genau einen Geburtstag, und der ist in der Regel bekannt. Ein Heiliger, eine Heilige – und ob man das wird, hat man kaum selber in der Hand – hat aber deren zwei: Das Leben eines Heiligen beginnt in der Regel mit dessen biografischem Tod. Niklaus von Flüe stirbt in Ranft am 21. März 1487. Da aber der 21. März bereits von einem anderen katholischen Schwergewicht besetzt war, nämlich Benedikt von Nursia, wurde anlässlich von Niklaus‘ Heiligsprechung im Jahr 1947 der 25. September als Gedenktag festgelegt. Voilà.
Langer Rede kurzer Sinn: Wir feiern 2017, nicht 2087, und damit den Geburtstag des Menschen Niklaus von Flüe, der zu den wirkungsmächtigsten Figuren unseres Landes gehört und dieses weit über seinen Tod hinaus geprägt hat. Verschiedene Publikationen, Reflexionen in Kirche, Wissenschaft und Politik sowie Veranstaltungen tragen dem landauf landab Rechnung. Bereits sind aber auch Diskussionen um die «Verwendung» der Figur, insbesondere die politische, entfacht, die an altbekannte Kontroversen und Vereinnahmungen erinnern.
2017, nicht nur ein Superwahljahr, sondern auch ein Supergedenkjahr, ist bekanntlich auch das Jahr des Reformationsgedenkens. Und diebezüglich geschieht in der Schweiz bereits Historisches: Während in Deutschland Martin Luther im Rampenlicht steht, möchte man sich hierzulande bewusst, losgelöst von Personenkulten, vor allem mit der Wirkung der Reformation auseinandersetzen. Zum ersten Mal raufen sich also die Kantone und ihre Kantonalkirchen mit ihren je eigenen Terminen und Reformatoren zusammen, ein gemeinsames Gedenken zu veranstalten und nach der Bedeutung und Kraft einer Bewegung für das Heute zu fragen.
Die Reformation gehört nicht der Kirche allein
Nicht nur kirchlich. Die Reformation gehört nicht der Kirche allein. Wir werden uns über die ganze Tragweite der Bewegung klar: Die Reformation, eines der wichtigsten Ereignisse der europäischen Geschichte, hat geistig, kulturell, politisch, wirtschaftlich und sozial die Welt verändert und geprägt. Auch die katholische Kirche hat sich im Zuge der Ereignisse bewegt und tut es immer noch. Das Reformationsjubiläum wird in der Schweiz darum auch betont versöhnlich und ökumenisch angegangen.
Analog zum Reformationsjubiläum bzw. Reformationsgedenken gehört Bruder Klaus, gerade als Volksheiliger, der er schon lange vor seiner Kanonisierung war, nicht den Kirchen und schon gar nicht den Konfessionen allein. Trotzdem: Die bewusste Hinwendung zum Menschen Niklaus von Flüe eröffnet insbesondere auch Chancen zur überkonfessionellen Betrachtung und damit auch zur Suche nach der gemeinsamen Mitte im Jahr des Reformationsjubiläums.
Die gemeinsame Mitte liegt in der Hinwendung zu Christus. Aber auch sonst werde ich als Beauftragter für das Reformationsjubiläum, der mit Bruder Klaus so gar nicht gerechnet hat, neuerdings immer wieder gefragt, was Bruder Klaus und die Reformatoren eint, wo sind sie sich ähnlich, was trennt sie? Hier ein paar mögliche Antworten:
Zivilreligiöse Funktion
Die Reformatoren und die Reformierten haben eine hohe Wertschätzung gegenüber dieser Figur zum Ausdruck gebracht und dabei natürlich die Gemeinsamkeiten betont. Man konnte ihn als Vorbild für einen guten Christen und letztlich als rechtschaffenen Bürger und Patrioten loben. Er fand den Zugang zu Gott ohne die vermittelnde Funktion der Kirche. Zur Erinnerung: Wie der Volksheilige Franziskus in Italien, auf den sich der aktuelle Papst mit Namen und Wirken bezieht, ist Niklaus kein Mann der Kirche gewesen.
Wichtig scheint mir die sozialethische Komponente, indem Niklaus wie Zwingli den Gemeinnutz vor dem Eigennutz betont. Politisch macht er sich nach eigener Erfahrung eines unheiligen Lebens gegen das Söldnerwesen stark, wird für seine Mediator- und Vermittlungsfunktion geschätzt. Niklaus nimmt also gewissermassen zivilreligiöse Funktionen ein.
Unterschiedliche Wirkungsweisen
Interessant ist, dass Zwingli sich immer wieder auf ihn bezieht. Einer der ersten Biografen, Heinrich Wölfli, war auch Zwinglis Lehrer. Ob man Niklaus von Flüe auch als vorreformatorische Figur sehen kann, sogar dass der eine auf den anderen hinweist, das lässt sich so nicht einfach sagen. Wir haben ja nicht Johannes den Täufer und Christus vor uns. Aber interessant ist darum auch die unterschiedliche Wirkungsweise eben dieser beiden: Während der eine aktiv als Revolutionär in die Welt hinausgeht, verlässt der andere ebendiese und zieht sich ganz in die Innerlichkeit zurück, wirkt durch die Ruhe. Zwingli entwickelte sein Denken wohl in Einsiedeln, Niklaus als Nichtgeistlicher in der Einsiedelei. Zwingli ist der Denker, Niklaus der Mystiker. Beide aber waren nicht weltfremd, sondern wurden stets um Rat gefragt. Doch entsagt Niklaus den Waffen, während Zwingli schliesslich doch noch das Schwert zückt, um die von ihm gespaltene Umwelt zu einen. Beide haben auf ihre Weise die Schweiz geprägt und sie zu dem gemacht, was sie heute ist, aber beide wurden auf allen Seiten in der Wirkungsgeschichte gebraucht und missbraucht – und da braucht es wiederum unsere wachsamen Augen.
Wachsamkeit
2017 begegnen sich am Reformationsjubiläum Zwingli und Bruder Klaus: Das eröffnet Chancen, diese beiden so unterschiedlich wirkenden Figuren ins Gespräch zu bringen und nach dem Gemeinsamen zu befragen. Aber auch ohne diese Personen war von Anfang an klar, dass das Jubiläum auch ein Gedenken – inklusive aller Schattenseiten – sein soll. Wir feiern nicht Kirchenspaltung oder Geburtstag einer neuen Kirche, vielmehr sollten wir uns – neben dem Respekt vor dem Trennenden – unserer gemeinsamen Verantwortung bewusst werden. Dabei helfen uns vielleicht die beiden eidgenössischen Unzeitgenossen.
Zum Beispiel, dass es keine Freiheit ohne Voraussetzungen gibt. Sie verkommt zur Floskel, wenn eine Gesellschaft ihre soziale Verantwortung, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit, nicht breit wahrnimmt und auf diese achtet. Und: Wir brauchen mündige und wache Bürgerinnen und Bürger, Mut zu mehr Masshalten und Antworten auf die Frage, was Arbeit und Lohn heute etwa bedeuten. Die Reformatoren haben uns zum kritischen Denken aufgefordert. Sie haben uns das Prophetische Wächteramt ans Herz gelegt. Es braucht mehr Verinnerlichung dieser Prinzipien, gerade wenn so oft von christlichen Werten die Rede ist – mehr Ranft für alle.
Andreas Schneiter
Gepostet um 19:47 Uhr, 21. MärzZu diesem interessanten Beitrag eine Frage:
Hat Zwingli Bruder Klaus in irgendeiner Form rezipiert?
Gibt es überlieferte Gedanken / Meinungen des Denkers über den Mystiker?
Michael Mente
Gepostet um 09:51 Uhr, 22. MärzSehr geehrter Herr Schneiter
Ja, Zwingli erwähnte Niklaus immer wieder; die Reformatoren waren ja die Fortführer (oder Wiederentdecker) des „alten Glaubens“ – und da gehören auch Figuren wie Niklaus dazu, die dann in einem anderen Sinn zu Heiligen werden. Er galt ihm als guter Christ und Beispiel, berief sich in verschiedenen Predigten und Schriften immer wieder auf ihn. Insbesondere sind natürlich Themen wie der Eigennutz (Zwingli wollte die Einheit der Eidgenossenschaft) und das Söldnerwesen im Vordergrund. Die Innerschweizer begehrten da natürlich auf, wenn ihnen Zwingli den Klaus als Fürsprecher wider Reisläuferei und Pensionenwesen „um die Ohren schlug“. Bullinger folgte Zwingli in der Sicht auf Klaus als Glaubenszeugen. Das in aller Kürze, was ich Ihnen gerne zur Antwort geben möchte. – Wie allerdings die Mystik Niklaus von Zwingli – wenn überhaupt – rezipiert, thematisiert und beurteilt worden ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich meine, dass der unmittelbare Gotteszugang hier durchaus Anknüpfungspunkte ermöglichten. Niklaus war nicht gebildet, kein Mann der Kirche und hat ein sehr glaubwürdiges Auftreten vermittelt. Die erzählten Visionen vermitteln ja auch viel Stoff, den die Reformatoren vertraten, wenn ich zum Beispiel an die berühmteste, die Brunnenvision, denke. – Vielleicht noch ein Buchtipp an diesr Stelle, frisch im TVZ-Verlag erschienen: http://www.tvz-verlag.ch/index.php?id=72&tx_commerce_pi1%5BshowUid%5D=160712 – Ich hoffe, das hilft fürs Erste weiter. Vielen Dank für Ihre anregende Frage!
Anonymous
Gepostet um 03:34 Uhr, 27. Maider mensch muss seine angst ueberwinden undwissen, dass alles einen sinn hat.
Josef Lang
Gepostet um 10:04 Uhr, 22. MärzSehr geehrter Herr Schneiter Zwingli hat Bruder Klaus stark rezipiert – wie es übrigens auch Bullinger, Vadian und andere Reformatoren taten. Zwinglis Lateinlehrer in Bern, Heinrich Wölflin, arbeitete ab 1497 im Auftrag der Obwaldner Regierung an der ersten offiziellen Bruder-Klaus-Biographie. Zwingli sass damit als Jugendlicher an der Quelle, aus der er sein (kurzes) Leben lang geschöpft hat. In meinem Referat in der Zuger City-Kirche am 1. April 10.30 Uhr zum Thema: „‚Nimm alles von mir, was mich hindert zu Dir.‘ Was Bruder Klaus und die Reformation verbindet“ werde ich auf die Bedeutung des Ranfteremiten für den Zürcher Reformator eingehen.
Michael Mente
Gepostet um 10:53 Uhr, 22. MärzVielen Dank, Herr Lang, für Bestätigung und Ergänzung. Auf Ihre Ausführungen bin ich sehr gespannt!
michael vogt
Gepostet um 23:37 Uhr, 21. Märzals ich einst nach vier tagen meine wohnung wieder verliess, überfiel mich eine sonst gäbige hausnachbarin mit den worten: „das ist doch blödsinn, so lange in der wohnung zu bleiben!“ „ja“, sagte ich, und dachte: „der lautere sinn des lebens hat sich mir offenbart.“ blöd heisst unverhüllt. zwar war ich gut drauf, aber der überfall schon etwas heavy. zugleich kam mir aber auch unterstützung aus ranft zu: niklaus von flüe soll, wohl im hohen alter, gesagt haben, er verlasse seine klause nur nachts, damit die leute nicht angst zu haben bräuchten vor ihm wegen seines aussehens. nun, angst haben weder sie vor mir noch ich vor ihnen. aber die psycho-anschauungen sind es, die einem das leben erschweren können: dass man jede sekunde unter den leuten sein müsse oder sonst wenigstens fernsehen. . . und dann immer sogleich „wie geht es?“ – obschon das doch besser leicht unterhalb der bewusstseinsschwelle bleibt.
ohne
wie geht es?
geht es
besser
jedenfalls bei mir
doch jedem tier
sein pläsir
im wehen von ha ruah aus ranft lässt sich das besser überstehen
Anonymous
Gepostet um 10:27 Uhr, 22. Märzdas koan ich gut ver-stehen!
Andreas Schneiter
Gepostet um 08:58 Uhr, 24. MärzLieber Herr Mente und Herr Lang,
Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
Zwingli hat den Mystiker also geachtet – auch wenn für den Reformator die Mystik wohl Fremdland blieb.
Das ist beachtenswert.