Demokratie im Ausverkauf
Mit der Vereidigung Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA beginnt das politische Jahr 2017. Gefühlt kurz war die Verschnaufpause im Jahreswechsel nach einem 2016 mit seinen Ereignissen, das so manche Gewissheiten und Sicherheiten erschüttert hat. Und das neue Jahr birgt für die europäischen Gesellschaften einen enormen Sprengstoff.
Das Jahr 2017 ist ein europäisches Super-Wahljahr, in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland werden die Parlamente neu zusammengesetzt, in einigen Regionen auch Regierungen und Staatschefs neu bestimmt. Dabei ist das Lamento über geringe Wahlbeteiligungen und die damit verbundene Frage nach der Legitimität der Gewählten und auch der entsprechenden Gremien nichts Neues. Die zunehmend grösseren „Parteien“ der Nichtwählerinnen und -wähler werden seit dreissig Jahren gedeutet, zum Teil als Ausdruck von Zufriedenheit, zum Teil als Resignation, als Zeichen von Bildungs- oder Politikferne. Die demokratische Stabilität an sich war nicht in Frage gestellt.
Nun jedoch ist es anders
Politische Bewegungen von rechts erhalten in vielen europäischen Ländern Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern. Diese sprechen im Namen „des Volkes“ und stellen erfolgreich die These in den Raum, dass „das System“ und „die Elite“ nicht im Sinne „des Volkes“ agieren würde. Damit steht die Demokratie an sich als bislang unhinterfragter Ordnungsrahmen zur Disposition, in welcher präsidentiellen, parlamentarischen oder halbdirekten Form sie auch immer daherkommt. Das Misstrauen wächst nicht nur gegenüber politischen „Outputs“ oder gegenüber dem politischen Personal: Es ist der Ordnungsrahmen selbst, der diese Ergebnisse hervorbringt, der in Frage gestellt wird. Und dies ist, wie empirische Studien nun zeigen, ein globales Muster.
Die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger ist konstitutiv für die Demokratie. Diese Unterstützung schwindet, auch in sogenannten etablierten Demokratien. Und sie schwindet bei der jungen Generation: Nur rund 30% der Millenials denken, es sei wichtig, in einer Demokratie zu leben, wie jüngste Auswertungen des World Values Survey ergeben.
Seit langem zu beobachtende Phänomene wie die geringere Unterstützung der Volksparteien, abnehmende Wahlbeteiligung, wachsendes Misstrauen gegenüber parlamentarischen Entscheidungsprozessen und gegenüber den Medien verdichten sich zu einer Krise der Demokratie, die sich – und das ist neu – in politischen Verhaltensweisen widerspiegelt. Der Unterschied zu früheren problematischen Entwicklungen ist, dass Regierungen in Europa darangehen, demokratische Kerninstitutionen zu beschädigen, zu gefährden oder gar abzuschaffen. Österreich, Russland, Ungarn, Polen und die Türkei sind Beispiele dafür. Demokratische Werte, Institutionen und Prozesse werden öffentlich infrage gestellt, autoritäre Alternativen befürwortet und Kandidatinnen und Kandidaten unterstützt, die demokratische Kerninstitutionen, „das System“, angreifen – und dies häufig auf eine Weise, die die Achtung vor der Meinung des Anderen über Bord wirft.
Damit stellt sich die Frage, ob die Grundlagen unseres Zusammenlebens zur Disposition stehen, und damit auch die Werte, die sich in Demokratien auch in der „Würde eines Amtes“ zeigen: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Toleranz. Ich meine ja. Demokratie ist eben nicht nur eine Abfolge rechtsstaatlich abgesicherter Prozesse, sondern auch ein normatives Leitbild, und die Ethik der Demokratie zeigt sich im Verwobensein dieser Werte mit Ämtern und Prozessen. Man muss keine Freundin von Hollywood sein, aber die Rede von Meryl Streep anlässlich der Verleihung der Golden Globes war ein nachdenkenswerter Hinweis darauf, mit welchen Folgen die Missachtung von Werten und damit auch der Würde des Amtes in der Demokratie für eine Gesellschaft verbunden sein kann.
Die Würde der Menschen zu achten, Respekt vor den Anderen, so fremd sie auch wahrgenommen sein mögen, die Bereitschaft zur Empathie und Solidarität – wenn wir dies aufgeben, im direkten Dialog oder in der virtuellen Kommunikation, dann gefährden wir nichts weniger als die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens. Und auch die Vision einer Gesellschaft, die aus Freien und Gleichen bestehen sollte, egal welcher Herkunft, egal welchen Geschlechts, gleich welcher Religion.
Seraphim Weibel
Gepostet um 08:29 Uhr, 30. JanuarZeit das die Reformierten als hoch respektiere moralische Autorität den Mund aufmacht,Präsenz markiert im öffentlichen Raum. Aktion durch Demonstration.
michael vogt
Gepostet um 19:17 Uhr, 30. Januarich bin nicht der schnellste im erkennen eines politischen problems und in der entsprechenden reaktion, vertrete mehr eine vermittelnde position: hat amerika sich trumpiert, und, wenn ja, wie sehr?
Verena Thalmann
Gepostet um 20:06 Uhr, 31. JanuarIch hoffte eigentlich, es würde Ihnen jemand antworten, der dies besser kann. Doch da es bis jetzt nicht der Fall war, versuche ich es:
Gute Frage! Könnte man sogar weiter gehen und fragen: hat sich Amerika trumpiert und betrifft dies nun auch noch andere?
Wenn auch die neue Information, dass Homosexuelle in Amerika weiterhin am Arbeitsplatz einen „Schutz“ erhalten,
– also, dass ihnen z.B nicht deswegen gekündigt werden kann, erfreulich ist, so ist es doch kaum zu glauben, was da alles negativ „getrumpt“ wird!
Es ist schon zu hoffen, dass andere wichtige Politiker in der USA klar Stellung beziehen und dass die vielen Proteste im Land auch etwas bewirken.
….das nur ein paar Gedanken zu Ihrer Frage.
Anita Ochsner
Gepostet um 23:30 Uhr, 31. JanuarVielleicht herrscht ja Sprachlosigkeit angesichts der täglich neuen „tr…“ Nachrichten. Und hier in der Schweiz?!
Wir müssen darüber reden, mit unseren jungen Menschen. „Gottenkindern“, Enkeln, Lernenden…, .im Konfunterricht, zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz… dieser Beitrag ist er nicht eine Grundlage dazu? – und Demokratie leben ..
Jeannette Behringer
Gepostet um 18:40 Uhr, 01. FebruarSehr geehrter Herr Vogt, sehr geehrte Frau Thalmann,
die Frage, inwiefern sich Amerika getrumpt hat, ist die Gretchenfrage, will heissen: Wie lassen sich die Ankündigungen und Handlungsanweisungen seit der Amtseinführung von Trump bewerten? Was mich in meinem Beitrag ja zu einer kritischen Stellungnahme bewegt, sind Beobachtungen, die demokratische Prozesse und auch die Integrität von politischen Aemtern beschädigen: Die Antrittsrede, die keinen versöhnlichen und integrierenden Grundtenor, sondern einen z.T. anklagenden Charakter hatte; die Anweisungen bzgl. der (befristeten) Einreisesperre aus sieben Ländern, die offensichtlich nicht mit den entsprechenden Fachministerien abgesprochen war und offensichtlich die Verfassung verletzt; und eine Kongressmehrheit, deren tragende Partei in der Mehrheit nicht widerspricht.
2018 finden die nächsten Kongresswahlen statt, bei dem das Repräsentantenhauses und ein Teil des Senats wiedergewählt wird – es bleibt abzuwarten, ob sich dann neue Mehrheitsverhältnisse ergeben.
Mit freundlichen Grüssen
Jeannette Behringer
Jeannette Behringer
Gepostet um 18:48 Uhr, 01. FebruarSehr geehrte Frau Ochsner
Sie regen etwas sehr Wichtiges an: Sich informieren, im Freundes- und Bekanntenkreis, mit Kindern und Enkeln…dabei scheint es mir nicht so wichtig, dass sich bei der Bewertung der derzeitigen Entwicklungen alle einig sind, sondern in erster Linie, dass man die politischen Entwicklungen auch als Themen erkennt, die für das eigene Leben Bedeutung und Auswirkungen haben. Und je mehr Wissen und Urteilsbildung im Gespräch mit anderen stattfindet, desto eher fühlt man sich auch in der Lage, sich zu engagieren.
Mit freundlichen Grüssen
Jeannette Behringer