Die Kirche hat eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung, als Kirche!
Vor knapp 500 Jahren löste der Rat der Stadt Zürich die reformierte Kirche aus der universalen Kirche unter römischer Herrschaft heraus und unterstellte sie dem Zürcher Staat. Die Verbundenheit mit der weltweiten Kirche wurde zu Gunsten der lokalen Verbundenheit gelockert, was dem Kanton Zürich und seiner Kirche es ermöglichte, lokal angepasste Lösungen für drängende kirchliche Probleme zu finden und so die Kirche zu reformieren. Die Verbundenheit mit der weltweiten Kirche wurde dabei keineswegs aufgegeben, was sich am Einfluss insbesondere Heinrich Bullingers eindrücklich aufweisen lässt. Sie wurde jedoch auf eine andere Grundlage gestellt, die schliesslich nach 450 Jahren in die Formel der Leuenberger Konkordie mündete, die von Einheit in versöhnter Verschiedenheit spricht. Solche Einheit konnte eindrücklich am feierlichen Gottesdienst zu 500 Jahre Reformation am 18. Juni dieses Jahres im Berner Münster erlebt werden. Auch wollen wir weiterhin an der Versöhnung arbeiten, wie sie 1973 mit den Lutheranern und 2004 mit den Täufern gefunden werden konnte, und wie sie ein Postulat der Zürcher Delegation zum Thema „healing of memories“ fordert, das an der AV SEK vom 19. Juni überwiesen worden ist. Damit kann auch weiter entwickelt werden, was die Zürcher Kirche in der Kirchenordnung Art. 3, Absatz 2 bekennt, nämlich dass sie „im Sinn des altchristlichen Bekenntnisses Teil der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche“ sei.
Seit knapp 10 Jahren ist aber auch die lokale Beziehung zum Zürcher Staat auf eine neue Grundlage gestellt worden. Die Zürcher Staatsverfassung und das entsprechende Kirchengesetz betrachten nun die reformierte Kirche zwar als eine öffentlich-rechtliche Institution, und zwar die Landeskirche selber und je die Kirchgemeinden, aber alle zusammen gewissermassen auch von aussen. Das staatliche Recht anerkennt das Kirchesein an sich aber auch als eigenen Wert, was sich in gewissen Privilegien ausdrückt, etwa der Besteuerung der juristischen Personen, der Möglichkeit zur Seelsorge in Institutionen, der weitgehend autonomen rechtlichen Gestaltung. Vor allem aber darf und muss die reformierte Kirche im Kanton Zürich für ihren Unterhalt und ihren Fortbestand selber sorgen, nicht ohne dass der Staat gewisse Leistungen mit Beiträgen unterstützen kann. Welche das sind und wie hoch die Unterstützung sein soll, dazu wurde die Studie des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit den kirchlichen Körperschaften erhoben.
Man konnte die eindrücklichen Zahlen lesen, die in den Medien etwa unter dem Titel „Die Kirchen sind ihr Geld wert“ zusammengefasst worden sind. Die Studie geht dabei methodisch sehr streng vor, indem sie sich auf gesamtgesellschaftliche Leistungen beschränkt, die sich explizit an alle Menschen richten. Dazu können bemerkenswerterweise, im Unterschied zur negativen Zweckbindung der juristischen Kirchensteuern, auch kultische Leistungen mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung gezählt werden. Gerade dort aber, wo sich die Angebote hauptsächlich an die Mitglieder richten, können sie aus methodischen Gründen nicht gerechnet werden. Das ist zugegeben streng, und umso beachtlicher ist es, dass die Kirchen trotzdem mit ihren gesamtgesellschaftlichen Leistungen höher sind, als der Staat dazu beiträgt.
Das entspricht dem Selbstverständnis der Volkskirchen, die ihren Auftrag darin sehen, das Evangelium dem ganzen Volk zu verkündigen in Wort und Tat, ohne damit die Absicht zu verbinden, auch das Volk für ihre Kirche gewinnen zu müssen. „Mission“ wird damit als Sendung zum Volk verstanden und von der direkten Mitgliederwerbung entkoppelt. Die Kirchen können es sich leisten, grosszügig zu sein, was nicht zuletzt auch ein struktureller Ausdruck der gelebten Gnade Gottes ist. Das ist keineswegs selbstverständlich gerade in einer Zeit des Mitgliederschwunds, der allerdings seit über 50 Jahren anhält, und mittlerweile auch bei den Katholiken erstmals seit längerem für eine negative Bilanz gesorgt hat. Man könnte ja durchaus erwarten, dass sich die Kirchen wieder vermehrt um sich selber kümmern müssen. Dass sie etwa um den Bestand ihrer Kirchgemeinden, ihrer Gottesdienstorte, ihrer Stellen kämpfen müssen, sich auf das „Kerngeschäft“, wie es dann manchmal heisst, zurückziehen. Damit würde allerdings die Anerkennung als öffentliche Körperschaft und auch die entsprechenden Beiträge künftig in Gefahr stehen. Das Sich-um-sich-selber-kümmern würde sich nachgerade kontraproduktiv auswirken, immerhin stehen Beträge von über 90 Millionen jährlich allein für die reformierte Kirche zur Debatte. Solche Beträge können nie und nimmer durch Spendenaktionen und Fördervereine kompensiert werden. Vor allem aber widerspricht eine Rückzugshaltung dem Auftrag und dem Geist der Zürcher Kirche. Es kann und darf gerade in Zukunft nicht darum gehen, das eigene Kirchesein bzw. Kirchgemeindesein um jeden Preis erhalten zu wollen und dabei den offenen Auftrag für das ganze Volk und den Bezug zur universalen Kirche zu gefährden. Jede Kirchgemeinde oder auch die Landeskirche ist wohl ganz Kirche, aber nie die ganze Kirche. Vielmehr soll der Bezug zum Kanton und zu den politischen Gemeinden dem Auftrag dienen, wie ihn Artikel 5, Absatz 1 und 2 der Kirchenordnung formuliert: „Die Landeskirche ist den Menschen nah und spricht sie in ihrer Vielfalt an. Als Volkskirche leistet sie ihren Dienst in Offenheit gegenüber der ganzen Gesellschaft durch…“ und dann werden die Handlungsfelder sinngemäss aufgezählt, wie wir sie kennen.
Unzählige Mitarbeitende haben Leistungen und Angebote eingetragen, was „nebenbei“ auch zur Feststellung von über 900‘000 Freiwilligenstunden geführt hat, die etwa 400 Vollzeitstellen pro Jahr entsprechen, allein bei den Reformierten! Diese Mitarbeitenden und Freiwilligen sind es, die das offene, den Menschen zugewandte Gesicht der Landeskirche und der Kirchgemeinden verkörpern, die sich „den Menschen verpflichten“, wie es die Berner Kirche sagt. Gerade an sie haben wir zu denken, wenn wir an den Reformen in unserer Kirche arbeiten. Unsere Mitarbeitenden brauchen Wertschätzung, aber auch eine Zukunftsperspektive, die sich den inhaltlichen und strukturellen Herausforderungen der Zukunft stellt.
Studie „Kirchliche Tätigkeiten mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung im Kanton Zürich“ von der Universität Zürich, Institut für Politikwissenschaft, pdf Kirchenordnung der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich (vom 17. März 2009), pdf Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (AV SEK) Artikel in der NZZ „Zürcher Kirchen leisten mehr für die gesamte Gesellschaft, als sie vom Staat dafür erhalten“ vom 27.6.17 SRF, Regionaljournal Zürich Schaffhausen, „50 Millionen für Zürcher Kirchen gerechtfertigt“ vom 27.6.17 (Audiobeitrag) Artikel in der Zürichsee-Zeitung „Studie: Staatsbeiträge an Zürcher Landeskirchen sind gerechtfertigt“ vom 27.6.17 Blog abonnieren Alle Beiträge ansehen Links zum Thema:
http://bit.ly/2ss1plR
http://bit.ly/2sQFDrt
http://bit.ly/2tVAUK8
http://bit.ly/2tMGTjS
http://bit.ly/2sQAlfN
http://bit.ly/2uu4bbZ
Esther Gisler Fischer
Gepostet um 08:57 Uhr, 07. JuliDanke Michel für diesen deinen ‚Tour d’Horizon‘!
michael vogt
Gepostet um 21:57 Uhr, 07. Juliam siebten siebten darf vielleicht eines noch gesagt werden: zu den herausforderungen der zukunft gehört die reintegration des magischen. das alttestamentliche bilderverbot und der bildersturm vor 500 jahren haben vieles herausgesiebt. es geht nicht nur darum, dass die kirchen sich getrennt haben und wieder vereinigen, dasselbe gilt auch für die religionen und für das verhältnis von religion und nicht-religion. wir heissen beide mi cha el: wer ist wie el? die ganze schöpfung als gleichnis. das desinteresse von personen unterhalb des pensionsalters etc sehe ich nicht zuletzt darin begründet, dass die kirchliche lehre davon ziemlich weit entfernt ist.
Wilma Willi-Bester
Gepostet um 11:46 Uhr, 08. JuliMichel, auch ich danke. Die Kirche ist zum Glück auch heute noch für die Menschen da und nicht um sich selber zu retten, sich zu profilieren oder sogar gewinnorientiert zu denken. Wenn ich die Präambel zur Bundesverfassung lese, bin ich dankbar, dass die Kirche und die Freiwilligen sich heute zum Glück noch in diesem Sinne engagieren.
„Im Namen Gottes des Allmächtigen!
Das Schweizervolk und die Kantone,
in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung,
im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken,
im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben,
im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen,
gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen,
geben sich folgende Verfassung1:“
Corinne Duc
Gepostet um 20:17 Uhr, 08. JuliVerfassung des Kantons Zürich
Präambel
Wir, das Volk des Kantons Zürich,
in Verantwortung gegenüber der Schöpfung
und im Wissen um die Grenzen menschlicher Macht,
im gemeinsamen Willen,
Freiheit, Recht und Menschenwürde zu schützen
und den Kanton Zürich als weltoffenen, wirtschaftlich, kulturell und
sozial starken Gliedstaat der Schweizerischen Eidgenossenschaft
weiterzuentwickeln, …
Aber die Zürcher Landeskirche ist schliesslich für alle da (vielleicht finden Sie in der Predigerkirche was sie suchen?)