600 Jahre Reformation

Nein, es ist kein Tippfehler. Das brandneue Game „{re}format Z:“ spielt im Jahr 2117 und erinnert sich zurück an unsere Zeit. In der Stadt Zürich des 22. Jahrhunderts herrscht ein Datenkonzern namens LIBRIA über alles und bietet von Gesundheitsförderung, über Nahrung und Bekleidung bis hin zur Sicherheit alles an. Die Spielemacher von Blindflug Studios stellen die Limmatstadt realitätsnah, aber doch auch dunkel und bedrohlich dar. Denn LIBRIA hat sich zu einem alles dominierenden System entwickelt, welches unter dem Vorwand eine optimale Sicherheit zu garantieren, die Menschen unterdrückt.

Die Heldin Alice kommt ins Spiel, nachdem sie versucht hat, sich ins zentrale Rechensystem von LIBRIA einzuhacken. Gleich zu Beginn wird man von einer Widerstandsgruppe kontaktiert, durch welche man erfährt, dass Alice‘ Freunde von LIBRIA zu Terroristen erklärt und gefangen genommen wurden. So beginnt die sechs Levels lange Reise durch den Distrikt ND, wie das Niederdörfli im Spiel heisst. Das Quartier im Zürcher Stadtzentrum ist weitgehend verlassen, da die meisten Rechenzentren in ehemaligen Kirchen gebaut wurden und rund um den Hauptrechner im Grossmünster eine Sperrzone liegt. So streift man durch vertraute Strassenzüge und erkennt das eine oder andere jetzige Geschäft oder Restaurant wieder.

Das Spiel überzeugt durch ein einfaches Gameplay, bei dem sich Alice ohne aufzufallen durch die Zürcher Altstadt schleichen muss. Überall lauern Kameras und Drohnen sowie gelegentlich patrouillierende Wachen. Alice muss stets ausweichen und sich verstecken, da das Spiel keinen Kampfmodus beinhaltet. Die attraktiv gestalteten Levels sind trickreich, aber auch für Spielende mit ein wenig Fleiss und Ausdauer gut zu lösen.

Nach ungefähr drei Stunden war ich mit dem Spiel durch und hatte alle Datenfragmente gesammelt. Dank diesen erfährt Alice und damit die spielende Person, was es vor 600 Jahren mit der Reformation auf sich hatte. Diese wird analog zu Alice‘ Kampf gegen LIBRIA als Befreiungskampf der Reformatoren gegen die übermächtige katholische Kirche dargestellt. Durch die Fragmente können kurze Lückentexte über die Reformation ausgefüllt werden, sodass man nebenbei spielerisch noch eine gute Übersicht über die Reformationszeit gewinnt, ohne dass das Game zur Lernsoftware verkommen würde. Kurze gesprochene Infosequenzen ergänzen die Texte. Dabei sei ein Highlight bereits verraten: die Synchronisation aller Dialoge auf Züritütsch ist grandios! Endlich einmal eine realistische Spielfigur, welche in Mundart das Spielgeschehen kommentiert.

Ein Wermutstropfen bleibt jedoch – das Spiel harzt manchmal grafisch und hat noch kleinere Fehler, welche den schnellen Fortschritt behindern. Da hoffe ich auf ein rasches Update der Entwickler, sodass sich das Spiel vom Geheimtipp zum Massenprodukt entwickeln kann und auf spielerische Art die Reformation den nächsten Generationen vermittelt. Das Spiel eignet sich aus meiner Sicht aber nicht nur für Jugendliche, denn die dystopische Darstellung eines technologischen Totalitarismus bringt auch Erwachsenen zum Nachdenken. Und dies sogar doppelt, einerseits über die Errungenschaften der Reformation und andererseits über deren Bedeutung in unserer Gegenwart. Zusammengefasst ist es eine wirklich starke Produktion, welche ästhetisch überzeugt, spielerisch unterhält und nachhaltig zum Denken anregt. Das Spiel ist übrigens kostenlos und auf Google Play und im App Store von Apple zum Download bereit. Es lohnt sich!

Links zum Thema:

Zum Spiel:
https://www.blindflugstudios.com/our-games/reformat-z/

Zum Download bei Google Play und im AppStore:
http://www.reformatzgame.ch/

 

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1Kommentar
  • michael vogt
    Gepostet um 07:14 Uhr, 22. November

    bemerkenswert der futuristische aufbau auf dem grossmünster, der kontrast zum sandstein. dass digitalisierung auch ein anderes licht bedeutet, kam in meinem erfahrungsbereich am gestrigen digitalisierungstag nicht zur sprache – obschon es sich doch fragt, wie die menschheit sich unter dem steten einfluss solchen lichts entwickeln wird. bei mir werden als werbung teishos (darbringungen, vorträge) von pater lassalle eingeblendet, des erbauers der weltfriedenskirche von hiroshima, des genies unter den westlichen zen-meistern. ist unter dieser beleuchtung noch echte erleuchtung möglich? die digitalisierung lässt sich nicht aufhalten, aber man kann sich so oder so dazu verhalten. „il sole nella pioggia“ (die sonne im regen) sang die italienische cantatrice alice 1989, als sie auch in unserem land war. schade, dass 600 „kein tippfehler“ ist, assoziation wäre hier reformation der reformation. ich game nicht. danke für den einblick.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Weltfriedenskirche_(Hiroshima) > bild
    https://www.youtube.com/watch?v=-LG_Wx0Z-V4 (besser als das eigeblendete)

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