Bullshit-Jobs
Gemäss David Graeber sind ca. 40% der Stellen in den westlichen Dienstleistungsgesellschaften sogenannte Bullshit-Jobs: eine Form der bezahlten Anstellung, die so vollkommen sinnlos und unnötig ist, dass selbst derjenige, der sie ausführt, ihre Existenz nicht rechtfertigen kann. Die Stelleninhaber/-innen fühlen sich sogar dazu verpflichtet, so zu tun, als sei dies nicht der Fall. Bullshit-Jobs sind oft gut bezahlt, tendenziell in Grossunternehmen und im Dienstleistungssektor angesiedelt, wobei es bestimmte Abstufungen der „Bullshitisierung“ gibt. So können Stellen identifiziert und beschrieben werden, die nur vereinzelte Bullshit-Aufgaben beinhalten. Um etwas klarzustellen: gemeint ist hier nicht die leidige Bürokratie, die für die Führung einer Firma notwendig ist, sondern vielmehr die administrativen Arbeiten, die als Pseudo- oder Alibi-Übungen deklariert werden können. Aufgaben, die man beispielsweise erledigt, weil man das schon immer so tat (aber unnötig sind) oder die „strategisch“ notwendig sind, obwohl alle Beteiligten von Anfang an wissen, dass das Projekt nicht umgesetzt wird.
Ich habe in meinem Leben einige Bullshit-Jobs und -Aufgaben ausgeführt. Die erste Ernüchterung gab es bei meinem ersten Arbeitgeber, der Swisscom: Da habe ich sogar am Arbeitsplatz während der Probezeit geweint. Die Seele wollte nicht. Und ich machte trotzdem weiter, weil Arbeit nun so ist, weil ich meine Eltern nicht enttäuschen und nicht bei der ersten Hürde aufgeben wollte. Ich schöpfte Kraft aus dem sozialen Umfeld und aus den Gesprächen unter Teamkollegen. Und ich kompensierte die Unzufriedenheit auch mit dem Konsum. Bei Swisscom Directories bewies ich nach einer Projektstudie, dass die Inserate im Telefonbuch nicht für alle Branchen sinnvoll sind bzw. sich nicht rechnen. Ich sprach mit meinem Vorgesetzten („Meine Arbeit braucht es hier nicht mehr…“), wurde unter Druck gesetzt, kündigte und begann eine lange Odyssee von Jobs und Gelegenheitsanstellungen. Und ich entdeckte, dass in einem Menschen viel mehr Fähigkeiten stecken, als sie in spezialisierten Stellenprofilen verlangt werden. Nebst der Sinnhaftigkeit einer Stelle ist meiner Meinung nach auch eine gewisse zeitliche Flexibilität nötig, um sich an Projekte anzudocken, die aus dem Nichts entstehen und einem Spass machen. Leider waren die spassigen Projekte (zumindest für mich) immer schlechter oder gar nicht bezahlt, aber sie fühlten sich richtig(er) an. Diese Flexibilität hatte ich nur, weil ich im Anschluss nur Teilzeitstellen ausübte, ein Luxus, den sich (je nach Ausbildung) in der Schweiz nicht alle leisten können. Für eine selbständige Beschäftigung hatte ich zudem nicht den Mut, weil ich aus Bullshit-Jobs kam, die mir weder Würde noch das Bewusstsein gaben, etwas wirklich Nützliches für die Gesellschaft leisten zu können.
Zu einem gewissen Teil können wir den Bullshit-Jobs je nach persönlicher Einstellung eine bestimmte Sinnhaftigkeit geben. Wir können mit den jeweiligen Löhnen die Familie ernähren oder das Geld im Anschluss spenden. Diese nachträgliche Rationalisierung gehört auch zum Wesen der Bullshit-Jobs dazu: die Ausübung macht erst dann Sinn, wenn damit andere persönliche Ziele befolgt werden. Wir versuchen eine kognitive Konsonanz herbeizuführen bzw. reden wir uns die Job-Situation schön. Aber wenn man ehrlich und konsequent ist, ist die inhaltliche Argumentation dürftig, weil auf dieser Weise nachträglich alle Jobs gerechtfertigt werden können. David Graeber bringt auch das Argument ins Spiel, Bullshit-Jobs seien erfunden worden, um die Leute zu beschäftigen, damit sie in ihrer Freizeit nicht auf dumme Gedanken kommen. Dabei zitiert er den Schriftsteller George Orwell (aus: „Erledigt in Paris und London“): „Ich glaube, dass dieser Instinkt, unsinnige Arbeit immer weiter zu erhalten, im Grunde der Angst vor dem Pöbel entspringt. Der Pöbel (so wird angenommen) bestünde aus solch niederen Tieren, dass diese gefährlich werden könnten, wenn sie nichts zu tun hätten; es sei mithin sicherer, sie zu beschäftigen, als sie auf dumme Gedanken kommen zu lassen.“
Das tönt ein bisschen nach der Verschwörung einer vermögenden Elite, wobei das Argument der Vollbeschäftigung zumindest aus ökonomischer Sicht nachvollziehbar wäre: Bürger, die mehr verdienen, können auch mehr ausgeben.
Das Leben ist in der Schweiz kostspielig und die Haus-Hypothek muss bezahlt werden, das ist das wichtigste pekuniäre Argument für die Existenz der Bullshit-Jobs. Wir alimentieren aber auch viel warme Luft, damit wir uns dieses Leben leisten können. Wie finden wir jetzt einen Weg « zurück » zum Essentiellen, so dass wir zufriedener sind, nützliche Arbeit leisten können und trotzdem nicht Angst haben müssen, ökonomisch zu verarmen? Ist das bedingungslose Grundeinkommen wirklich so verpönt? Wie viel geistiges und handwerkliches Potential steckt in uns drin, das sich entfalten möchte aber keine Flächen findet, um greifen zu können, ein Potential, das nicht unbedingt monetarisiert werden muss? Wenn es tatsächlich so ist, dass es in den Dienstleistungsgesellschaften so viele Bullshit-Jobs gibt, dann müssen wir uns auch nicht gross darum kümmern, wie das Grundeinkommen finanziert wird, denn 4 von 10 Stellen könnten problemlos und ohne Auswirkungen auf die tatsächliche Wertschöpfung gestrichen werden. Wir hätten mehr Zeit für Projekte, die egoistischer oder altruistischer Natur sein können, aber einen persönlichen oder gesellschaftlichen Nutzen hätten.
Literatur: David Graeber: Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit.
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Christoph Zingg
Gepostet um 06:53 Uhr, 17. JanuarDanke für diesen Beitrag. Täglich mit Menschen unterwegs, die in den geschilderten Verhältnissen krank wurden und in Lethargie und Einsamkeit versinken. Und, was mich immer wieder bewegt: Weit entfernt von ihren Gaben und Talenten, die sie weder für sich noch für die zivile Gesellschaft fruchtbar machen können. Ich bin überzeugter Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens, aller reformierter Arbeitsethik zum Trotz, weil ich davon überzeugt bin, dass alle einen Gewinn davon haben, wenn Menschen das tun können, was sie am besten können – auch wenn es nicht in den aktuellen Systemen monetarisiert werden kann.
michael vogt
Gepostet um 08:32 Uhr, 17. Januardie reformierte arbeitsethik besteht genauer beaugapfelt darin, nicht das zu tun, was der selbstrechtfertigung dient, sondern das, was sich aus der erfahrung der von unseren werken und unserem gesellschaftlichen status unabhängigen rechtfertigung ergibt. um uns, wie der beitrag sagt, das kostspielige leben in unserem land, was wohl weitgehend heisst unsere kostspielige selbstrechtfertigung, leisten zu können, „alimentieren wir viel warme luft“. meine privatschätzung: 98% des zuviel an co2-emission ist selbstrechtfertigung.
michael vogt
Gepostet um 08:42 Uhr, 17. Januarund da zum abgewöhnen noch etwas freizeit (man braucht den streifen ja nicht ganz anzusehen, hüpfen, und man bekommt noch genug mit)
https://www.youtube.com/watch?v=vtn2fAe_kZI
Barbara Oberholzer
Gepostet um 08:36 Uhr, 17. JanuarWenn Menschen wirklich keine Bullshit-Jobs haben, dann sind es PfarrerInnen. Doch auch sie müssen darum kämpfen, dass ihre eigene, kreative, menschennahe Arbeit nicht untergeht in unendlichen Sitzungen zu den dümmsten Zeiten, PR, Strategiespielen, politischem Kalkül, Administration. Und die Tendenz nimmt zu. Was wollen wir auch in der Kirche?
Reinhard Rolla
Gepostet um 22:39 Uhr, 17. JanuarIch gestatte mir jetzt eine kleine „Wortklauberei“: Wenn es in der Arbeitswelt „bullshit“ gibt, dann ist das doch nicht Nichts. Es bleibt der „bull“, den man vor andere Wägelchen spannen kann, und es bleibt der „shit“, der in getrocknetem Zustand als Brennmaterial verwendet werden kann. Ernsthaft: Als mein Sohn vor vielen Jahren einen Ferienjob annahm, bei dem ihm schrecklich langweilig war – obwohl ein paar Frauen mit ihm zusammen den gleichen Job erledigten -, und er sich bitter beklagte, sagte ich ihm dieses: „Es gibt keinen miesen Job, solange nicht die Einstellung zu ihm mies ist.“ Als mein Sohn dann das Lehrerpatent hatte und am Ende voll zur Musik überging, musste er am Anfang mit Stellvertretungen das Geld zum Leben verdienen. Als Musiklehrer… !! Ich habe in meinen fast vierzig Jahren als Pfarrer in Hochdorf im Luzerner Seetal nie eine Arbeit als minderwertig oder sinnlos – oder eben: as „bullshit“ empfunden. Ich habe j e d e Tätigkeit mit Liebe er- und gefüllt, auch wenn sie zunächst als „wertarm“ daherkam. (A propos: Gottesdienst mit drei oder vier Besucher/innen, wie ich sie jetzt als Stellvertreter in anderen Kirchgemeinden erlebe, würde ich auch nicht als „bullshit* bezeichnen.. Auch nicht den, in welchem eine einzige Frau die „Gemeinde“ verkörperte..).
Alpöhi
Gepostet um 23:21 Uhr, 18. Januar„Bullshit“ und (vermeintlich) „wertarm“ ist ja nicht das Gleiche. Kübel leeren oder Kloputzen ist hochgradig wertvoll und wichtig – das merkt man spätestens dann, wenn es mal nicht gemacht wird.
michael vogt
Gepostet um 17:18 Uhr, 20. Januarselig sind die, die einen job der kategorie bs haben – aber sie sollen einen der kategorie mw (der menschenwürde entsprechend) bekommen. aber ich kann es nicht so einseitig sehen wie jesus (es vielleicht in natura auch nicht gesehen hat): selig sind die habsüchtigen, denn sie werden gesättigt werden. selig sind die brutalisierten, denn sie werden entbrutalisiert werden. selig sind die, deren herz sich verfinstert hat, denn sie werden erleuchtet werden. . .
michael vogt
Gepostet um 01:17 Uhr, 21. Januarselig sind die, die einen job der kategorie bs haben – aber sie sollen einen der kategorie mw (der menschenwürde entsprechend) bekommen. so einseitig wie jesus (es vielleicht in natura auch nicht gesehen hat) kann ich es nicht sehen: selig sind die habsüchtigen, denn sie werden gesättigt werden. selig sind die brutalisierten, denn sie werden entbrutalisiert werden. selig sind die, deren herz sich verfinstert hat, denn sie werden erleuchtet werden. . .