Von Neuem dem Alten treu bleiben
Bei mir war es Liebe auf den zweiten Blick, die Sache mit der Vision 21 der Refbejuso.
Das Projekt habe ich über die vergangenen zwei Jahre aus der Distanz verfolgt. Mit einer Mischung aus Skepsis und Hoffnung. Dann habe ich die Resultate zu Gesicht bekommen: „Das hätte ich auch an einem Tag selbst schreiben können!“, war mein erster Gedanke als ich das Dokument mit den Spannungsfeldern las. Und noch heute würde ich sagen, dass der Gedanke nicht allzu grössenwahnsinnig war. Diese Bündelung der 5748 Fragen bietet kaum Diagnosen, die jemand, der sich in den letzten Jahren einigermassen mit der Kirche beschäftigte, nicht längst gestellt hat. Über die Visionssätze hatte ich mein Verdikt ebenso schnell gefällt: Lauwarm. Unentschieden. Mainstream. Nichts Neues unter der Sonne. Verdient so etwas den Namen Vision?
Vorletzten Sonntag bin ich trotzdem an den Kirchenvisions-Feierlichkeiten aufgekreuzt. Muss man ja irgendwie, so als Vikar, dachte ich. Grosse Erwartungen hatte ich nicht, eher trauerte ich den zwei Stunden Schlaf nach, die mir immer noch fehlten, als der Wecker klingelte. Um es vorwegzunehmen: Das jähe Erwachen blieb das einzige Erweckungserlebnis, das ich an dem Tag hatte.
Und doch, am Ende des Tages stellte ich überrascht fest: Die Sache mit der Vision geht mir zu Herzen. Es war nicht eine besonders kluge Auslegung der Visionssätze, die mich endlich überzeugt hätte. Es war vielmehr der Eindruck, dass sich „meine“ reformierte Kirche mit der Vision und dem Anlass zuversichtlich auf die Flagge schreibt – schlicht und einfach lebt –, was sie ohnehin schon lange tut. Mal besser, mal schlechter, meist in unendlich kleinen Schritten, aber immer mit erstaunlich viel Ausdauer: Sich zu Vielfalt bekennen. Sich in Solidarität üben. Die Hoffnung nicht fahren lassen. Was kann ich mir denn heutzutage mehr wünschen, als eine Kirche, die weiterhin genau das macht? (Auch in Zukunft gerne mal wieder auf dem Bundesplatz!)
Mir ist klargeworden: Ich stehe in der Gefahr, angesichts eines „unguten“ Gefühls bezüglich der Zukunft und der öffentlichen Wahrnehmung der Kirche auf einen Befreiungsschlag zu hoffen, der ein für allemal klärt, wo es jetzt langzugehen habe mit der Kirche. Ich warte auf eine Erneuerung, die all die mühsamen Fragen und Dilemmata obsolet macht. Und übersehe dabei völlig, was unter uns schon längst gewachsen ist und immer wieder wächst: Ein nüchternes, treues Mitwirken an und in dem, was unsere Um- und Mitwelt im Innersten zusammenhält: Solidarität, Zuversicht, Verantwortung. Gespeist aus altbewährten Quellen, deren Ergiebigkeit und Charme einen hier und da von Neuem überrascht.
Blogbeitrag zum gleichen Thema von Mirja Zimmermann
«Vision Kirche 21»
Projektseite «Vision Kirche 21» der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn
http://kirche21.refbejuso.ch/home/
Website der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn
http://www.refbejuso.ch
Samuel Burger
Gepostet um 10:09 Uhr, 19. SeptemberDu sprichst mir aus dem Herzen, Dominik. Mir ist es ähnlich ergangen. Ich befürchte nur, dass die Kirche zu sehr beim alten Alten bleibt, nun, da das Fest vorbei ist. Anstösse, das neue Alte zu suchen, haben mir weitgehend gefehlt. Was bedeuten diese Sätze konkret im täglichen Leben nicht nur im geschützten Rahmen der Institution, sondern auch draussen auf der Strasse, bei sozialen Fragen, im Zusammenleben mit Fremden, beim Festlegen der Schwerpunkte infolge schwindender Finanzen? Ich vermute, der Kirche geht es noch zu gut. Der Leidensdruck, der Kreativität und queres Denken fördert, ist noch nicht gross genug. Bis sich da etwas bewegt, müssen wir an der Basis schon mal etwas bewegen…
Dominik von Allmen
Gepostet um 11:08 Uhr, 19. SeptemberDa stimme ich dir zu, Samuel, solche Festanlässe verursachen natürlich immer auch ein gewisses „High“, das dann aber bald wieder abflacht, ohne die Routine aufzumischen oder wenigstens in ein neues Licht zu tauchen. Und ja, in vielen Belangen braucht es wohl noch mehr Druck. Im Falle der RefBeJuSo scheint mir immerhin das Fest selbst schon ein Statement darzustellen. Denn soweit ich zurückdenken kann (seeehr weit ist das zugegebenermassen nicht), hat sich die Kirche vor solchen grossen öffentlichen Auftritten, die ja schon auch etwas bekenntnishaftes haben, eher gedrückt. Man wusste nicht recht, wie dabei mit der internen Glaubens-, Milieu- und Meinungsvielfalt umzugehen sei. (Aber vielleicht nimmst du das anders wahr?) Meine Hoffnung ist, dass (auch) dadurch eine Aufbruchstimmung entsteht, die die Basis hier und da weiterträgt und die nicht zuletzt notwendige Abschiede denkbar(er) macht.
michael vogt
Gepostet um 22:28 Uhr, 19. Septemberwenn da schon mal jemand ist, der an der universität zu gange ist: haben Sie eine ahnung, warum studierede sich so wenig an blogs, wie zb dem hier, beteiligen? ist das verschulung oder vernunft oder. . .
Dominik von Allmen
Gepostet um 10:30 Uhr, 20. September… in vielen Fällen: schlicht Zeitmangel und ein zu fragmentierter Studien- und Arbeitsalltag, als dass noch so etwas wie selbstorganisierte Diskussionsgruppen oder die Teilnahme an Blogs etc. möglich wäre. Vielen kommt der Kirchen- und Theologiebetrieb auch so gross und die darin tätigen Menschen so klug vor, dass sie sich lange nicht recht getrauen, aktiv mitzumischen und eher den BeobachterInnenstatus einnehmen. Es dauert erstaunlich lange, bis man als StudierendeR merkt, dass überall nur mit Wasser gekocht wird. Ausnahmen gibts natürlich immer!
Barbara Oberholzer
Gepostet um 11:37 Uhr, 19. SeptemberVielen Dank für diese zweite Beleuchtung der Berner „Visionen“. Auf mich wirkt sie entlastend, nimmt Schuldgefühle und Visionsstress und – druck weg – und gerade das fördert doch neue unbelastete Ideen.
Die Berner Kirche hat sich im Projekt Vision 21 auch als fragende, suchende Kirche gezeigt – das lässt echt hoffen!
Schwäbi
Gepostet um 22:11 Uhr, 19. SeptemberEs ist sehr selten, dass man an einem kirchlichen Anlass z’Tanz gehen kann. Auf dem Bundesplatz war das möglich. Mein Gefühl war, das hier weitgehend das Traditionelle und damit Patriarchalische und damit wiederum auch ein Stück weit Kindliche abgeht, wodurch die Kirche sich der Welt entfremdet, konnte mich aber gut darin finden. Meine Frage ist: was offenbart sich? Und das kann ja dann etwas anderes sein. Hinten links, wo es niemand stört, war ich auch zum Gebet z’Tanz: die Erfahrung, dass das alles andere ist als ein Widerspruch. Im Moment, wo in der Predigt vom Heiligen Geist die Rede war, begegnete mir eine Taube. Kinder kamen dazu, und sie flog auf. Zu ihrem Vater aus England sagte ich: „This bird is the symbol of the Holy Spirit. Your children have made it flie.“ Er lachte und strahlte über das ganze Gesicht. Später wurde ich plötzlich bei meinem Namen gerufen – von meiner ersten Liebe aus dem Jahr 1978. Eine nachwievor sehr angenehme Stimme. Eine noch etwas ältere Teilnehmerin, schon ganz in Weiss, hatte ob meiner Gepflogenheit, an diesem Anlass teilzunehmen, ein ganz feines Lachen im Gesicht. Wunderbare Erfahrungen, für die ich meiner Kirche dankbar bin, die mir ja eben auch erlaubt, selber oder gar quer zu denken, anders zu glauben und zu handeln (oder zu beineln). ((und noch eine kleine bemerkung: wenn Sie jetzt vielleicht nachsehen, wer das ist, der das schreibt, bedenken Sie, dass in Poträts und Interviews nicht immer ganz das wiedergegeben wird, was gesagt wurde, und dass es noch niemandem gelungen ist, tan-zen abzubilden, am ehesten hier https://www.facebook.com/tobi.heim/posts/10214704090983725 > -00:43 (am besten ohne ton) , wo ich als intressierter gast, nicht als seiender war.))
Dominik von Allmen
Gepostet um 10:32 Uhr, 20. SeptemberDanke für deine Impressionen. Die Taube währed der Predigt ist mir auch aufgefallen! Guter Moment!
michael vogt
Gepostet um 15:22 Uhr, 21. Septemberwarum manchmal plötzlich kleine anfangsbuchstaben? nach vertiefter analyse komme ich zum schluss: um anzuzeigen, dass Sie nicht überheblich (oder, ganz am ende, generell auch nicht nicht unterwürfig) sein wollen, gegenüber der kirche und gegenüber der pride etc – was für mich Ihren bericht erst geniessbar macht, da Sie im zweiten satz etwas sehr in den slang hineingeraten.
michael vogt
Gepostet um 22:58 Uhr, 21. Septemberzweiten > dritten
michael vogt
Gepostet um 12:09 Uhr, 22. Septembernicht, nicht nicht nicht
michael vogt
Gepostet um 15:18 Uhr, 21. Septemberwarum manchmal plötzlich kleine anfangsbuchstaben? nach vertiefter analyse komme ich zum schluss: um anzuzeigen, dass Sie nicht überheblich (oder, ganz am ende, generell auch nicht nicht unterwürfig) sein wollen, gegenüber der kirche und gegenüber der pride etc – was für mich Ihren bericht erst geniessbar macht, da Sie im zweiten satz etwas sehr in den slang hineingeraten.
michael vogt
Gepostet um 15:21 Uhr, 21. Septemberdas ist eine antwort auf den kommentar gerade oben
michael vogt
Gepostet um 15:23 Uhr, 21. September15:18 kann ja von der redaktion gelöscht werden
michael vogt
Gepostet um 23:02 Uhr, 21. Septemberwürde ich auch tun. es ist sehr wahrscheinlich ein technisches versagen: dass eine antwort als kommentar erscheint, ist schon vermehrt vorgekommen.
michael vogt
Gepostet um 12:13 Uhr, 22. Septembernicht, nicht nicht nicht – zweiten > dritten
Esther Gisler Fischer
Gepostet um 14:01 Uhr, 22. SeptemberDa soll eine/r noch drauskommen!
Schwäbi
Gepostet um 16:36 Uhr, 22. SeptemberMich freut es ja, dass da herauskommt, wie kompliziert es werden kann, wenn man sich nicht auch mal ein Wort aus der Alltagssprache erlauben sollen darf. Aber der „vertieften Analyse“ stimme ich voll zu. Im ÖV hat mal einer einem berichtet, im Mittelalter, wo hohe Systeme gebaut wurden, habe es den Brauch gegeben, manchmal einen kleinen Buchstaben zu setzten, wo eigentlich ein grosser (oder ein Grosser?) gekommen wäre. Wie gelauscht, so übernommen. Damit haben wir nun eine echte Kooperation. Nun müsste nur noch die Moderation mitmachen und das Chaos durch Löschen des Moleküls „15:18“ eindämmen. Die Priorität liegt hier nicht bei der mutmasslichen Erziehung Schreibender, sondern bei der schlichten Nächstenliebe gegenüber möglichen Lesenden.
P E A C E 🙂
Schwäbi
Gepostet um 16:49 Uhr, 22. SeptemberAha, nein! Das Löschen geht jetzt ja nicht mehr, weil sonst Ihre sehr zutreffende und dankenswerte Anmerkung verloren geht. aber vielleicht könnten wir eines tun: diese Zusatzrunde hier beenden.
michael vogt
Gepostet um 17:00 Uhr, 16. Maiinzwischen habe ich rechechiert: diesen kleinbuchstabenbrauch gibt es im mittelalter nicht. da hat sich der fahrgast wohl ein spässchen geleistet.