Kein west-östlicher Diwan in Beirut
Ende November in Beirut. Im Taxi erkunde ich die levantinischen Metropole. Der Taxifahrer setzt mich gleich mit der politischen und religiösen Topographie ins Bild. «Da wo es viel weihnachtliche Lichterdekoration gibt, wohnen die Christen. Da wo nur wenige Lichtlein brennen, wohnen die Sunniten. Die wollen sich das Geschäft mit Weihnacht nicht entgehen lassen.» Bei den Schiiten gehe es dagegen puritanisch zu. Westlich dekadente LED-Lämpchen-Girlanden sind in ihren Vierteln verpönt. Dafür gibt es viele Plakate von in Syrien gefallenen Hisbollah-Kämpfern. Märtyrerkult zeichnet die Schiiten-Quartiere aus.
Auch die über die Strasse gespannten Transparente markieren die konfessionellen und religiösen Milieus – 18 anerkannte muslimische und christliche Religionen registriert übrigens das Religionsministerium. Bei den Christen dominiert der 80-jährige, ehemalige Warlord Michel Aoun, der nach zähem Machtpoker nun als christlicher Präsident vom Parlament bestätigt wurde. Bei den Sunniten lächelt dagegen Saad Al Hariri von den Plastik-Banderolen. Der Milliardär ist Sohn des ermordeten früheren Ministerpräsidenten und Baulöwen Rafik Al Hariri.
Libanon: Kein Toleranzmodell
Mein Taxifahrer mag Aoun nicht, wie er überhaupt als christlicher Phönizier und Ureinwohner darauf beharrt, dass die vor tausend Jahren eingewanderten Maroniten, orientalische Christen mit Rom-Orientierung, viel zu viel Macht hätten. Trotz der ständigen Abnahme der christlichen Bevölkerung – viele dem Bürgerkrieg entflohene christliche Libanesen sind nicht mehr zurückgekehrt – können sich die Christen nicht zu einer interkonfessionellen Einheit durchringen. Und auch interreligiös gibt es keine Fortschritte. Generell gilt: Die alten Grenzen des Millets, die religiös autonom verwalteten Bezirke aus osmanischer Zeit, schimmern überall durch. Meine Hoffnung war es, in dem von religiöser Vielfalt geprägten Libanon einen Schlüssel für das friedliche Miteinander von Christen und Muslimen zu finden. Leider bin ich von dieser Idee nach meinem journalistischen Kurztrip abgerückt.
Bei der Eröffnungsfeier für die «Konferenz der evangelischen und christlichen Präsenz im Nahen Osten» in der armenisch-evangelischen Universität Haigazian University scheint zumindest das interreligiöse Idyll für einen Moment auf. Da sitzen die libanesischen Religionsführer zusammen: Islamische Muftis, Katholiken, Protestanten, Maroniten und armenisch Apostolische. Auch SEK-Präsident Gottfried Locher ist angereist, um den evangelischen Christen des Nahen Ostens eine Solidaritätsadresse zu überbringen.
Die Verfolgung der Christen nach 2000 Jahren ihrer Präsenz im Orient steht aber von vornherein nicht im Fokus. Die Regie der Tagung hat dafür als Thema bestimmt, die Kluft zwischen Okzident und Orient zu vermessen. Die Konferenz ist ein Schauspiel von Kirchenfunktionären, die das protokollarisch kontrollierte Sprechen gut eingeübt haben. Es fällt auf: Keiner will sich des Stereotyps bedienen, dass die Muslime in aggressiver Weise die Christen aus dem Nahen Osten verdrängen. Ganz im Gegensatz zu den Taxichauffeuren christlichen Glaubens, für die es als gesetzt gilt: «Unsere Brüder und Schwestern im Irak und Syrien werden verfolgt.»
Der böse Westen
Dafür gibt es im Konferenzsaal unter den Evangelischen von Ägypten bis zum Iran einen gemeinsamen Nenner: den bösen Westen. Okzident ist das Stichwort bei der Tagung, um wie auf Knopfdruck eine ganze Litanei von Schuldzuweisungen herunterzurattern. Das sind die Kreuzzüge, der Kolonialismus, die willkürlich gezogenen Grenzen. Da ist die aufoktroyierte Modernisierungspolitik der orientalischen Autokraten wie Atatürk, dem Schah von Persien oder dem gestürzten ägyptischen Diktator Mubarak, die im Bündnis mit dem Westen im Hauruck-Verfahren einen Kulturwandel erzwingen wollten. Und das sind die beiden von den USA angezettelten Golfkriege.
Viel Wahrheit steckt in diesem historischen Narrativ. Aber es eignet sich vorzüglich als Sprungbrett für Verschwörungstheorien, die den Taxifahrern nicht unähnlich sind. Ein Politologe trug die These vor, dass die USA mit dem ägyptischen Muslimbrüder-Staatschef Mursi und seinem türkischen Amtskollegen Erdogan eine Geheimachse gebildet hätten, um die Christen aus allen nahöstlichen Staaten zu vertreiben. Das einzige Refugium, in dem dann noch die freie Religionsausübung für Christen gestattet wäre, sei der Libanon.
Verderbliche Verschwörungstheorien
Dass Erdogan für die USA ein schwieriger Bündnispartner ist, dass seine nationalislamische Rhetorik mehr ideologisches Eigengewächs als westliches Propagandaprodukt aus der CIA-Küche ist, davon habe ich nichts gehört. Dass die nahöstlichen Gemeinschaften – islamisch oder christlich – stark fragmentiert sind und dies ein Problem für die Bildung eines religiös neutralen und interessenungebundenen Staates ist, kommt genauso wenig zur Sprache wie die in den meisten Staaten des Nahen Osten unterdrückte Presse- und Meinungsfreiheit. Das Problem, dass Christen sich oft unter den angeblich schützenden Mantel eines Saddam Husseins, eines Assads oder Mubaraks begeben, wird ebenfalls nicht thematisiert. So erscheint es mir: Bei aller Schönheit orientalischer Erzählkultur ist das Erfinden von Verschwörungstheorien eher ein verderblicher Ableger des famosen Fabulierens.
Christoph Jungen
Gepostet um 15:32 Uhr, 15. Dezember„Leider“ gut beobachtet und nüchtern auf den Punkt gebracht – es gäbe aber unter dem jüngeren, noch nicht so in die Hierarchie eingebundenen Nachwuchs Frauen (!!) und Männer in Libanon und darüber hinaus, die das auch erkannt haben und unsere Aufmerksamkeit und Solidarität brauchten !