Kirche ist wichtig

Die Welt der Politik ist eine Welt der Konflikte, in der ständig gegensätzliche Interessen aufeinandertreffen. Als Regierungsrat muss ich diese Konflikte fruchtbar und zum Wohle der Menschen im Kanton Zürich gestalten. Dabei helfen mir Kirche und Religion gerade da, wo eine politische Entscheidung nicht einfach quasi «alltäglicher» Interessensausgleich ist, sondern eine schwierige Frage lösen muss. Beispielsweise bei Härtefallgesuchen im Asylbereich, wo sich Migrationsamt und beratende Kommisssion nicht einig sind und die darum mir zum Entscheid vorgelegt werden. Die Rückbesinnung auf christliche Werte und Ansprüche liefert mir in solchen Situationen geistige Orientierung und wesentliche Grundlagen für Entscheide.

Als Politiker will ich in einer offenen, freiheitlichen Gesellschaft leben. Dafür engagiere ich mich. Aber: Offenheit und freiheitliche Gesinnung reichen als alleinige Grundwerte nicht. Sie brauchen als Ergänzung etwa Toleranz, Respekt oder Fürsorge. Also zutiefst christliche Werte. Da, wo diese Werte vorhanden sind, sie erstrebt und gelebt werden, da ist gute Politik. Christliche Werte sollten aber aus meiner Sicht guter Politik nicht nur zugrunde liegen. Die Kirchen selbst sollten Akteure sein im politischen Diskurs. Die Kirchen wirken in unserer Gesellschaft als integrative Kraft. In meinem beruflichen Alltag sehe immer wieder, wie Kirchen ganz konkret Verantwortung für unsere Gesellschaft übernehmen. Im Asyl- und Migrationsbereich haben sie dies in den letzten Monaten und Jahren vorbildlich gemacht, gerade mit Einsätzen zu Gunsten geeigneter Unterbringung und mit der Unterstützung der Integration der hierher geflüchteten Menschen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Dabei sollten sie sich aber nicht auf das stille Schaffen beschränken, sondern dazu auch ihre Stimme erheben. Auch und gerade dann, wenn es darum geht, den innergesellschaftlichen Dialog mit den Angehörigen anderer Glaubensrichtungen in unserem Land herzustellen. Ich wünsche mir, dass die christlichen Kirchen da eine Führungsrolle übernehmen. Der Pflege des interreligiösen Dialogs öffentlich Aufmerksamkeit verschaffen, wird der bevorstehende Besuch des Dalai Lama in Zürich und die geplante interreligiöse Feier im Grossmünster. Dieser Dialog hat Wichtigkeit über diesen Anlass hinaus.

Daneben ist mir Kirche auch persönlich wichtig. Besonders mag ich die Gottesdienste an Feiertagen. Das spirituelle Gemeinschaftserlebnis beeindruckt mich jedes Mal von Neuem. Doch auch an ganz normalen Wochentagen suche ich gerne eine Kirche auf. In ihr finde ich Stille sowie ein Gefühl von Schutz und Sicherheit. Im Trubel der Grossstadt kann ich in Kirchenräumen zur Ruhe kommen, Entschleunigung und Ruhe finden vor der Hektik des Alltags. Dabei pflege ich bestimmte Rituale: beispielsweise das Anzünden von Kerzen, das Ruhen auf einer Kirchenbank oder beides. Auch auf Reisen verpasse ich es nie, in einer anderen Stadt auch eine Kirche zu besuchen. Ich würde sonst etwas vermissen.

Das ist meine Vorstellung von Kirche. Die Kirche gibt mir Halt. Sie gibt mir Atem. Sie unterstützt mich und hilft mir, politisch und auch persönlich. Ich bin immer dafür eingetreten, dass sie öffentlich-rechtlich anerkannt bleibt. Das werde ich selbstverständlich auch in Zukunft tun.

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10 Kommentare
  • Anonymous
    Gepostet um 21:46 Uhr, 30. September

    Wunderbarer Text. Gerne hätte ich diese GedNken in Worte gefasst.
    Die Worte sind mutig in einer Zeit wo alles Religiöse kritisch bis ablehnend verworfen wird
    Danke Herr Regierungspräsident
    Weiterhin soviel Mut wünscht Daniel Schwab
    Kantonsrat FDP

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    • Wilfried Inner
      Gepostet um 04:40 Uhr, 02. Oktober

      Manch „Religiöses“ wird auch von Regierungspräsident Mario Fehr kritisch bis ablehnend verworfen (Bsp. Burkaverbot, kirchliche Übergriffsversuche auf das Zivilrecht) und das ist gut so. Religion ist schliesslich Privatsache.

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  • andreas baumann adliswil
    Gepostet um 08:24 Uhr, 01. Oktober

    chapeau mario fehr für dieses statement.

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  • Roland Ruckstuhl
    Gepostet um 12:32 Uhr, 01. Oktober

    Die Kirchen sind dem Evangelium verpflichtet und haben im Auftrag von Jesus Christus zu handeln. Dabei sind wir Christen aufgerufen nach dem Gottesdienst in die Welt zu gehen und Nöte zu heilen. Das muss nicht spektakulär sein, sondern Aufrichtig. Im Alltag, dort wo wir leben.

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  • Wilfried Inner
    Gepostet um 03:23 Uhr, 02. Oktober

    Geehrter Herr Fehr: Sie überschätzen die heutige Bedeutung der Kirche und des Christentums. Toleranz ist zwar ein hoher Wert, aber definitiv kein zutiefst christlicher. Deshalb sind auch weder Offenheit, noch freiheitliche Gesinnung und all die übrigen Eigenheiten, die Sie in Ihrem, einer Laudatio ähnlichen Statement aufführen keine „zutiefst christlichen Werte“, sondern säkulare Werte, zu denen das nicht-säkulare Christentum mühsam hingeführt werden musste. Das Christentum ist – grosszügig berechnet – erst seit knapp zweihundert Jahren daran, zu lernen, was Toleranz bedeutet. Vorher herrschte Intoleranz und Ausgrenzung, wie bei jeder anderen Religion mit Absolutheitsanspruch.
    Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschland, versucht in lobenswerterweise, den weit verbreiteten Irrtum zu berichtigen (Aufsatz „Toleranz im Christentum“, 2001): „… die christliche Toleranz musste einer Geschichte christlicher Intoleranz abgerungen werden. Das in der europäischen Neuzeit entwickelte Konzept öffentlicher Toleranz ist das späte Resultat von Glaubenskriegen. Ich weiß nicht, ob es eine Religion gibt, die von Toleranz in ungebrochenem Selbstbewusstsein sprechen kann. Vom Christentum jedenfalls gilt das nicht.“
    Wegen der zunehmenden Kenntnis der Bevölkerung über die Schattenseiten der Religionen sollte man mit erwiesenermassen falschen Behauptungen sehr sparsam umgehen, andernfalls läuft man Gefahr, dass seine Aussagen als politisches Statement derjenigen Art entlarvt werden, bei dem es selten um Wahrheit und oft um Manipulation geht.
    Ein Armutszeugnis, sollten Kirchen dies nötig haben.

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  • Catherine McMillan
    Gepostet um 08:03 Uhr, 03. Oktober

    Sehr geehrter Herr Inner, meiner Meinung nach ist die Toleranz doch ein zutiefst christlicher Wert. Er ist in der Bergpredigt begründet (Feindesliebe), in Jesu Gleichnis vom Unkraut unter den Weizen (Mt. 13,24-30), in Paulus‘ Ermahnung an die Römer, ihre Verfolger zu segnen (Römer 12), usw. Natürlich gibt es viel Intoleranz in der Bibel und erst recht in der Kirchengeschichte. Das beweist aber nicht, dass die Toleranz kein zutiefst christlicher Wert wäre. Erst dank der Reformation wurde es in Europa möglich, gleichzeitig zwei Religionen, zwei „Wahrheiten“ nebeneinander zu denken und (in der Eigenossenschaft) stehen zu lassen. Die neue Gewissensfreiheit war Vorläuferin der Religionsfreiheit. Klar, die ersten Reformatoren waren nicht tolerant in unserem Sinne. Aber die Samen des Toleranzgedankens hat in ihnen gekeimt. Bei den Täufern, bei christlichen Humanisten wie Sebastian Castellio und bei manchen Reformatorinnen, wie Katharina Zell aus Strassburg, hat sich der Toleranzgedanke früh gebildet und wurde auch christlich begründet. Ich finde Wolfgang Huber übrigens auch sehr gut. Ich habe bei ihm in Heidelberg Theologie studiert.

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    • Wilfried Inner
      Gepostet um 02:20 Uhr, 05. Oktober

      Sehr geehrte Frau McMillan, Ihre Vorgehensweise, die eigene These mit Zitaten, Personen und Ereignissen zu untermauern, ist ansprechend, allerdings funktioniert sie in beide Richtungen.
      Angenommen Ihre These trifft zu und Toleranz stellt aus christozentrischer Sicht einen zutiefst christlichen Wert dar, dann widerlegt dies aber nicht, dass monotheistische Religionen einen Absolutheitsanspruch erheben und damit den Samen der Intoleranz in sich tragen. Sie widerlegt ebenso wenig, dass dieser Samen fruchtbar geworden ist, was – wie sie schon erwähnten – die Kirchen- bzw. die gesamte Religionsgeschichte bezeugt. Und es widerlegt auch nicht, dass Kirchen – nicht nur, aber auch – Intoleranz inkulturierten und jetzt versuchen, sich als Lösung dieses selbstverschuldeten Problems zu präsentieren. So ist es verständlich, wenn sogar Christen der Überzeugung sind, 1. die kirchlich-religiöse Inkulturation der Intoleranz habe unsere Kultur stärker geprägt als die theologische These, Toleranz sei ein zutiefst christlicher Wert und 2. Toleranz könne deshalb glaubwürdig nur säkularethisch begründet und theologisch nur nachträglich als Wert anerkannt werden.
      Wer wie RR Fehr dennoch Toleranz als „zutiefst christlichen Wert“ ansieht, die Kirche generell, undifferenziert und unhinterfragt als „wichtig“ erachtet und persönlich dafür eintritt, dass sie öffentlich-rechtlich anerkannt bleibt, womit nicht-kirchliche bzw. säkulare gemeinnützige Organisationen diskriminiert und finanziell ausgehungert werden, muss ein Meister der Verdrängung sein.
      „Konflikte“ durch Verdrängung relevanter Tatsachen „fruchtbar und zum Wohle der Menschen“ zu gestalten, ist kurzsichtige Politik, aber hoffentlich keine regierungsrätliche Usanz. Zumindest ist Verdrängung kein Zeichen von „Toleranz, Respekt oder Fürsorge“ und stellt einen Affront gegenüber der säkularen, sich von Kirche und Religion distanzierenden Gesellschaft und ihrer Anliegen dar.
      So hoffe ich, christozentrisch eingeschränkte Sichtweisen etwas aufgebrochen und den Raum für säkulare Ethik erweitert zu haben. RR Fehr erwähnt den Besuch des Dalai Lama. Ich hoffe, er lässt sich davon inspirieren, denn jener ist heute überzeugt: Ethik ist wichtiger als Religion und sagt, „wir brauchen eine säkulare Ethik“.

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  • Gustav Messer-Schneider
    Gepostet um 15:18 Uhr, 03. Oktober

    Ich hätte da eine Frage bezüglich Kleidervorschriften an verehrten Herrn Regierungspräsidenten. In einer Szene von „The meaning of life“ sagt ein Protestant: „I can wear what ever I want on my little fellow“. In welchem Verhältnis steht dieser protestantische Grundsatz zum vom Herrn Regierungspräsidenten befürworteten Burkaverbot? Das Burkaverbot ist doch wider das Evangelium, Herr Fehr!
    https://www.youtube.com/watch?v=ifgHHhw_6g8

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  • Anna
    Gepostet um 21:50 Uhr, 09. Oktober

    Ich habe gerade das hier gelesen. Es stammt nicht von mir, ist aber auch meine Meinung: http://papierlosezeitung.ch/artikel/mario-fehrs-spiel-mit-dem-widerspruch

    Herr Fehr ist ein Heuchler! Und er lebt weder Toleranz, Respekt noch Fürsorge! Schöne Worte und nichts dahinter!

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  • Esther Gisler Fischer, la Pasionara
    Gepostet um 15:55 Uhr, 19. Oktober

    Genosse Mario wünsche ich den Mut, wenn schon nicht tolerant, doch differenzverträglich zu sein. Seine Befürwortung des Burkaverbots macht dies nötig.

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