Carte Blanche: Pfuusbus

Mit einem neuen Bus und einem neuen poppig-pinken Vorzelt ging der „Pfuusbus“ der Sozialwerke Pfr. Sieber  Mitte November in seine inzwischen vierzehnte Saison: Von Mitte November bis Mitte April finden maximal 35-40 obdachlose Menschen einen geschützten Schlafplatz, eine warme Mahlzeit, Gesprächspartner, Sozialberatung, Seelsorge. Die Gäste und ihre Lebensgeschichten sind vielfältig, den „klassischen Pfuusbusbewohner“ gibt es nicht: Menschen, die seit vielen Jahren auf der Strasse leben und sich damit ganz gut eingerichtet haben, schätzen den Schutz vor Kälte und Nässe. Andere haben eine Bleibe in einem betreuten Wohnen oder einer WG, fliegen aber immer mal wieder raus, weil die Finanzierung versiegt oder weil sie sich nicht an Regeln halten können oder wollen. Sie kommen direkt aus dem Gefängnis und wissen nicht wohin. Sie haben Gewalt erfahren und sind auf der Flucht. Sie haben grad Familie, Job und Wohnung verloren und müssen sich neu organisieren. Sie sind seit Jahre in der Drogenszene unterwegs, und was sie haben, brauchen sie für die nächste Dosis. Fürs Leben und fürs Schlafen bleibt da nichts. Doch etwas haben sie gemeinsam: Sie haben spannende Geschichten zu erzählen – die meist verwitterten, unrasierten und gezeichneten Gesichter sind durchsichtig auf bewegte Lebensgeschichten: Seefahrer, Schiffsköche, selbständige Malermeister, Fremdenlegionäre, Sicherheitsbeauftragter bei einem Staatsbetrieb, ein ehemaliger Pornodarsteller  –  samt und sonders einmalige und einzigartige Geschichten, die sich im Pfuusbus jeden Abend einfinden.

Und so bunt und vielfältig wie die Gästeschar ist die Hundertschaft von freiwilligen Helferinnen und Helfern, die den Betrieb Nacht für Nacht sicherstellen: Lehrerinnen, Finanzfachleute, Mütter, Väter, Unternehmer, Studierende, Pflegefachleute, eine Ärztin – darunter Menschen, die selber eine Zeit lang von Obdachlosigkeit bedroht oder betroffen waren oder eine Suchtgeschichte überwinden konnten.

Gekocht wird jeden Abend frisch, die Lebensmittel werden zum grössten Teil gespendet und im Rahmen eines von der SWS und dem Christuszentrum ins Leben gerufenen Lebensmittelprojekts teilweise vorkonfektioniert (gerüstet und tiefgefroren)  –  auch die Küche ist in den Händen von Freiwilligen.

Sonntags wird ein Gottesdienst gefeiert  –  öffentlich und mit einfachsten Mitteln. Gemeinsam sitzen die Mitfeiernden um einen Tisch, teilen den Zuspruch des Evangeliums, fragen kritisch und vor ihrer eigenen Lebens- und Glaubensgeschichte nach, widersprechen, weil oft von christlichen Eiferern überfahren (und sitzen doch noch da!), beten, singen, weinen, teilen Brot und Kaffee.

Was seit Jahren gut funktioniert und mit viel Know-How und Herzblut betrieben wird, ist in mehrfacher Hinsicht das wohl anspruchsvollste Notschlaf-Projekt der Schweiz, und die Herausforderungen wachsen.

Insbesondere die jüngsten Entwicklungen in der Psychiatrie fordern den Pfuusbus heraus: Hier betreuen freiwillige Gäste, die ihrerseits aus Kliniken, Tagesstrukturen und ambulanten Behandlungen herausgestellt, entlassen oder ausgeschlossen wurden, weil sie sich als nicht-händelbar erwiesen. Praktisch täglich fragen Menschen um Unterschlupf, die auf Grund ihres Krankheitsbildes Anspruch auf psychiatrische Betreuung und Behandlung hätten und denen diese Behandlung verwehrt bleibt: Weil die Krankenkassenprämien nicht bezahlt sind, die Fallkosten bereits über der Norm liegen, der Platz anderweitig gebraucht wird. Die Leistung, die unsere Freiwilligen gemeinsam mit unseren Gästen Nacht für Nacht erbringen, ist vor dieser Entwicklung nicht hoch genug einzuschätzen. Gleichzeitig wird im Pfuusbus Nacht für Nacht sicht- und spürbar, wie viel Stärkung schwerstkranke Menschen schon allein untereinander und in einer liebevollen und klar geführten Gemeinschaft entwickeln und generieren können. Diese Stärkung, diese Leistung kommt nicht nur den direkt Betroffenen und Beteiligten zu Gute, sondern der ganzen Stadt. Der Pfuusbus ist in den 14 Jahren seines Bestehens zum Hoffnungsort geworden  –  zum Hoffnungsort, weil sich da Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, Nacht für Nacht auf Augenhöhe begegnen und miteinander einen Mikrokosmos gestalten, in dem Gleichwertigkeit und Nächstenlieben nicht einfach programmatische Begriffe bleiben, sondern sich immer neu ausformen, sicht- und spürbar werden.

Christoph Zingg, Gesamtleiter SWS

 

Links zum Thema:

Zur Webseite vom „Pfuusbus“:
http://www.pfuusbus.ch

Zur Webseite der Sozialwerke Pfarrer Sieber:
https://www.swsieber.ch

 

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3 Kommentare
  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 05:57 Uhr, 27. Februar

    Einfach nur danke für diesen Beitrag!

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  • Michel Müller
    Gepostet um 08:37 Uhr, 27. Februar

    Danke für eure grosse Arbeit!

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  • michael vogt
    Gepostet um 03:11 Uhr, 28. Februar

    pfarrer sieber spricht von orthopraxie – ich würde sagen ortopraxie und ortodoxie: die rechte tat und das rechte wort am rechten ort 🙂

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