Die schöne Schwester in Rom

Ich sitze im Kaffee an der Strassenecke bei unserer Pension in Trastevere, einem lebendigen und mittlerweile etwas touristischen Quartier Roms. Ich liebe Rom! Ich mag die Gelassenheit und Fröhlichkeit des Aperitivos, den milden Herbst, das bezaubernde Licht in dem die antiken Bauten schimmern und ganz besonders die grosszügige Weite des römischen Barocks. Vor allem die Papstbasiliken: Riesige, geschmückte Hallen mit zahlreichen Kappellen, mit Reliquien, betenden und fotografierenden Menschen, Prunk und Schönheit im Überfluss – strahlend – zum Gebet knieende Menschen – ganz innerlich.

Gestern haben wir die Scala Santa besucht. Der Überlieferung nach soll Jesu Kreuzweg hier begonnen haben. Kaiserin Helena, Konstantins Mutter, soll sie im vierten Jahrhundert von Jerusalem nach Rom gebracht haben. Fast 1200 Jahre später ist Martin Luther betend diese Treppe auf seinen Knien hinaufgestiegen. Mich berühren solche Bauten. Weniger wegen ihrer Geschichte, sondern vor allem wegen den Menschen, ihrem Glauben, Hoffen und Beten. Es rührt mich an und ich fühle mich ihnen tief verbunden. Ob Jesus je auf dieser Treppe stand? Egal: Ich spüre ihn in den betenden Menschen. Und für einen Moment liebe ich dieses Katholische. Es ist so erlebbar, greifbar, spürbar.

Nur einen Moment später werden wir gebeten zu gehen. Meine Frau sei angezogen wie in der Diskothek. Das habe hier nichts zu suchen. Sie trägt einen Knöchellangen Rock und ein T-Shirt mit Ärmeln. Aber die Nonne lässt nicht mit sich reden. Sie ist unerbitterlich. Und da ist es wieder: Dieses rigide Christentum, das öffentlich einen Menschen, dem das wirklich etwas bedeutet hat, bloss stellt. Nur keinen Körper, nur keine Schönheit, nur alte, in Verbitterung versteinerte Demut, die längst übermütig geworden ist.

Wir gehen weiter in die Basilica San Giovanni in Laterano. Beide Seiten des Hauptschiffes sind durch die Apostel eingerahmt. Sie sind wunderschön! Wie antike Athleten blicken sie auf uns herab. Gestählte Körper, filigrane Gesichtszüge, mehr laszive Nacktheit als Kleidung. Ob heute jemand solche Kunst in eine Kirche stellen dürfte? Ob wir heute in dieser Schönheit der Körper die Feier der Schöpfung erkennen könnten? Wohl kaum. Zeitgenössische sakrale Kunst ist entweder abstrakt oder kitschig. Und das passt in eine Zeit, in der nackte Körper meist entweder Photoshop-Produkte oder Pornografie sind.

Aber die schöne Schwester in Rom bewahrt – vielleicht gegen ihren Willen – eine Schönheit, die nicht unschuldig, nicht göttlich, sondern über beidem menschlich ist und das Heilige erahnen lässt.

Die Meinung des Autors in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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6 Kommentare
  • michael vogt
    Gepostet um 12:58 Uhr, 02. Oktober

    man müsste mehr wissen über die kleidung, die nicht in frage kam – kann das aber nicht, weil die person, die sie trug, bekannt ist. bei der omnipräsenz optimierter körper sind mir orte, wo es mal nicht darum geht, sympathisch. es gäbe einen dritten weg zwischen mutmasslich verbitterter demut und doch etwas touristischer romreise. wie immer die reisenden dorthin gelangt sind, es stellt sich die frage nach der verhältnismässigkeit.

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  • Christian Metzenthin
    Gepostet um 19:40 Uhr, 02. Oktober

    Historisch kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass Jesus nie auf der Scala Sancta stand.

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  • René D.Gorsatt
    Gepostet um 12:41 Uhr, 04. Oktober

    Jütte ist ein Apostel des Sex Drugs and Rock’n Roll.

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    • stephan jütte
      Gepostet um 18:07 Uhr, 04. Oktober

      das stimmt überhaupt nicht! … bestenfalls ein jünger?

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    • michael vogt
      Gepostet um 23:47 Uhr, 05. Oktober

      doch gar nicht schlecht gesagt: es muss an etwas gerüttelt werden, damit es ins rollen kommt: an unserem verhältnis zum sex, zu drogen, zb ihre alternative körpereigene drogen. . .

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    • michael vogt
      Gepostet um 04:08 Uhr, 06. Oktober

      @stephan jütte: hier haben Sie sympatisch und liebenswürdig gerüttelt: karl barth kann man nur als gesamtpaket einkaufen. und zwar im sinne barths selbst, der im hohen alter sagte, dass er seine kirchliche dogmatik vielleicht neu schreiben müsste, mehr vom heiligen geist her und so mehr unter berücksichtigung anderer religionen. epistemologisch heisst das meiner meinung nach, auf die offenbarung zurückgehen, was dann noch die frage stellt, ob die rede von gott, das wort gott das ist, was sich offenbart. der begriff der offenbarung könnte auch in frage gestellt werden, nur weiss ich nicht, was dann. mehr von der ruah her könnte dann auch zu einer alternative zum rauch (tabakpfeife) führen, in kombination mit der berücksichtigung anderer religionen vielleicht sogar zur alternative zur – ua/au – zweiten frau. nicht nur die frage, ob die andern das – apriorisch oder aposteriorisch – auch haben, sondern auch die frage, ob sie vielleicht etwas haben, was wir nicht haben. und entsprechend eben nicht nur die frage, wie la ménage à trois sich auf seine theologie ausgewirkt hat, sondern auch, wie seine theologie sich auf die ménage ausgewirkt, sie begründet hat. dazu ein hinweis im vorangehenden: christiane tietz sagt sinngemäss, ein niederländer habe die theologie barths eine bergtheologie genannt. ihre ergänzung durch eine taltheologie hätte ihn weniger abhängig von den frauen gemacht.
      https://www.youtube.com/watch?v=tLBiEVNVj6s&list=PLI-e6TPQmLfKLGDVemXI8Kx4GJ9PV7fO7 > 1:04:56

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