Der Trugschluss des Atheismus

Atheisten irritieren mich; nicht alle, aber gewisse. Es irritieren mich diejenigen, die glauben zu wissen. Zu wissen, dass es Gott nicht gibt.

Ihr Wissen begründen sie damit, dass sich Gott naturwissenschaftlich nicht beweisen lässt. Jenen, die an einen Gott glauben, unterstellen sie Naivität und voraufklärerische Unmündigkeit. Die Bibel und andere heilige Schriften tun sie als alte, unnütze Kamellen ab. Sie führen geradezu einen Kreuzzug gegen religiöse Symbole. Religion ist in ihren Augen das Gift, das für das meiste Übel in der Welt verantwortlich ist. Die Welt soll religionsfrei werden. Mit dieser Botschaft missionieren diese Atheisten, wo und wann sich dazu Gelegenheit bietet. Ihr missionarischer Eifer stellt das Engagement von manchen religiösen Fundis in den Schatten.

Atheismus ist – konsultiert man die aktuellen Bestsellerlisten – in Mode. Anstelle der klassischen Religionen ist ein neuer Glaube getreten: Der Glaube an den technologischen Fortschritt. Je mehr Erkenntnisse die Naturwissenschaften liefern, je besser unsere technologischen Möglichkeiten würden, desto mehr werden die Religionen ihre Wirkkraft verlieren, so die weit verbreitete Meinung vieler atheistischer Autoren. Das Problematische dabei ist die Annahme, der wissenschaftliche Fortschritt könne auf Ethik und Politik übertragen werden. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt ein anderes Bild: Unser technologisches Wissen nimmt zu, doch auf das Zusammenleben in der Gesellschaft wirkt sich das nur bedingt aus. Die Sklaverei wurde im 19. Jahrhundert in vielen Teilen der Welt abgeschafft. Faschismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert haben diese Form der Ausbeutung wieder eingeführt, und mit dem weltweiten Frauenhandel hat die menschenverachtende Versklavung der Ärmsten und Schwächsten heute wieder eine ungeheuerliche Dimension angenommen.

Es ist ein Trugschluss, dass mit dem Atheismus auch der Humanismus in unserer Welt Einzug halten würde.

Die kritische Auseinandersetzung mit Glauben, Religionen und vor allem auch Institutionen ist mir ein grosses Anliegen. Ich plädiere für einen reflektierten und keinen kopflosen Glauben. Einen Glauben, der Zweifeln zulässt. Ich stehe ein für eine Religion, die sich nicht durch Gebote und Verbote auszeichnet, sondern das Leben und die Liebe in ihrer ganzen Vielfalt fördert. Ich möchte einer Institution angehören, die sich auf die Fahne geschrieben hat, überall dort ihre Stimme zu erheben, wo Menschen diskriminiert werden, wo das Starke über das Schwache siegt, wo die Schöpfung mit Füssen getreten wird. Da gibt es nach wie vor viel zu tun. Da stehen wir als Gläubige in der Verantwortung.

Kritik und Selbstreflexion sind wichtig – auch um Fanatismus vorzubeugen. Eine gleichberechtigte Diskussion mit Andersdenkenden und Andersglaubenden empfinde ich immer als anregend. Sie spornt mich an, Thesen und Meinungen zu hinterfragen. Leider finden solche Diskurse aber viel zu selten statt. Sei es, weil Gläubige – als vermeintlich Auserwählte – sich moralisch über Atheisten aufschwingen oder weil Atheisten mitleidig lächelnd den naiven Gläubigen argumentativ den Kopf tätscheln. Das ist sehr schade, denn weder ein atheistisches noch ein religiöses Weltbild erklärt die Welt und das Leben abschliessend. Wer das behauptet, sollte den Horizont seiner Wahrnehmung überprüfen. Die naturwissenschaftliche Sicht der Dinge steckt diesen Horizont relativ eng ab.

Fragen nach dem Sinn der Existenz, nach einem gelingenden Leben und nach einer Hoffnung über das Leben hinaus, bleiben immer Gegenstand des Glaubens. Nie des Wissens. Auch dann, wenn man vermeintlich nichts «glaubt».

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13 Kommentare
  • Anonymous
    Gepostet um 08:54 Uhr, 04. Oktober

    Meiner Ansicht nach, sind nicht die Atheisten das Problem. Die meisten Athesisten erlebe ich als Suchende, Menschen, die sich intensiv mit der Sinnfrage beschäftigen. Sich mit ihren Frage und Antworten zu beschäftigen, sie ernst zu nehmen kann sehr anregend sein.
    Problematisch sind für mich eher die Toleranten, im Sinne von Gleichgültigen. Sie sind wenig ansprechbar und wenig anregend, eben gleichgültig.
    Zitat:“Eine gleichberechtigte Diskussion mit Andersdenkenden und Andersglaubenden empfinde ich immer als anregend.“ Ja, voll einverstanden. Für mich ist aber eine gleichberechtigte Disskussion mit Mitchristen und „Gleichglaubenden“ mindestens ebenso wichtig. Für mich bedeuten soche Gespräche auch immer Spiegelbilder für meine Art Gott zu sehen und zu erfahren. Darum gibt es für mich kein Solo-Christentum. Darum ist mir die Kirche als Versammlung der Gläubigen und der zum Gespräch anregende Gottesdienst so wichtig.

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    • Werner Kübler
      Gepostet um 14:38 Uhr, 04. Juni

      Also als Atheist ist mir Toleranz ganz wichtig, denn jeder hat seinen privaten Glauben, gegen den ich nicht rational argumentieren kann! Wo ich neben vielen ethischen Punkten Gemeinsamkeiten habe, ist auch, dass sich *unsere“ Staatskirchen von Nichtgläubigen bezahlen lassen! Das ist auch vielen Gläubigen peinlich. Also, lass uns den Staat von der Kirche trennen, und dann kann jeder „nach seiner Façon selig werden“, ohne sich schämen zu müssen!

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  • Mark E. Smith
    Gepostet um 10:10 Uhr, 04. Oktober

    Sie schreiben:

    „Fragen nach dem Sinn der Existenz, nach einem gelingenden Leben und nach einer Hoffnung über das Leben hinaus, bleiben immer Gegenstand des Glaubens. Nie des Wissens. Auch dann, wenn man vermeintlich nichts «glaubt».“

    Interessant wäre nun natürlich noch, wie Sie diese These begründen, weil behaupten kann man vieles! 🙂

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  • Andreas Schweizer
    Gepostet um 15:05 Uhr, 05. Oktober

    Wow! Ganz hervorragend geschrieben, Vielen Dank.

    Ich sehe das genauso. Die Wissenschaft gibt keine abschliessende Antwort auf unsere Welt. Sie ist jedoch die einzige Möglichkeit die wir auf rationaler Ebene haben, Seriöse Wissenschaftler anerkennen dies auch durchaus.

    Unsere (christliche) Ansicht lässt sich (leider) nicht ohne Glauben vermitteln. Die Bibel sagt dies so: „weil wir an Gott glauben, wissen wir, dass die ganze Welt durch sein Wort geschaffen wurde; dass alles, was wir sehen, aus dem Nichts entstanden ist“ Heb.11,3 HfA

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    • Werner Kübler
      Gepostet um 14:41 Uhr, 04. Juni

      So ein bullshit! Nichts kann abschließend beurteilt werden, aber in der Wissenschaft ist der Zweifel immanent und notwendig, im Glauben wird er totgebetet und verteufelt. Dann kommt sowas raus! Gottes Wort wurde von Menschen geschrieben, und ist ein Glaubensbuch! Dazu gibt es eine Alternative, die man nur zur Kenntnis nehmen sollte!

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  • Alexander Erben
    Gepostet um 15:31 Uhr, 05. Oktober

    Glaube ist eine Entscheidung: Entweder man glaubt an etwas, wofür es keine Belege gibt (wovon sich aber auch nicht das Gegenteil beweisen lässt), oder man tut es eben nicht.

    Die Einsicht, dass die Welt nicht bis ins letzte Detail für den menschlichen Verstand erklärbar sein wird, die daraus folgende Demut vor einer Schöpfung ohne Schöpfer, die entsprechende Immunisierung vor einem allzu menschlich-(männlichen) Machbarkeitswahn: das alles funktioniert wunderbar, wenn man nur ein wenig drüber nachdenkt.

    Humanistisch zu denken und zu handeln, ist ebenfalls eine Entscheidung. Entweder man hält alles menschliche Leben für schützenswert, oder eben nicht. Und niemand kann sich bei einer solchen Entscheidung hinter seinem Glauben verstecken, da der Glaube selbst ja bereits auch schon eine Entscheidung ist (siehe oben).

    Fazit: Ganz richtig, Atheismus allein macht niemand zu einem besseren Menschen. Glaube aber genau so wenig. 🙂

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  • Werner Boesen
    Gepostet um 15:04 Uhr, 06. Oktober

    Schon der Volksmund weiß: Der Glaube versetzt Berge! Auch Atheisten glauben, weil sie nicht alles wissen können.. Wichtig ist: Was gibt mir Sinn im Leben und Tod. Letzteres wird besonders bedeutsam, wenn ich einen geliebten Angehörigen zu früh verliere und sich die Frage nach dem Warum stellt. Es schließt sich meist die Frage an: Wer bin ich und wer bist du`? Näheres dazu in meinem gleichnamigen Buch.

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  • MA pol Dragan Pavlovic
    Gepostet um 15:55 Uhr, 06. Oktober

    Joachim Kahl hat in einem Artikel „Ist Atheismus auch nur ein religiöser Glaube?“ hinlänglich beschrieben, dass die oben angeführte Argumentation eine Rückzugsargumentation ist (=Atheisten wüßten auch nicht ob es Gott gäbe oder nicht). Nun Atheisten missionieren nicht, zumindest ist der religiös geprägte Begriff unpassend. Ein Missionsgebot wie in der Bibel existiert nicht. „Atheisten hatten schon immer die besseren Argumente“, wie Schmidt-Salomon sagt, aber eben bisher nur „eine schwache PR (=Public Relations)“. Wenn sich Christen also beschweren, dass Atheisten argumentativ „loslegen“ so ist das in Wirklichkeit ein gutes Zeichen. Das Thema Religion, wie ich es selbst die letzten Jahrzehnte überblicken kann, spielt erst seit dem Ende des Kalten Krieges wieder eine Rolle in der Öffentlichkeit. Ich skizziere das metanalytisch mal so: In den Augen der mächtigsten Christen der Welt (i.e. Amerika) ist der Kampf gegen den Islam – nach dem bedeutenden Untergang des Kommunismus – nun an der Reihe. Ich möchte damit sagen, dass die Christen sozusagen „selbst Schuld“ daran sind, dass Religion negativ in der Öffentlichkeit dasteht. Das massive Bashing des Islam über alle Medien fällt letztenendes auf das Christentum zurück. Gehört es doch selbst in die Reihe der „monotheistischen Problemreligionen“. Christentum, Islam und Judentum an und für sich sind religionsfeindlich in ihrem Kern und tragen den Keim der Selbstzerstörung in sich, dass ist eine weitere These die Joachim Kahl in seinem Video „Atheist wurde ich durch mein Theologiestudium“ auf Youtube ausführt. Die monotheistischen Religionen waren von Anfang an „Gegenreligionen“, also Religionen die „allen anderen“ ihre Religion in rassistischer Art schlechtschwätzen und gleichzeitig selbst psychopathologisch den Abfall vom eigenen Glauben mit strengsten Drohungen und Bestrafungen gegen die eigenen Gläubigen verfolgen. Das Proselytentum wird gefördert aber den Eigenen droht man mit Verdammnis. Man muß den erhofften Untergang dieser Religionen also keinesfalls bedauern. Es würde lediglich eine besonders schwere Form des Chauvinismus seinem natürlichen Ende verloren gehen. In den Augen der Römer war das Christentum zum Beispiel nichts anderes als eine belastende Form des Aberglaubens und des Starrsinns trugen schließlich Christen ihre Verachtung des Heidentums ganz offen und religionsfeindlich zur Schau. Da das Christentum nicht zu den überlieferten Religionen gehörte wurde es Anfangs garnicht als solche Wahrgenommen. Siehe auch im auf meinem Blog unter „Was ist so komisch an diesen Christen?“.

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 15:16 Uhr, 07. Oktober

      Verzeihung, ich lese das immer und immer wieder aber ich verstehe einfach nicht, was an der Ineinandersetzung von Religion und Politik metaanalytisch ist? Diese Religion, die Sie beschreiben, würde auch ich gerne untergehen sehen. Aber ist das nicht eher ein Pappkamerad, den Sie hier aufbauen?
      Sibylle Forrer zieht doch die Grenze dort, wo Religionen, Ideologien oder Weltbilder einen Wahrheitsanspruch im Sinne eines sicheren Wissens geltend machen. Es handelt sich also nicht um religiös-säkulare Konkurrenz, sondern eher um die Unterscheidung zwischen Wissen und Glauben.

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  • Anonymous
    Gepostet um 14:19 Uhr, 07. Oktober

    „Fragen nach dem Sinn der Existenz, nach einem gelingenden Leben und nach einer Hoffnung über das Leben hinaus, bleiben immer Gegenstand des Glaubens. Nie des Wissens. Auch dann, wenn man vermeintlich nichts «glaubt».“

    Nicht ganz… auch Kunst und Philosophie beschäftigen sich mit diesen Fragen und versuchen hier Antworten zu geben: Nut ist Jesus halt bekannter als Kant…
    Finde ich als Pfarrer natürlich gut so, ohne das Eine gegen das Andere ausspielen zu wollen….

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    • Stephan Jütte
      Gepostet um 15:03 Uhr, 07. Oktober

      Ich würde Ihnen, was Kunst betrifft, sofort zustimmen. Aber Philosophie? Ich nehme die Gegenwartsphilosophie eher so war, dass sie in selbstbescheidener Manier gerade auf Antworten auf die Fragen nach einem gelingenden Leben und einer Hoffnung darüber hinaus verzichtet – nicht zuletzt dank Kant.
      Es gibt doch, auch da wo wir keiner Instanz oder Institution noch eine gültige Antwort auf diese grossen Fragen zutrauen, trotzdem diesen Impuls sie zu stellen. Und dann formulieren wir Hoffnungssätze oder schaffen Kunst, die Jenseits aller externen Begründbarkeit in uns gründet. Vielleicht so sehr, dass wir entscheiden, diesem inneren Grund Raum zu geben.

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  • Felix Geering
    Gepostet um 14:44 Uhr, 29. Oktober

    Atheisten glauben nicht nichts (sonst wären sie Agnostiker).

    Atheisten glauben, dass KEIN Gott ist.

    Und manche von ihnen vertreten ihren Glauben mit ziemlich viel Fanatismus.
    Was sie natürlich nie zugeben würden.

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  • Thomas
    Gepostet um 00:37 Uhr, 23. Januar

    Es ist immer schwierig mit Begriffen Klarheit zu schaffen, wenn Begriffe falsch verwendet werden. Atheisten können laut Bedeutung gar nicht missionieren!
    https://de.wikipedia.org/wiki/Mission, (denn Missionieren bedeutet:) Verbreitung einer religiösen Lehre unter Andersgläubigen, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Missionierende_Religion

    Religionen haben den Atheismus erst hervorgebracht! Auch das sollte sich jeder bewußt machen. Ohne Religionen gäbe es KEINEN einzigen Atheisten!
    Nur mal ein Beispiel das wohl jedem das Problem verständlich machen kann: Warum gibt es Autogegner? Jeder wird wohl einsehen, dass erst das Autos erfunden werden musste um seine Gegner hervorzubringen!

    Noch was:: Atheisten sind auch nicht und können auch nicht gegen Gott sein, sondern gegen den Gottesglauben! Schließlich kann man nicht gegen jemanden oder gegen etwas sein den es oder das es nicht gibt.

    Noch was: Gläubige sind IMMER in der Beweispflicht und damit IMMER in Beweisnot. Sie fordern Glauben ein!
    Und manche fordern den Beweis der Nichtexistenz Gottes. Das zeigt am stärksten Ignoranz und Unlogik
    Hier wird das Problem der Umkehr der Beweispflicht deutlic gemacht https://de.wikipedia.org/wiki/Fliegendes_Spaghettimonster.
    Niemand kann die Nichtexistenz des FSM beweisen!

    Gläubige glauben ihren Glauben mit Glauben begründen/beweisen zu können. Und sie sind in höchsten Grade intollerant, weil sie meinen die allein seeligmachende Wahrheit zu besitzen, die für ALLE gelten sollen!

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