Das Böse in deiner Mitte. Ein sehr ernster Versuch
Heute lachen wir meist über Hexen, Teufel und Dämonen, und doch fragt man sich, was eigentlich das Böse ist. Im Folgenden möchte ich argumentieren, dass das Böse sehr real und in unserer Mitte ist, nur unter anderen Namen zu finden, vielleicht sogar einfach besser versteckt. Das ist natürlich irgendwie negativ, und deswegen versuche ich ein positives Ende zu finden, deswegen ist das Ganze auch einiges länger als gewohnt.
Haben Sie diese Aussage mal gehört? „Der ist nicht echt“, „das ist eine falsche Frau, eine Hexe“? Noch heute gebrauchen wir diese überkommenen Ausdrücke durchaus des Öfteren im Alltag. Vielleicht glauben wir nicht mehr an den „bösen Blick“, aber vielleicht ist an all diesen altertümlichen Ausdrücken etwas dran, einfach weil sie auf Lebensweisheiten beruhen. Mir jedenfalls sind schon mehrfach im Leben solche Menschen begegnet, einflussreich oder auch nicht so bedeutsam, aber bekannt, bei denen war mir irgendwie Unwohl zumute. Und trotzdem machten sie doch einen guten Eindruck und man freundete sich sozusagen an. Wäre vielleicht doch lieber irgendwie auf Abstand geblieben, aber sie hatten nun wirklich einen guten Ruf, waren gar bedeutsam oder doch zumindest anerkannt, manchmal doch einfach hilfsbedürftig, die armen Seelen.
Nur irgendwann dann, eines Tages, wurde mir bewusst: das ist die Kategorie Menschen, die zwar von Außen sind wie – kann man sagen „wir“?, oft sind sie sogar gutaussehend, biologisch ist anscheinend alles ok, Ihnen fehlt aber irgendetwas: als erste Annäherung würde ich sagen, ein Gewissen. Ein Interesse am Anderen. So etwas wie Empathie. Dabei wissen Sie schon sehr gut, sich auf andere einzustellen, sind wahrhaftige Meister dieser Disziplin, ihr Interesse dabei ist jedoch gerade nicht der Andere, sondern der gute Eindruck, den sie dabei selber machen und schaffen, und der ablenkt vom eigentlichen Problem. Das zu verstecken, das haben sie schon früh gelernt, doch Sozialisation ist für sie leider allein ein Werkzeug zum Zweck: des eigenen Erfolgs im Leben. Hervorragende Schauspieler sind es selbstverständlich auch, und sie haben meist eine sehr simple Masche, die zieht.
Worum geht es dem Bösen?
Es sind, so stellt man dann bestürzt und meist zu spät fest, Menschen, die kümmern sich eigentlich nur um sich. Die gieren nach Geld, Anerkennung oder konsumieren gern auch „höhere“ Werte, weil Ihnen möglicherweise ein Selbstwert vollkommen fehlt.
Ich bin kein Psychologe, um die Lage fachmännisch zu beurteilen, aber es scheint, als wollten sie die Zusprache und Zuneigung der anderen anstelle zu verinnerlichen einfach benutzen. Vielleicht kennen sie es auch nicht anders, können sich schlicht nicht vorstellen, dass jemand etwas wirklich um jemandes andern willen tut.
Wenn Gott doch sonst schon mal auch im Gewissen redet, sind sie ganz ihr eigener Herr oder Herrin. Sie sind wahre Meister der Manipulation, fast ihr ganzes Umfeld ist Ihnen erlegen. Macht er/sie nicht einen vertrauenswerten Eindruck, und es kann ja nun nicht wirklich so schlimm sein, wie beschrieben? Doch sie kennen ja nur Manipulation als Interaktion.
Böse ist, wer Böses über sie redet, und genau dort lauert die Gefahr. Wie soll man sie erkennen? Kommt es zum Showdown, haben sie kein Problem mit Lügen und üblen Methoden, und sind noch wirklich geschickt. Sie riechen auch sehr schnell, wenn die Gefahr besteht entdeckt zu werden, niemand kommt Ihnen deswegen aber je wirklich nah.
Sie tarnen sich am besten in Umgebung von höheren Werten: nicht nur Geld, Macht und Ansehen, sondern gerade das „Gute“, sei es in Gestalt von Liebe, Religion, Philanthropie oder Pädagogik, ist ihre beste Tarnung. Es sind sehr kurze Momente in der Regel, da blitzt auf, wer sie wirklich sind, oft kurz vorm Triumph: wahre Teufel oder Hexen, besessen vom Willen, mehr zu erreichen im Leben als sie nicht haben, und manche stellen dabei vielleicht auch Leben aufs Spiel.
Sie handeln dabei tatsächlich – was sie nur zu gern anderen unterstellen – „in böser Absicht“, rein egoistischem Interesse. Da hilft dann auch keine Empathie, denn wer nichts fühlt, wer nur kühl kalkuliert, den kann man auch nicht wirklich „verstehen“.
Keine Hexenjagd
Doch Einhalt. Ich möchte hier nun keine Hexenjagd anregen und die Scheiterhaufen schüren, weil dies ist ja nun gerade ihre Disziplin, und es gelingt ihnen – vermute ich, mit Leichtigkeit – das eine oder andere mal durchaus, die Schuld an einer Sache einem Sündenbock in die Schuhe zu schieben.
Man schickt dann gern mal den Falschen in die Wüste, denn ihre Umwelt ist in ihrem Bann. Und in der Tat kann sie ihr starrer („böser“) Blick verraten, mit denen sie versuchen, sich andere gefügig zu machen. Und zunehmend gerät man unter ihren Einfluss, sie wissen genau wo die eigenen Schwächen liegen, benutzen diese, um ihre Umwelt zu manipulieren. Die langzeitlichen Folgen für diejenigen, die Ihnen „nahe“ stehen, sind natürlich katastrophal.
In der Bibel heißt es, „Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegtun» (5. Mose 22, 11): Ich meine aber, es sei eher einzudämmen, denn zu vernichten, weil sonst schlicht Gefahr besteht, dass man sich vertut. …und derjenige, über den man das Todesurteil fällt, vielleicht genau das Wissen der Zusammenhänge hatte, um den eigentlichen Teufel zu entlarven.
Böse ist, wer…
Ich frage mich, spreche ich hier wirklich vom „Bösen“? Nun ja, wenn es gut ist, für andere zu leben, und die goldene Regel gilt: „was du nicht willst das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“ – so ist ihr Motto: „wie du mir so ich dir“, und die Rache ist nah. Sie wird sicher eintreffen, damit ist zu rechnen, natürlich im allerfiesesten Moment. Wer sie blossstellt, kann damit rechnen: er wird selbst an den Pranger gestellt.
Daher bleibt dem, der Böses entdeckt, oft nur der stille Rückzug, wider besseres Wissen. Der Klügere gibt nach, schon vergessen?
Wir alle kennen das Beispiel: Im Falle der Mütter, die streiten, wem das Kind nun gehört, gibt die falsche Mutter das Kind nicht mehr her, will es besitzen. Nur die sprichwörtliche Weisheit Salomos kann das Kind retten, und die echte Mutter liebt es ja wirklich und zahlt eben nicht jeden Preis, der ihm schadet.
Was soll man tun?
Nun haben wir alle manchmal Rachegefühle, und das wiederum beweist vielleicht, dass diesen Menschen wirklich Selbstkontrolle fehlt, ein Gewissen. Wie Ihnen geholfen werden kann? Da kenne ich mich nicht wirklich aus. Aber wir wissen, wir sollen glühende Kohlen sammeln auf dem Haupt unserer Feinde (Sprüche 25, 21-22). Als Böses nicht mit Bösem vergelten, sondern Anstand wahren und diese immer noch achten, die andere verachten. Vielleicht lernen sie dann irgendwann, und entwickeln doch noch das, was Ihnen fehlt. Garantiert ist das aber nicht.
Das einzige Gegengift gegen ihr Gespinst von Lügen, so glaube ich, ist kein Schweigen, sondern beharrliche Ehrlichkeit; ohne jedoch anzuklagen, nüchtern Zeugen der Wahrheit zu sein. Genau diese Wahrheit wollen Sie ja nun in der Tat vermeiden, den dann müssten sie sich selber stellen. Also, ehrlich währt in der Tat am Längsten, muss dabei aber vielleicht durch so manche Schwierigkeit hindurch.
Es hilft Selbstreflexion
Und ein bisschen vom Bösen, eine Art böser Trieb, oder vielleicht auch der nackte Selbstbehauptungswille, steckt vielleicht in uns allen drin. Halten wir es gut unter Kontrolle, geben wir den Rachegelüsten nicht nach, sondern überwinden wir das Böse in unserer Mitte wie in uns mit Gutem. So ist zu raten, aber Vorsicht, auch das kann wiederum ausgenutzt werden. Liebe und Wahrhaftigkeit, das sollte man wissen, müssen in der Bekämpfung des Bösen Hand in Hand miteinander gehen.
Es bleibt die letzte Frage: warum dieser Beitrag? Reicht nicht ein „kurzer, scharfer Blick“? Der mag in der Tat angemessen sein, wenn man das Böse schon mal gemeistert hat. Wer jedoch noch unsicher ist, wie man sich in schwierigen Fällen verhalten soll, und auf welche Seite er/sie sich stellen sollte (wenn man denn muss), der mag hier vielleicht Orientierung finden.
Die Meinung des Autors in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche. Blog abonnieren Alle Beiträge ansehen
Barbara Oberholzer
Gepostet um 07:45 Uhr, 11. AprilGuten Morgen Herr Losch
Ob diese Menschen wirklich „böse“ sind? Vllt würde man eher von einer schweren narzistischen Störung sprechen oder von SoziopathInnen auf hohem Niveau. Die ausführliche Charakterisierung aber berührt mich, das klingt nach selbst erfahren und erlitten. Leiden tut man unter solchen Menschen in der Tat, und ihr Verhalten kann durchaus als bösartig erlebt werden. Die Kunst ist wohl tatsächlich, dennoch sich selbst zu bleiben und an den eigenen Werten, dem eigenen Glauben an das Gute und Richtige festzuhalten – mehr weiss ich auch nicht. Solche Menschen leiden übrigens auch, häufig läufts bei ihnen privat nicht allzu gut. Auf jeden Fall danke für diesen Beitrag.
Andreas Losch
Gepostet um 09:56 Uhr, 11. AprilLiebe Frau Oberholzer, ihre Frage ob sie es „sind“ wäre glaube ich die Frage nach dem radikal Bösen, das ist hier glaube ich nicht gemeint. Ich hoffe mal, und vielleicht sollte man ergänzen, in jedem Teufel steckt auch ein Funken Göttliches und die Chance auf Umkehr, wenn wir Böses eben nicht mit Bösem vergelten, ohne aber an der Nase herumgeführt zu werden.
Alpöhi
Gepostet um 10:37 Uhr, 11. AprilFrau Oberholzer,
aber man sollte der Versuchung widerstehen, Täter zu Opfern zu machen. Bei „entfernt das Böse aus eurer Mitte“ geht es nach meinem Verständnis ganz zentral darum, dass die Gesellschaft wieder zu einem einigermassen „normalen Weiterleben“ zurückfinden kann. Wenn man die Gesellschaft als grossen, umfassenden Organismus sieht, dann ist „entfernt das Böse aus eurer Mitte“ ziemlich nahe an dem, was in der Chirurgie jeden Tag gemacht wird.
Barbara Oberholzer
Gepostet um 07:47 Uhr, 11. April*Narzisstisch* – iPhone-Schreiberei!
Alpöhi
Gepostet um 09:12 Uhr, 11. AprilHerr Losch,
Der Charakter, den Sie beschreiben, wird „Psychopath“ genannt – kranker Geist, weil Empathie-unfähig.
Bei den Gesetzen in der Torah, wo die Todesstrafe angeordnet ist, heisst es (wie Sie richtig herausgearbeitet haben): „Entfernt das Böse aus eurer Mitte“. Dies ist der Refrain, der sich durch diese ganzen seitenlangen Gebote durchzieht. Aus meiner Sicht geht es eben gerade nicht um Rache, sondern darum, dass das Böse entfernt wird aus der Gesellschaft. – Der moderne Nachfahre dieser Gebote ist übrigens die im Schweizer Strafgesetz vorgesehene Verwahrung. „Entfernt das Böse aus eurer Mitte.“
Alpöhi
Gepostet um 09:15 Uhr, 11. AprilNachtrag: „Entfernt das Böse aus eurer Mitte“ kann zusätzlich auch in einem grösseren, nämlich heilsgeschichtlichen Zusammenhang betrachtet werden. Das wäre noch ein anderer Aspekt.
michael vogt
Gepostet um 14:32 Uhr, 11. Aprildas böse, nicht die bösen, integration, die transformation aller beteiligten, eben doch verstehen
Barbara Oberholzer
Gepostet um 09:24 Uhr, 11. AprilDa möchte ich gerne das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen entgegenhalten (Mt 13,24-30). Gott selbst wird sich darum kümmern. Tun wir es mit dieser Radikalität, führt es nur zu weiteren totalitären Regimen, die selbst zu so viel Bösem fähig sind.
Alpöhi
Gepostet um 10:37 Uhr, 11. AprilJa, das ist auch ein Aspekt.
Reinhard Rolla
Gepostet um 12:06 Uhr, 11. AprilIch rate dringend, sich mal die Erkenntnisse der zeitgenössischen Psychologie und der modernen Hirnforschung zu Gemüte zu führen…
Andreas Losch
Gepostet um 17:53 Uhr, 15. AprilJa, stellen Sie sich vor, da kenne ich sogar einiges, behaupte halt wiederholt nur, da kein Experte zu sein, sondern Laie. Und warum sollte die Sprache nicht die gleichen Phänomene beschrieben und bewahrt haben?