Rechtspopulismus als Herausforderung

In einer Diskussion wurde ich neulich mit dem Vorwurf konfrontiert, meine Argumentation sei typisch für den «linksgrün-liberalen Mainstream». Abgesehen davon, dass diese Feststellung offenbar jede weitere inhaltliche Auseinandersetzung erübrigte, irritierte mich die Formulierung «linksgrün-liberaler Mainstream». Meine eigene Geschichte ist vom Widerspruch der linken und grünen Bewegungen gegen einen wirtschaftsliberal-konservativen Mainstream geprägt. Linksgrün und liberal galten eher als Gegensätze als dass beide Begriffe in einem Atemzug genannt werden konnten und linksgrün war Protest gegen den Mainstream.

An diese Irritation wurde ich erinnert bei der Lektüre der brillanten Studie der Soziologin Cornelia Koppetsch: «Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter». Darin möchte sich die Autorin «einen soziologischen Reim auf den Aufstieg der neuen populistischen Rechtsparteien» machen. Sie deutet den Rechtspopulismus als Folge eines unbewältigten Umbruchs von der im nationalen Rahmen verankerten Industriemoderne hin zu einer globalen Moderne und als Gegenbewegung und emotionalen Reflex auf diesen Umbruch. Rechtspopulismus finde seine Anhänger*innen nicht nur bei den ökonomischen Globalisierungsverlierern, sondern auch in der traditionellen Mittelschicht und einer konservativen Oberschicht. Es handle sich aus dieser Sicht um einen Kampf gegen die Vorherrschaft einer relativ breiten akademisch-kosmopolitischen Ober- und Mittelschicht.

In acht lesenswerten Kapiteln analysiert Koppetsch den Rechtspopulismus als gesellschaftliche Protestbewegung, die mit den Mitteln einer Re-Nationalisierung, einer Re-Souveränisierung und einer Re-Vergemeinschaftung auf die Globalisierung reagiert. Dabei nutzt die Autorin das Modell des Sozialraums von Bourdieu und den Prozess der Zivilisation von Elias als hilfreiche Analyseinstrumente.
Eine ihrer zentralen Thesen besagt, dass sich im Zug der Globalisierung seit den 1990er-Jahren ein ‘neoliberales’ Bündnis zwischen dem modernen, wissensbasierten Unternehmertum, den aus 1968 hervorgegangenen sozialen Bewegungen und der akademischen kosmopolitischen Mittel- und Oberschicht gebildet habe. Da den Mitgliedern der kosmopolitischen Mittelschicht die Schattenseiten liberaler Gesellschaftsordnungen im 21. Jh. durchaus bewusst seien, verteidigten sie ihre politische Identität mit der Unterscheidung eines ‘guten’ Kulturliberalismus und eines ‘bösen’ Neoliberalismus. In dieser Unterscheidung steckten aber mehrere Denkfehler. Der Kulturliberalismus sei keine Ideologie der Unterdrückten gegen eine illiberale Staatsdoktrin mehr, sondern herrschende Ideologie, die gesellschaftsweit durchgesetzt werde.

Sie spricht nicht von einem «linksgrün-liberalen Mainstream», aber darauf läuft es hinaus. Könnte es sein, dass Koppetsch hier den entscheidenden blinden Fleck des linksgrünen Milieus benennt: dass dieses Milieu (dem ich mich selber zugehörig fühle und zu dem vermutlich auch Koppetsch zu rechnen ist) sich immer noch als Protestbewegung inszeniert und dabei ignoriert, dass viele seiner Werte inzwischen gesellschaftlich hegemonial geworden und in die Logik des Kapitalismus integriert worden sind? Könnte es sein, dass dieses Milieu einen Habitus entwickelt und kulturelle Codes etabliert hat, die ausschliessend wirken, einen urbanen Lebensstil pflegt, den man sich auch ökonomisch leisten können muss?

Diese Fragen zu stellen heisst nicht, die pauschale Kritik rechtspopulistischer Gruppen an den «Eliten» gutzuheissen und die von ihnen ausgehende Gefährdung der Demokratie, ihre Verbindungen zum Rechtsextremismus, die oft menschenverachtende Sprache oder die Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie zu verharmlosen oder zu ignorieren. Erst recht bedeutet es nicht, die rechtspopulistische Kritik am vermeintlichen Establishment zu übernehmen. Allerdings kann nur ein selbstkritischer und illusionsloser Blick auf die gesellschaftlichen Entwicklungen und die Ursachen, die die Entstehung rechtspopulistischer Bewegungen plausibel erklären können, dazu beitragen, einen angemessenen Umgang damit zu finden.

Das Gefühl, selber im Recht zu sein und ein falsches Denken zu bekämpfen, reicht nicht aus und vertieft die gesellschaftlichen Spaltungen sogar noch. Notwendig ist nicht Ausgrenzung, sondern eine ernsthafte politische Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus, Widerspruch gegen die politischen Zornunternehmer an der Spitze und Verständnis und politische Lösungen für die Ängste derer, die sich nicht wahrgenommen und nicht ernstgenommen fühlen und um ihren Ort in der Gesellschaft fürchten. Den Ängsten nicht einfach recht geben, aber ihnen mit dem Bemühen um Verständnis und mit Alternativen und Lösungen begegnen. Die soziologische Analyse von Koppetsch bietet dafür eine solide Grundlage und gehört zum Besten, was über das Thema Rechtspopulismus bisher geschrieben wurde.

Das Buch: Cornelia Koppetsch, Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter, transcript Verlag, Bielefeld 2019

Die Meinung des Autors in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

Blog abonnieren     Alle Beiträge ansehen    

Diesen Beitrag fand ich...
  • wichtig (23)
  • inspirierend (15)
  • fundiert (6)
  • frech (0)
  • berührend (0)
  • langweilig (4)
  • falsch (3)
  • schlecht (2)
  • lustig (0)
5 Kommentare
  • seraphim
    Gepostet um 11:52 Uhr, 15. Oktober

    Guter Punkt. Aber damit ist wieder nur darüber geredet. Es fehlen konkrete Handlungen, Projekte, Engagement.

    0

    0
    Antworten
  • Simon Spengler
    Gepostet um 10:18 Uhr, 16. Oktober

    Vielleicht muss sich das „linksgrüne Millieu“ auch einfach wieder an die soziale Frage erinnern. Gerät diese in Vergessenheit, verfängt sich auch das „linksgrüne Milieu“ in der Logik des Kapitalismus – unweigerlich..

    4

    0
    Antworten
    • Alpöhi
      Gepostet um 11:35 Uhr, 20. Oktober

      Guter Punkt.

      Die drängenden Probleme unserer Zeit sind bekannt. Die Lösungswege sind „rechts“ und „links“ aber total unterschiedlich… Was dazu führt, dass praktisch alle Demokratien tief gespalten sind. Es bewegt sich nichts mehr. Die Demokratien, wie wir sie kennen, sind unregierbar geworden.

      0

      0
      Antworten
  • Nicolas Mori
    Gepostet um 10:17 Uhr, 18. Oktober

    Bernd Berger fragt, ob die Werte des links-grünen Milieus „inzwischen gesellschaftlich hegemonial geworden und in die Logik des Kapitalismus integriert worden sind“. Das ist in der Tat eine der Grundfragen bzw. Grundfeststellungen der Frankfurter Schule: Es gibt nichts, dass sich das kapitalistische System nicht einverleibt bzw. keinen archimedischen Punkt ausserhalb, der noch Relevanz beanspruchen könnte. Der systemkritische Anspruch der Kunst hat sich längst im Kunstmarkt verflüchtigt, die Politik ist in einem ästhetisierten Unterhaltungsbetrieb (Sennett) aufgegangen usw. Es gibt eben kein richtiges Leben im falschen, hat Adorno dazu lapidar bemerkt.

    2

    0
    Antworten

Kommentar abschicken