iPhone Z
Als die Katze mich persönlich angesprochen hatte, spätestens dann hätte ich feststellen müssen, dass irgendetwas nicht mehr koscher war.
„Ja, du bist gerade gestorben“, hat mir die Katze unverblümt und auf ihre unsensible Art mitgeteilt.
„Wie, bitte?“, konnte ich nur stammeln.
„Du bist weg vom Fenster, über den Jordan oder vor die Hunde gegangen. Du hast einen Abgang gemacht, das Zeitliche gesegnet, ins Gras gebissen, den Löffel abgegeben. Du bist mausetot.“
Das musste ich zunächst verdauen. Die Katze konnte ich bereits zu Lebzeiten nicht ausstehen, aber von nun an war zwischen uns eine respektvolle Beziehung, die diesen Namen verdient hätte, praktisch unmöglich geworden.
Ich konnte es nicht wahrhaben! Schliesslich fühlte ich mich gesund. Das Tier hatte meine Gedanken erraten: „Dein letztes Selfie war verheerend. Deine Seele konnte nicht mehr, du hast sie gänzlich aufgebraucht. Schade, dein Körper war ja kerngesund. Eine Verschwendung.“
Ich wollte irgendetwas erwidern, da ging schon die Türe des Kleiderschranks auf.
„Du musst dort hinein, die Hölle wartet auf dich“, teilte die Katze mit und trippelte davon. Im Kleiderschrank roch es nach Parfümabteilung eines Warenladens, teils nach Abercrombie & Fitch, teils nach Lush-Seifen. Ich kriegte auf der Stelle Kopfweh. Dann, auf der anderen Seite, begrüsste mich der Teufel persönlich. Er sah wie ein junger Elvis Presley aus.
„Du?“, fragte ich überrascht.
„Ich habe viele Gesichter“, meinte er lächelnd und fragte, ob er sich in Luciano Pavarotti verwandeln müsse.
„Nein, Elvis ist in Ordnung“, antwortete ich ihm. Unnötig zu erklären, wie dämlich ich ausgesehen haben muss.
„Willkommen in der Hölle. Mache es dir bequem.“
Das Sofa war edel, ein ausgesuchtes Designer-Stück und genauso unpraktisch. Ich musste ständig meine Sitzstellung ändern.
„Nur, dass es klar ist: du kannst hier nicht ewig bleiben. Unsere Plätze sind begehrt“, sagte der Teufel und schwang seine Hüfte und die Luftgitarre in der Luft.
„Aber du kannst erste Kontakte knüpfen, ein bisschen Schwefelluft einatmen, dich an die neue Situation gewöhnen…“
„Aber wieso ich?“, fragte ich weinerlich.
„Wieso, wieso? Ihr seid Memmen, sobald ihr hier unten angelangt seid. Du wolltest unbedingt ein iPhone Y, das hast du jetzt davon.“
„iPhone Y?“
„Ja, der Nachfolger vom iPhone X. Zuerst die Gesichtserkennung, dann in der Folgeversion die Seelenerkennung. Ich sehe alles. Du hast es verdient, hier zu sein.“
„Du siehst alles?“
„Ich muss zugeben, die Vertragsausgestaltung mit dem Vorstand von Apple verlief harzig. Aber irgendwann waren wir uns einig. Der Zugang zur Seele musste ich mir teuer erkaufen. Aber es war die beste betriebswirtschaftliche Entscheidung, die ich jemals getroffen habe: Denn ich habe euch alle an der Zange! Sämtliche Betrügereien in Echtzeit zugänglich.“
Ich blieb stumm. Wie hätte ich mich wehren sollen?
„Gerichte sind überflüssig geworden. Deine Lügen und Schummeleien sind in digitaler Form verfügbar. Du bleibst hier mal für 312 Jahre, dann schauen wir weiter.“
„Aber…“
„Keine Widerrede: E-Mails, Videos und Online-Beiträge. Ist alles gespeichert und jederzeit verfügbar, falls du aufmüpfig wirst…“, meinte der Teufel und ich senkte beschämt meinen Blick.
Ich bin immer noch da. Aber einen Ratschlag möchte ich Euch noch geben: Kauft kein iPhone Z. Denn es wird noch schlimmer.
Reinhard Rolla
Gepostet um 07:43 Uhr, 03. OktoberKompliment – grosse Klasse!
Luca Zacchei
Gepostet um 10:33 Uhr, 03. OktoberVielen Dank, Herr Rolla!
Barbara Oberholzer
Gepostet um 14:36 Uhr, 03. OktoberBuchtipp zum Thema: „The Circle“ von Dave Eggers, Kiwi-Taschenbuch 2015. Bald auch als Film – oder jetzt schon?
Luca Zacchei
Gepostet um 15:56 Uhr, 03. OktoberLiebe Barbara, habe ich gelesen. War aber ein bisschen vom Plot enttäuscht. Es fehlen mir die überraschenden Momenten, war mir zudem eine Spur zu platt. Der Film läuft bereits, mit Tom Hanks und Emma Watson.
Esther Gisler Fischer
Gepostet um 17:43 Uhr, 03. OktoberWorum gehts in diesem Film?
Barbara Oberholzer
Gepostet um 18:13 Uhr, 03. OktoberIch spoilere nicht, kannst es googeln.
Anonymous
Gepostet um 09:04 Uhr, 05. OktoberOk.
Barbara Oberholzer
Gepostet um 18:12 Uhr, 03. OktoberFandest du? Vllt bist du mit der Materie schon vertrauter. Für mich wars eine Überraschung, dass die Protagonistin bis zum Schluss auf Kurs bleibt ? Und seither habe ich immer Angst vor versteckten Kameras.
Luca Zacchei
Gepostet um 09:12 Uhr, 04. OktoberDie Dystopie „1984“ von George Orwell fand ich düsterer und realistischer. Geschmackssache!
Barbara Oberholzer
Gepostet um 15:14 Uhr, 04. OktoberGeorge Orwell und Dave Eggers sind natürlich nicht die ganz gleiche Gewichtsklasse …. ? Klar, 1984 spielt in einer andern Liga.
michael vogt
Gepostet um 22:38 Uhr, 03. Oktobervor einigen tagen habe ich mir nach langem wieder einmal die aufnahme des letzten konzerts unserer band 1972 angehört. ich war gefasst darauf, dass das 45jährige tonband nichts mehr hergibt. der ton kam aber heraus wie eh und je. „was ist das für ein gefühl?“ fragte ich mich nach eineinhalb stunden? es war der rein analoge ton. die aufnahme lasse ich verkommen, überspiele sie nicht auf ein digitales medium. einerseits aus der befürchtung, die erfahrung, die erinnerung könnte überlagert werden, andererseits aufgrund der verheissung, dass der teufel, hätte ich beinahe gesagt, einer zukunft, in der die ganze vergangenheit, jedenfalls soweit erwünscht, gegenwärtig sein wird. wir komponierten alles selber, ausser eines songs von elvis, den der bassist mitgebracht hatte, und ihn – für mein ohr – besser sang als sein erfinder. dazu spielte ich ein gitarrensolo, obschon damals ich den song im original gar nicht kannte – war also nicht auf das internet gegangen, um einen eindruck davon zu gewinnen. 😉 wir übten jeden schulfreien mittwoch nachmittag – welch ein luxus! – widmeten uns ganz einer sache. die kompositionen waren zuerst zu einem guten teil impovisation. was sich bewährte blieb – von selbst. wir spielten ein konzert von zwei stunden als wäre nicht gewesen. grosse sympahtie und anerkennung kam uns entgegen, nicht zuletzt weil wir so jung waren, ich zb 14. mit der zeit verleidete es mir aber, am freien nachmittag auch wieder drinnen zu sein, suchte mehr die naturerfahrung auf langen dauerläufen, wie man damals sagte, wurde 1973 ein leidenschaftlicher leichtwindsegler, auf dem segel meine vaurien stand ein Z, die abkürzung für unser land. ein entsprechendes smartphone besorge ich mir nicht, aber die umstellung auf internet telefonie vor wenigen tagen, hat mich genötigt, mir ein handy zuzulegen. das allereinfachste, nur für den notfall drinnen oder draussen. mit dem internet oder dem router ist ja dann eben auch das telefon weg. das waren zeiten! das sind zeiten! (auf seite 1972 meiner webseite für ein paar tage ein paar impressionen)
michael vogt
Gepostet um 22:53 Uhr, 03. Oktobernicht > nichts – meine > meines
michael vogt
Gepostet um 22:59 Uhr, 03. Oktobersmartphone > iphone
michael vogt
Gepostet um 23:20 Uhr, 03. Oktoberimprovisation
Luca Zacchei
Gepostet um 09:15 Uhr, 04. OktoberWirkte der „unsaubere“ analoge Ton von damals mindestens so echt als der digitale und unverfälschte von heute?
michael vogt
Gepostet um 17:39 Uhr, 04. Oktobermal sorry für die unsaubere darstellung. ein rechtschreibeprogramm für kleinschrift wäre doch eine marktlücke. die analoge wiedergabe ist insofern unsauber, als sie viel mehr fehler macht als die digitale. auch hat sie viel mehr klirr. dafür ist aber der digitale klirr scheusslich, wie gesagt wird, während der analoge angenehm ist. mir geht es nicht darum zu sagen, das eine sei besser als das andere. die digitale wiedergabe ist vielleicht tatsächlich eher einem menschen zu vergleichen, der echt ist. dafür ist die analoge anders näher am original. kommt auch immer darauf an, was man daraus macht. wenn ich von einer befürchtung spreche, sage ich nicht, die kopie muss schlecht herauskommen. und mir hat sich die frage gestellt: warum bin ich in einer anderen stimmung als sonst?
michael vogt
Gepostet um 17:58 Uhr, 04. Oktober„unverfälscht“ könnte ich nicht sagen. es geht mir auch nicht darum, das gegenteil zu behaupten. kommt immer auch darauf an, wie es bei einem ankommt. die differenz zwischen original und reproduktion ist einerseits eine chance, andererseits kann das andauernde leben in dieser differenz zum problem werden.
Esther Gisler Fischer
Gepostet um 17:20 Uhr, 04. OktoberRechnen Sie mit einer „unverweslichen Auferstehung“ für sich und Ihre Katze Herr Zacchei oder ist es Ihnen Beiden ganz wohl beim Durcheindanderwerfer Elvis?
Anbei noch der Link auf eine Veranstaltung, welche sich eben diesem Thema widmen wird: https://www.paulusakademie.ch/wp-content/uploads/2017/07/E_17_11_Ewig_Leben-1.pdf
michael vogt
Gepostet um 17:50 Uhr, 04. Oktober„Der christliche Glaube spricht von einer unverweslichen Auferstehung und davon, dass die Gerechten beim Jüngsten Gericht in das ewige Leben eingehen würden.“ wenn das so ist, bin ich kein christ. denn ich glaube, dass alle gerecht gemacht werden. mit elvis möchte ich dann mal diskutieren (und musizieren 🙂 ), und auch der teufel wird dort sein, vollkommen erleuchtet.
michael vogt
Gepostet um 18:15 Uhr, 04. Oktobertest; xxx :))
michael vogt
Gepostet um 18:16 Uhr, 04. Oktobertest: xxx 🙂 )
Anonymous
Gepostet um 09:06 Uhr, 05. OktoberMit diesem dogmatischen Gesülze, das von biblischen Quellen nicht einmal gedeckt ist, kann ich eben auch herzlich wenig anfangen.
Esther Gisler Fischer
Gepostet um 09:11 Uhr, 05. OktoberMit diesem dogmatischen Gesülze, das nicht einmal von biblischen Quellen gedeckt ist, kann ich eben auch herzlich wenig anfangen. Tatsache ist, dass solche Veranstaltungen auf ökumenischer Basis offenbar aktuell sind, wie jene Tagung an der Uni Fribourg zeigt:
http://www.unifr.ch/iso/assets/files/Tagungen/Hoffnung%20-%20Esperance_02112017.pdf
michael vogt
Gepostet um 20:47 Uhr, 05. Oktobersind die, welche andere im verderben wissen, ohne protest einzulegen, gerecht? das wort vom sieg über den tod und damit über alles kommt aus biblischen quellen. dass solche tagungen zu existentiellen themen, die innerhalb der theologischen disziplinen tatsächlich der dogmatik zugeordnet werden, stattfinden, freut mich. auch dass „reformiert.“ eben das endgericht thematisiert hat. und Ihnen danke ich für die links, ohne die ich von den tagungen nichts wüsste – und auch ein bisschen für die unwirschen (authentischen?) reaktionen: so weiss ich, wie wohl nicht wenige, die nicht reagieren, reagieren würden. ich würde es in einer notwehrsituation, wo auch mt 25 gesehen werden kann, auch tun.
Luca Zacchei
Gepostet um 08:45 Uhr, 06. OktoberLiebe Frau Gisler, wenn die Katze von Schrödinger ist, dann rechne ich mit Leben und Tod und zwar gleichzeitig in Superposition und total-verschränkt. 🙂
michael vogt
Gepostet um 15:21 Uhr, 06. Oktobertheologisch ist leben und tod auch gleichzeitig, jedenfalls beim menschen. und ich nehme an, für die katze gilt es auch: soweit sie gestorben ist, lebt sie. der tötende tod ist in ihr gestorben, so dass es für die maus nicht „noch schlimmer“ wird, sondern besser. sie wäre dann die erste mit einem iphone z – wenn sie es dann noch braucht.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schr%C3%B6dingers_Katze
michael vogt
Gepostet um 13:07 Uhr, 08. Oktoberes geht aber nicht darum, dass die katze oder sonst irgend jemand getötet werden soll. das sterben im theologischen sinn ist die alternative zum töten.
michael vogt
Gepostet um 21:43 Uhr, 06. Oktobertheologisch ist leben und tod auch gleichzeitig, jedenfalls beim menschen. und ich nehme an, für die katze gilt es auch: soweit sie gestorben ist, lebt sie. der tötende tod ist in ihr gestorben, so dass es für die maus nicht „noch schlimmer“ wird, sondern besser. sie wäre dann die erste mit einem iphone z – wenn sie es dann noch braucht.