Ein unbarmherziger Samariter
Der reformierte Stadtverband steigt aus dem Fachbereich der Nachbetreuung von Suizidbetroffenen aus.
Pauschale Analogien zu biblischen Geschichten sind meist etwas heikel. Denn damit packt man die „religiöse Keule“ aus. Und einerseits stellt man sich selbst in eine bestimmte religiöse Ecke; andererseits besteht die Gefahr eines Totschläger-Arguments, was den Dialog kaum fördern dürfte. Und trotzdem kann ich mich in diesem Fall des Vergleichs nicht erwehren.
Denn bei den Betroffenen haben wir es, wie in der Geschichte des „barmherzigen Samariters“ im Neuen Testament (nachzulesen im Lukas-Evangelium) mit Menschen zu tun, die beraubt wurden. Zwar nicht materiell, aber mit dem Suizid eines Menschen in ihrem Umfeld eines lebendigen Teils ihres Lebens. Vielleicht einer Freundin, eines Partners, ihrer Frau, einem Elternteil oder ihres Kindes. Und mit dem eigentlichen Verlust nicht genug: Die Fragen, die mit der Selbsttötung aufkommen, Selbstvorwürfe und Schuldgefühle, prügeln oft erbarmungslos auf sie ein.
Und diese Menschen, beraubt und geschlagen, liegen sprichwörtlich an unserem Wegrand. So ist die Schweiz, trotz leicht sinkenden Suizid-Raten in den letzten Jahren, in dieser Hinsicht noch immer über dem europäischen Durchschnitt.
Bei der Abschaffung einer Fachstelle für Menschen, die in ihrem Umfeld von einem Suizid betroffen sind, argumentiert der Verband der reformierten Kirchen der Stadt Zürich nun, dass eine zentrale Anlaufstelle für Suizidbetroffene nicht mehr zu den Kernaufgaben gehöre, dies aber auf lokaler Ebene abgefangen werde – und dass es da auch noch andere Organisationen gebe.
Wer ist mein Nächster, den ich lieben soll wie mich selbst? Das war die Frage an Jesus, die er mit der Geschichte des barmherzigen Samariters beantwortete. Und wie der Priester und der Tempeldiener in der Geschichte geht hier die Kirche an den Menschen vorbei, die am Wegrand liegen. Und egal mit welchen Ausflüchten man dieses Verhalten auch zu begründen versuchen mag: Es ist schlicht unbarmherzig – und steht damit einer Kirche in der Nachfolge Jesu Christi nicht an. Selbst wenn es nicht zu unseren Kernaufgaben als Kirchen zählen würde (was ich schwer zu bezweifeln wage), so wäre es doch unser Auftrag – sowohl lokal, als auch mit einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive.
Wir müssen ab und an unseren Weg unterbrechen und verlassen, um unseren Mitmenschen zum Nächsten werden zu können. Und genau das ist auch der Auftrag, den Jesus den damaligen Zuhörern und uns heute als Leser gibt: „Geh auch du und handle ebenso!“ Nicht wie die beiden ersten, sondern wie der barmherzige Samariter. Der hatte vermutlich auch Pläne und war nicht rein zufällig unterwegs, genau wie die beiden anderen. Aber er liess sich von der Not seines Mitmenschen in diesen unterbrechen.
Strukturen und Strategien, die es nicht mehr erlauben, anzuhalten und zu helfen, sind einer Kirche schlicht unwürdig. Denn ansonsten setzen wir an die Stelle des Gebots der Nächstenliebe unsere Pläne und Vorstellungen. Und vergessen damit, wer eigentlich Herr und Haupt der Kirche ist, wodurch die Kirche zum sprichwörtlichen Paradox wird: Zu einem unbarmherzigen Samariter, der einmal barmherzig war – nun aber sich lieber nicht mehr in seinen Reiseplänen unterbrechen lassen möchte von der Not der Menschen unterwegs.
Martin Peier, Geschäftsleiter des hier erwähnten Verbandes der reformierten Kirchen der Stadt Zürich, zum Sachverhalt im eigenen Blogbeitrag: Blog abonnieren Alle Beiträge ansehen
«Struktur gegen Menschen?»
Jürg Hürlimann
Gepostet um 07:04 Uhr, 03. FebruarIch gehöre auch zu den Mitgliedern der Reformierten Kirche, für welche der Abbau von Angeboten der Kirche kein Tabu ist. Wenn die finanziellen Mitteln der Kirche knapper werden, ist eine Konzentration dieser Mittel unumgänglich und kann nicht mehr jedes „Nice to have“ gepflegt werden. Andererseits erinnere ich mich daran, wie ich mich als Synodaler für die Synode (und den antragstellenden Kirchenrat) schämte, als die Reformierte Kirche des Kantons Zürich vor einigen Jahren aus dem ökumenischen AIDS-Pfarramt ausstieg. Ich sehe, mindestens auf den ersten Blick, eine Parallele zum Ausstieg aus der zentralen Anlaufstelle für Suizidbetroffene.
In beiden Fällen kann man sich auf den Standpunkt stellen, es gäbe Gemeinde- und Spitalpfarrämter, welche AIDS- und Suizidbetroffene seelsorgerlich begleiten könnten und dies auf Wunsch zweifellos auch täten. Aber dies greift zu kurz. Auch verstehe ich die Argumentation des Stadtverbandes – sofern sie von Michael Wiesmann richtig wiedergegeben wurde – nicht, die Beteiligung an der Nachbetreuung von Suizidbetroffenen gehöre nicht zu den „Kernaufgaben“. Bislang bin ich davon ausgegangen, Seelsorge und Diakonie seien das zentrale Anliegen einer christlichen Kirche. Der Stadtverband bereitet die Gründung der grossen reformierten Kirchgemeinde Zürich vor. Es gibt auch ausserhalb der Finanz- und Liegenschaftenverwaltung Aufgaben, bezüglich deren es sich – bei allem Respekt vor den seelsorgerischen und diakonischen Leistungen in den künftigen zehn Kirchenkreisen – lohnen könnte, über zentrale Angebote der gesamten künftigen Kirchgemeinde nachzudenken.
Michael Wiesmann
Gepostet um 08:37 Uhr, 03. FebruarLieber Herr Hürlimann
Zu Ihrer Frage, ob ich das richtig wiedergegeben habe mit den Kernaufgaben nur soviel: Wenn das komplett falsch wäre, hätte das hier nicht erscheinen dürfen. Die genaue Formulierung ist letztlich eine Interpretationsfrage. Tatsache ist, dass seitens des Stadtverbandes wiederholt geäussert wurde, dass zentrale Basis-Arbeit nicht mehr in den neuen Strukturen vorgesehen ist.
Beste Grüsse
Michael Wiesmann
Barbara Oberholzer
Gepostet um 09:17 Uhr, 03. FebruarHoi Jürg, jetzt wollte ich nach der ersten Lektüre bloss noch ein schnell ein Caffé trinken – und schon steht alles da ?! Die Nachbetreung Suizidbetroffener ist klar Seelsorge. Und natürlich unterstützen wir solche Menschen sowohl in Spital wie Gemeinde – wenn wir sie denn kennen! Soviel ich weiss, arbeitet die Fachstelle überkonfessionell, vernetzt und berät auch Menschen, die genau über die in der Begründung erwähnten persönlichen Kontakte nicht verfügen – Dienst an der Gesellschaft! Ich wünschte mir sehr, der ref. Stadtverband würde seine Entscheidung nochmals überdenken. Ich finds schwierig, wenn die Kirche einerseits Staatsbeiträge erhält und dann genau solche Stellen abbaut.
Barbara Oberholzer
Gepostet um 20:58 Uhr, 03. FebruarStephan Jütte hat in seinem letzten Beitrag vom kontaminierten Christentum geschrieben. Die Kontamination hier sehr ich weniger in der Geringschätzung von Seelsorge, was auch der Stadtverband nicht ernsthaft meinen kann. Sondern im Nicht-Gefeitsein davor, in der eigenen Blase zu leben. Sich offenbar nicht mehr zu fragen, wie was kommuniziert werden sollte, wie was bei andern ankommen, welche politischen Folgen es nach sich ziehen könnte. In welchem Licht sich Kirche da präsentiert. Und solche Tendenzen erlebe ich nicht nur beim Stadtverband, imfall. Schade.
Andreas Losch
Gepostet um 07:37 Uhr, 03. Februar„…argumentiert der Verband der reformierten Kirchen der Stadt Zürich nun, dass eine zentrale Anlaufstelle für Suizidbetroffene nicht mehr zu den Kernaufgaben gehöre, dies aber auf lokaler Ebene abgefangen werde – und dass es da auch noch andere Organisationen gebe.“ Vielleicht blogt auch der Verband mal öffentlich über seine Beweggründe, sind sie nun stimmig oder nicht? Wie soll man sich sonst dazu ein Urteil bilden? Wäre schön.
Michael Wiesmann
Gepostet um 08:33 Uhr, 03. FebruarLieber Herr Losch
Um genau so eine Antwort seitens Stadtverband geht es mir (unter anderem) mit diesem Artikel.. In der Hoffnung, es kommt mal etwas dazu, das nicht schon die letzten 10x mantra-artig wiederholt wurde. Durch Wiederholung wird es nämlich weder schlüssiger noch klarer. Sagen wir mal: Wir dürfen gespannt sein.
Beste Grüsse
Michael Wiesmann
THOMAS GROSSENBACHER
Gepostet um 09:07 Uhr, 03. FebruarDie Synode hat kürzlich den Zusammenschluss fast aller Kirchgemeinden zu einer Kirchgemeinde Stadt Zürich beschlossen. In diesem wichtigen Geschäft ging und geht es um weit mehr, als um eine Fusion von Gemeinden. Viele aber meinen das leider immer noch. Es geht um eine grundsätzliche Reform der Kirche in der Stadt und darüber hinaus.. Es geht um das „semper reformanda“ der Kirche.
Die Mitglieder der Kirche in der Stadt haben genau das in der längst zurückliegenden Konsultativabstimmung als Ihren Willen zum Ausdruck gebracht. Die Kirche soll sich neu und zeitgemäss in der Gesellschaft aufstellen! Die territoriale Frage ist darunter nur eine. Ich meine sogar eine zweitrangige. Die Kirche muss dort sichtbar sein und werden, wo sie dies im Sinne des Evangeliums zu sein hat. Es ist sehr zu hoffen, und dahingehend kirchenpolitisch zu abreiten, dass Kernaufgaben (wie z.B. die hier erwähnte) weiterhin erfüllt werden können. Wenn der Stadtverband, der sich sowieso auflöst eine Aufgabe abgibt, soll und darf das nicht heissen, dass nun diese Arbeit (zu Gunsten der Angehörigen von Menschen, die durch Suizid gestorben sind !) jetzt beendet ist. Diese Seelsorge-Aufgabe ist ja auch nicht nur eine der Kirche in der Stadt.
Ich lade die Synodalen dazu ein, die Dringlichkeit dieser Aufgabe zu thematisieren und zusammen mit der Exekutive nach Lösungen zu suchen, wie diese und andere wichtige Aufgaben weiterhin lebendig wahrgenommen werden können.
Was einst in „Kirche + Jugend“ durch seinen initiativen und bewährten Stellenleiter seinen Anfang genommen hat, soll weiter gehen, auch wenn es diese Anlaufstelle beim Limmatplatz nicht mehr gibt. Ihm gebührt in aller Öffentlichkeit Lob für das Geleistete.
Die Kirche steht in der Verpflichtung, solch zentrale Aufgaben, bedürfnisorientiert weiterzuführen und weiterzuentwickeln. Auch gehört dazu neue Themen zu erkennen und sich ihnen zu stellen.
Anita Ochsner
Gepostet um 09:23 Uhr, 03. FebruarIch möchte diese Worte klar bestärken. Denke da auch weiter, was bedeutet dieser Entscheid allenfalls für andere Orte?! Würde da ein Nachzieheffekt entstehen?
Dass wichtige wertvolle zentrale Dienste, die auch andere anbieten, gestrichen werden?! Daher diese Worte: „Die Kirche muss dort sichtbar sein und werden, wo sie dies im Sinne des Evangeliums zu sein hat. Es ist sehr zu hoffen, und dahingehend kirchenpolitisch zu abreiten, dass Kernaufgaben (wie z.B. die hier erwähnte) weiterhin erfüllt werden können.“ Und weiter.. Danke dafür!
michael vogt
Gepostet um 12:26 Uhr, 03. Februarvotiert der verschreiber für reittherapie
michael vogt
Gepostet um 12:27 Uhr, 03. Februar?
Corinne Duc
Gepostet um 11:06 Uhr, 03. FebruarAuch wenn es sich gewiss um ein wichtiges Thema handelt bedaure ich sehr die Art und Weise, wie das Thema hier aufgerissen wird – so ganz ohne Hinweis auf weiterführende Quellen, die u.a. auch Hinweise darüber geben könnten wie diese Stelle bisher beutzt wurde.
Wenn es sich de facto um ein völlig konfessionsunabhängiges Angebot handelt, ist es sicher auch sinnvoll darüber nachzudenken ob es nicht besser in überkonfessioneller Trägerschaft besser aufgehoben wäre; und wenn es nur sehr selten genutzt wird, ist eine kantonale. Lösung m.E.. erwägenswert.
Vielleicht ist es eine gute Lösung, die im Tagi-Artikel (im Kasten) erwähnt wird:
„Nachfolgeprojekt / Hilfe mit Polizisten
Jörg Weisshaupt ist dabei, mit dem Schwerpunktprogramm «Suizidprävention» des Kantons Zürich ein neues Projekt in der Suizidnachsorge aufzugleisen. Bisher war es so, dass sich Beamte der Kantonspolizei Zürich zwei, drei Tage nach einem aussergewöhnlichen Todesfall bei den Hinterbliebenen meldeten. Weisshaupts Projekt zufolge sollen sie neu 10 bis 14 Tage nach einem Suizid bei den Angehörigen nachfragen, ob sie von einem Fachmann in der Person von Jörg Weisshaupt beraten werden wollen. Das Projekt stützt sich auf amerikanische Studien, die besagen, dass «survivors» nach einem Suizid in der Regel vier Jahre warteten, bis sie psychologische Hilfe beanspruchten. Die Trauer nach einem Suizid sei meist kompliziert, weil schuldbeladen. Das Projekt soll den Hinterbliebenen die Chance geben, bald nach dem Suizid die Trauerarbeit anzugehen. (mm) „
Michael Wiesmann
Gepostet um 12:49 Uhr, 03. FebruarLiebe Frau Duc
Das ist ja das Problem: Man erfährt selbst als Synodaler per Zufall durch die Tagespresse von solchen Beschlüssen. Deshalb ist mein Artikel kein Aufriss, sondern eine dezidiert theologisch begründete Nachfrage.
Ja, Jörg Weisshaupt führt die Arbeit weiter – aber ohne kirchliche Trägerschaft bisher. Meines Erachtens wäre es gerade bei einem Projekt von überkonfessioneller Bedeutung in der Verantwortung der bisherigen Trägerschaft (Stadtverband) gewesen, eine neue, breiter abgestützte Trägerschaft zu schaffen, bevor der Fachbereich einfach eingestellt wird.
Aber ich denke, wir sind uns inhaltlich eigentlich einig. Deshalb hoffe ich, dass aus dieser Debatte eine neue Lösung entstehen kann für diese wertvolle und wichtige Arbeit.
Mit bestem Gruss
Michael Wiesmann
Corinne Duc
Gepostet um 13:46 Uhr, 03. FebruarMir erscheint dieser Beitrag wirklich vielmehr als Form tendenziöser und pauschalisierter Unterstellungen. Konkrete Rückfragen hätten m.E. seriöserweise allerdings vorhergehend vorgenommen werden sollen.
Michael Wiesmann
Gepostet um 13:59 Uhr, 03. FebruarLiebe Frau Duc
Was bitte daran ist pauschal oder gar tendenziös? Die Nicht-Weiterführung des Fachbereiches im Stadtverband, ohne dass eine Nachfolge-Lösung gefunden wurde, ist schlicht und ergreifend Fakt. Genau das – und nichts anderes – thematisiert dieser Artikel.
Das hat weder etwas mit Tendenzen noch mit Pauschalisierung zu tun. Im besten Falle mag Ihnen meine theologische Interpretation dieses Sachverhaltes nicht behagen. Aber dann melden Sie bitte die Kritik auch auf dieser Ebene an. Ansonsten gilt für die dasselbe, was Sie mir unterstellen.
Konkrete Rückfragen wurden dementsprechend mit pauschalen Phrasen beantwortet. Dass der Stadtverband bisher Mühe zeigt, den Entscheid anders als strukturell fokussiert zu begründen, ist leider bisher ebenfalls Fakt. Ich hoffe sehr, dass sich das hier ändert.
Aber bisher wagt es ja kaum ein*e Kritiker*in meines Artikels hier über ein „falsch“ hinaus persönlich zu Wort zu melden. Von daher ist es richtig und gut, dass Sie hier nachfragen. Dasselbe dürfen Sie übrigens auch gerne beim Stadtverband. Ich bin gespannt auf Antworten.
Beste Grüsse
Michael Wiesmann
Corinne Duc
Gepostet um 21:22 Uhr, 04. FebruarAnderen Unbarmherzigkeit vorzuwerfen ist zwar ein erfolgversprechendes Mittel um Aufmerksamkeit und Popularität zu erlangen. Aber als „theologisch fundiert“ in einem guten reformatorischen Sinn würde ich das nicht bezeichnen; und erst nicht als „dezidiert theologisch begründete Nachfrage“. Mir schiene es vielmehr angemessen und für offene Diskussionen zweckdienlich, wenn Sie sich für diese Unterstellungen entschuldigen könnten.
Unter den Lehren, die wir aus diesem Tohuwabohu ziehen sollten, scheint mir v.a. wichtig: nie einen Blog veröffentlichen ohne vorher über das Thema gründlich recherchiert oder nachgefragt zu haben; speziell auch nicht bloss wegen zurückhaltender Kommunikation mit Kanonenkugeln auf Organisationen oder Personengruppe schiessen – auch nicht im übertragenen Sinn und mit „wenn“ und „aber“ bespickt – , denn es könnte ja auch achtenswerte Gründe dafür gegeben haben.
Michael Wiesmann
Gepostet um 23:44 Uhr, 04. FebruarLiebe Frau Duc
Schauen wir doch mal etwas genauer hin…
1. Ich habe niemanden ad personam Unbarmherzigkeit vorgeworfen, sondern Strukturen als solche kritisiert.
2. Welche Unterstellung bitte? Die der strukturellen Unbarmherzigkeit? Bei wem sollte ich mich da entschuldigen? Bei den Strukturen? Dafür, dass ich diese als unbarmherzig empfinde, und das theologisch begründe?
3. Wie genau kommen Sie darauf, dass ich nicht recherchiert hätte? Weil ich nicht mit Interna und Informationen über Einzelpersonen um mich werfe, um den Verdacht von meiner Person abzulenken? Ich habe mich bewusst – und übrigens in Absprache mit der Kommunikationsabteilung der GKD, welche die Publikation dieses Blog-Artikels gutgeheissen hat – auf eine einzige Faktenlage bezogen und diese kritisiert: Nämlich, dass die neuen Strukturen in der Stadt Zürich keine zentralen Anlaufstellen mehr bieten im Sinne von „Basisarbeit“. Dies entspricht übrigens auch der wiederholten Aussage von Martin Peier.
4. Das Tohuwabohu nun mir anzulasten, ist ziemlich billige Sündenbock-Politik. Hätte der Stadtverband proaktiv, transparent und nachvolliziehbar informiert, hätte ein Artikel wie derjenige von Michael Meier im TA kaum mehr Staub aufgeworfen und ein Beitrag wie der meine hätte sich zum Vornherein erübrigt.. Die Menge an Staub, die jetzt umherfliegt kommt vielleicht von dem, was man lieber unter den Teppich gefegt hätte.
Man kann es subjektiv ja auch nicht verdenken: Es ist offensichtlich, dass der Entscheid an sich weder sonderlich populär noch leicht zu begründen ist (wenn man mal inhatlich und nicht rein strukturell denkt wenigstens). Dennoch – und erst recht nach dem Vorschuss-Vertrauen, das die Synode der künftigen Sachgemeinde mit dem Beschluss zur Vereinigung ohne Vorliegen einer Gemeindeordnung gegeben hat – wäre es nicht nur der Vertrauensbildung dienlicher, sondern schlicht eine Bringschuld der Verantwortlichen, Ihr Vorgehen und die Kommunikation desselben derart zu gestalten, dass man als Synodaler solche Dinge nicht aus der Tagespresse erfahren muss.
Wo das passiert, ist der Schaden schon da. Und dann scheint es mir sinnvoller, den Dialog offen und möglichst vorbehaltlos auf innerkirchlichen Plattformen (wie z.B. diesseits.ch eine ist) zu führen. Und auch wenn ich nicht sonderlich glücklich bin mit der Antwort, finde ich es doch erfreulich, dass sich der Stadtverband mit Martin Peier auf diesen Dialog eingelassen hat. Nun noch ein bisschen weniger Apologetik, und dann hätten wir einen richtigen Diskurs.
Reinhard Rolla
Gepostet um 11:22 Uhr, 03. FebruarDas ist meiner Meinung nach auch ein Appell an die Ausbildung zur Pfarrerin/zum Pfarrer: Weniger „Theologie“ als viel mehr SEELSORGE. Wir brauchen keine kopflastigen Theolog/innen (oft in einer Art – hoch erhabenen – „Elfenbeinturm“ sitzend), sondern empathisch-einsatzbereite liebende „Samariter/innen“. Für mich könnte man bei Bedarf – und ohne grosse Verluste – den einen oder anderen Gottesdienst oder gewisse Unterrichtsstunden einsparen, um den Seelsorger/innen mehr Zeit für das ebenfalls Wesentliche und Unverzichtbare zu schenken – inklusive Weiterbildung der nötigen (bedauerlicherweise oft unterentwickelten) Fähigkeiten in Sachen Liebe und (Mit.-)Menschlichkeit….
michael vogt
Gepostet um 12:36 Uhr, 03. Februarim hintergrund eine fundierte theologie schadet aber nicht – finde ich: dass gott mich mit der intensität eines rechtsurteils, das alle anderen urteile ausser kraft setzt, bejaht
Michael Wiesmann
Gepostet um 12:46 Uhr, 03. FebruarLieber Herr Rolla
Ich glaube, ich spreche für uns Pfarrpersonen wenn ich sage: Selbstverständlich sind wir da! Aber wir können uns nicht in jedem Bereich explizit spezialisieren. Deshalb brauchen wir genauso die (fachliche) Unterstützung einer solchen Fach- und Anlaufstelle wie die Betroffenen selbst. Aus diesem Grund finde ich es höchst heikel, die seelsorgerliche Begleitung vor Ort gegen eine zentrale, spezifische Ergänzung auszuspielen.
Mit herzlichem Gruss
Michael Wiesmann
michael vogt
Gepostet um 13:21 Uhr, 03. Februardanke für Ihre stellungnahme – da es oben gewünscht wird, ein link zu einer anderen meinung
https://www.ref.ch/news/bei-der-suizidnachsorge-muss-man-seine-grenzen-kennen/
Michael Wiesmann
Gepostet um 13:41 Uhr, 03. FebruarLieber Herr Vogt
Die Meinung meines erfahrenen Pfarrkollegen in Ehren. Er darf in Sachen Fachstellen zurückhaltend sein, solange er nur möchte. Aber die Unterstellung, dass die Begleitung bei einer spezialisierten Fachstelle theoretischer sei als die seelsorgerliche Begleitung vor Ort mangelt schlich jeglicher Begründung und Evidenz – und entspricht auch nicht der gängigen Praxis und den üblichen Standards, weder im psychologischen noch im seelsorgerlichen Bereich.
Einerseits: Wozu bräuchte es sonst z.B. die Paarberatung, welche von der Kirche mitgetragen wird? Oder die Lehrlingsberatungsstelle KABEL? Und warum genau wird nicht einfach jede Pfarrperson für irgendwelche Gebiete der Spezialseelsorge (Spital, Gefängnis, Psychiatrie, etc.) eingesetzt? Weil es ab und zu schlicht unprofessionell ist, wenn gewisses spezialisiertes Fachwissen nicht vorhanden ist.
Und andererseits: Wer die Arbeit von dieses Fachbereichs kennt und schon einmal mit Betroffenen Kontakt hatte, die dort Hilfe gesucht und gefunden haben, wird dieser – meines Erachtens im luftleer-theoretischen Raum geäusserten – Behauptung kaum mehr beipflichten können.
Beste Grüsse
Michael Wiesmann
Barbara Oberholzer
Gepostet um 17:44 Uhr, 03. FebruarIch unterstütze die Sicht von Michael Wiesmann sehr. Nur diese Berichtigung: Kollege Peter ist als Dekan nur Beisitzer mit beratender Stimme im Verbandsvorstand. Es hätte aber stimmberechtigte
Theologinnen dort …
Michael Wiesmann
Gepostet um 14:52 Uhr, 03. FebruarUnd zur Ergänzung: Mein Pfarrkollege Niklaus Peter täte gut daran, seine Interessensbindungen in diesem Fall offen zu legen.
Schliesslich ist er Mitglied des Vorstandes des Stadtverbands – also derjenigen Kollegialbehörde, die diesen Entscheid mitverantwortet. Seine Haltung als Pfarrkollegen kann ich akzeptieren – auch wenn ich dezidiert anderer bin. Dass aber hier durch ein Vorstandsmitglied faktisch Lobbying ohne Deklaration desselben betrieben wird, kann im freundlichsten Falle noch als Schleichwerbung verstanden werden. Transparenz geht jedenfalls anders.
Esther Gisler Fischer
Gepostet um 13:30 Uhr, 03. FebruarDer Pfarrer/die Pfarrerin als ‚eierlegende Wollmilchsau‘. Eine gewisse Spezialisierung und Auslagerung von Themen wie hier angesprochen Suizid in eine Fachstelle scheint mir angezeigt!
Corinne Duc
Gepostet um 13:57 Uhr, 03. FebruarMeinen Sie damit die Betreuung von Zurückgebliebenen? Mir scheint es nach wie vor sinnvoll wenn kirchliche Seelsorgeangebote ihren theologischen Background behalten dürfen (auch wenn das in keiner Weise bedeutet, dass religiöse Überzeugungen anderen aufgedrängt werden sollen!). Bei einer konfessionsneutralen Beratungsstelle hingegen scheint mir, dass eine einseitig konfessionell geprägte Trägerschaft irgendwie heikel sein könnte. Sehen Sie das anders?
Michael Wiesmann
Gepostet um 14:01 Uhr, 03. FebruarEs spricht nichts gegen eine überkonfessionelle Trägerschaft. Die Frage ist: Wieso hat der Stadtverband es unterlassen oder nicht zustande gebracht, eine solche aufzubauen, bevor die Fachstelle Kirche+Jugend mit dem Fachbereich für Suizidbetroffene aufgehoben wurde?
Michael Wiesmann
Gepostet um 14:04 Uhr, 03. FebruarÜbrigens: Gerade weil so eine Arbeit über Konfessions- und Religionsgrenzen hinausgeht, kann die seelsorgerliche Betreuung durch das Pfarramt vor Ort nicht alles abdecken.
Esther Gisler Fischer
Gepostet um 09:58 Uhr, 04. FebruarNatürlich meine ich die Betreuung Zurückgebliebener; -was denn sonst. Mein Kommentar ist einfach ein Plädoyer für solche Fachstellen. Der theologische Hintergrund einer Fachperson hat für mich dabei weniger mit der Konfession, als mit dem Menschen- und Gottesbild zu tun und diese sollten on jedem Fall befreiend sein von jedweder Schuldhaftigkeit im Beziehungsgefüge der Betroffenen.
Markus Saxer
Gepostet um 14:04 Uhr, 03. FebruarLetztendlich ist es eine Frage von Eignung und Neigung. Wer ein gespaltenes Verhältnis zur Polizei hat und in ihren Mitarbeitern vor allem Vertreter übertriebener Repression sieht, wird als Notfallseelsorger wohl nicht am richtigen Platz sein. Auch die Konfrontation mit gewissen Bildern und Situationen ist nicht jedermanns Sache (offenbar auch nicht jederfrau wenn man den Frauenanteil in der NFS ansieht).. Das disqualifiziert natürlich nicht für die Seelsorgetätigkeit allgemein. Nicht jeder muss alles tun und bei einigen Dingen ist es besser wenn es nicht alle machen
Beat Schwab
Gepostet um 14:57 Uhr, 03. FebruarEs war einigen schon früher klar, dass die Reform der (Stadtzürcher) Kirche eine Struktur-Reform ist, welche von Projektleitern nun fachgerecht umgesetzt wird. Ebenso war von Anfang an ersichtlich, dass es nicht um Inhalte ging, also um eine Erneuerung und Vitalisierung des kirchlichen Lebens. Hier haben, meines Erachtens, Pfarrschaft und Diakonie versagt, ihre Mit-Führungsverantwortung im Reformprozess wahrzunehmen und aufzuzeigen, was denn das ‚Eigentliche‘ an der ganzen Reform sei, worauf alle Bestrebungen hinzielen sollten. Eben, auf die Inhalte. Struktur ist nur ein Diener des Inhaltes. Dieser Mangel zeigt sich nun, und wird sich künftig noch viel stärker zeigen, im Abbau von Inhaltsstellen zugunsten eines Ausbaus von Struktur- und Verwaltungsstellen. Nötig wäre aber eine Erneuerung und Vitalisierung des christlichen Lebens. Eine Rückbesinnung auf das ‚Eigentliche‘ in der Kirche. Und das kann kaum eine marktwirtschaftlich dominierte Immobilienstrategie sein, welche die Mietpreise in der Stadt Zürich logischerweise weiter nach oben treibt und bedingt, dass Stellenprozente von klar ‚inhaltlichem‘ Gehalt (Seelsorge in einem Spezialgebiet) gestrichen werden um im Gegenzug ImmobilienverwalterInnen einzustellen.
Nun, man kann auch einsehen, dass man sich auf einen Abweg verirrt hat und wieder umkehren. Die ganze Bibel ist voll von solchen Beispielen.
Manchmal braucht es aber das energische ‚Zurechtweisen‘ der Schwester oder des Bruders, um die Verirrung wahrzunehmen.
Barbara Oberholzer
Gepostet um 20:31 Uhr, 03. FebruarSehr geehrter Herr Schwab
Diesen Vorwurf weise ich entschieden zurück. Pfarrkapitel und Kapitelsvorstand Zürich haben wiederundwiederundwieder versucht, ekklesiologische, theologische und seelsorgliche Fragen und Inhalte in den Reformprozess einzubringen. Ich weiss nicht mehr, wieviele Gespräche da geführt worden sind. Mitzuentscheiden hatten wir aber nicht!
Reinhard Rolla
Gepostet um 15:42 Uhr, 03. FebruarLieber Michael Wiesmann, wer spricht denn hier von „spezialisieren“? Jesuanisch gesprochen „Liebe“ und – modern nachgeplappert – „Empathie“ sind das A und O, das Rüstzeug für die Seelsorge. „Schon in der Ausbildung beizubringen“, habe ich formuliert, Obwohl: Wer kein inneres Potenzial mitbringt, dem/der kann man so etwas wie Liebe/Empathie kaum beibringen (was ja auch ein grosses Problem bei der Ärzte- und Lehrerschaft ist.) Es ist vielleicht wie bei den Automechaniker/innen: Gute Schulnoten garantieren nicht gute praktische Arbeit. Das beginnt sich dort langsam durchzusetzen – und wäre meiner Überzeugung nach für das ganze Ausbildungswesen wünschenswert!
Michael Wiesmann
Gepostet um 18:34 Uhr, 03. FebruarLieber Herr Rolla
Ich gebe Ihnen natürlich Recht: Am Anfang und Ende von allem steht die Nächstenliebe, sonst bringt alles andere nichts – frei nach Paulus. Dennoch, braucht es bei aller Liebe auch das fachliche Werk- und Rüstzeug, gerade auch in der Seelsorge. Sonst entsteht leicht Schaden. Gut und gut gemeint sind da oft nicht dasselbe.
Als Pfarrer mit einer gewissen Spezialisierung in Sachen Seelsorge bin ich mir meiner Begrenzungen bewusst (wie dies auch Niklaus Peter absolut richtig sagt im Interview, das hier schon verlinkt wurde in den Kommentaren hier). Deshalb ist es für mich essenziell, dass ich bei bestimmten Themen um Fachstellen weiss, an die ich mich als Seelsorgender wenden kann – und die auch ergänzende Angebote für die Betroffenen bereitstellen – z.B. Gesprächsgruppen von Betroffenen, denn das kann ich nicht lokal gewährleisten (wenn das denn überhaupt sinnvoll wäre… ein wenig soziale und geographische Distanz kann da auch hilfreich sein).
Deshalb: Alles richtig, was Sie sagen. Das Werkzeug alleine macht noch nicht den/die Seelsorgende*n. Aber wer Seelsorge auf dem Herzen hat, wird auch darum besorgt sein, dies so gut wie möglich tun zu können. Und da kommt die Fachkompetenz ins Spiel.
Beste Grüsse
Michael Wiesmann
Imke
Gepostet um 16:48 Uhr, 03. FebruarDie Entscheidung des reformierten Stadtverbandes ist nachvollziehbar. Sowohl Suizidprävention als auch -nachbetreuung können nicht länger Kernaufgabe der Kirche sein. Ich würde ergänzen: Vor allem nicht auf lokaler Ebene. Denn religiöse Haltungen von lokalen Communities zu Fragen der Selbsttötung können unterschiedlicher nicht sein. Verhindern oder beschleunigen – beides ist möglich und beides geschieht „mit Gottes Hilfe“. Die lokalen Gemeindeebenen werden sich im Zuge der Deregulierung positionieren und profilieren müssen, und beide Ausprägungen sind möglich.
Wie will man sie unter einem Dach und dem Markenversprechen „Nächstenliebe“ und der damit verbundenen Verantwortung zusammenbringen?
Welche Hilfe können Sucht- und Suizidbetroffene erwarten? Ist sie an jeder Basis (Exekutive: Seelsorge und Gemeinde) gleich? Welche Qualität haben die Angebote und wird die Haltung der Anbieter klar kommuniziert? Hier geht es um die Erzeugung von Erwartungen, die mitunter nicht eingehalten werden, schwer zu durchschauen sind oder auch rigide ausfallen können.
Dessen müssen sich Betroffene bewusst sein. Aber wer ist das schon, wenn man sich in der Not, in prekären Lebensumständen an den Zipfel der Kirche wendet? Nicht überall wo (abrechnungs- und stellenprozentberechtigte) Suizid- und Suchtprävention draufsteht ist auch eine solche drin. Hier gibt es dunkle Flecken, etwa die: „Gott hat sie zu sich geholt, was hätten wir denn tun sollen?“.
Und dann wendet man sich wieder den Reiseplänen zu, wie Michael Wiesmann in seinem eingangs letzten Satz sehr treffend anmerkt.
Diese o.g. Ansicht insbesondere zur Suizid- und Suchtprävention hat sich ergeben aus meiner Behördentätigkeit für eine KG. Sie bezieht sich auf diese, sie bezieht sich aber auch auf die Entscheidung der Aufsichtsbehörde, der Bezirkskirchenpflege, die diese Tätigkeit nunmehr beendet hat – eben, weil ich mit dieser Meinung in der Minderheit vertreten sei.
Ich habe mich da vor einen ziemlichen Karren spannen lassen.
Corinne Duc
Gepostet um 00:51 Uhr, 04. FebruarIn dem Fall ginge es eigentlich primär um die allgemeine Frage, wo und wie Pfarrpersonen bei Überforderung durch Seelsorgefälle fachliche Unterstützung oder Supervision bei Psychologen, Psychiatern, Medizinern usw. erhalten könnten? Denn so etwas kommt ja keineswegs nur bei Suizidnachsorge vor.
Ich könnte mir zudem vorstellen dass interdisziplinäre Kolloquien zum Thema „besondere Herausforderungen in der Seelsorgepraxis“ (o.ä.), in welchen auch anhand konkreter Fälle Erfahrungen ausgetauscht und mit Fachvertretern aus verschiedenen Disziplinen Lösungsansätze diskutiert werden könnten, von Interesse und hilfreich wären.
Imke
Gepostet um 09:07 Uhr, 05. FebruarWas ist,
wenn Fragen rund um Sucht- und Suizidprävention oder -nachbetreuung, insbesondere bei Frauen, tabuisiert werden, weil Verantwortliche Sucht und Suizid als Strafe Gottes einordnen?
Was ist,
wenn evangelikal geprägte Haltungen zu diesen Themen zunehmend mehr Einfluss an der Basis („Exekutive“) gewinnen?
Sollte sich die Kirche nicht davon distanzieren?