Ohne Bekenntnis (OB)
Liebe Leserin, lieber Leser: Könnten Sie sich vorstellen, mal aus der Kirche auszutreten? Sie wären ja nicht der oder die einzige. Was für Gründe kämen für Sie in Frage? Und wenn Sie dann schwer krank wären und lange im Spital lägen: Seelsorge willkommen oder nicht?
Der Anteil der Menschen ohne Konfession oder Religion nimmt zu. Im Unispital – immer stark darin, pionierhaft gesellschaftliche Entwicklungen abzubilden – betrug er 2016 bereits 18 %. Und es werden mehr. Geht mich das als Vertreterin der Kirche etwas an? Oder lasse ich die einfach und warte, bis sie sich selber melden oder die Pflege mich schickt? Bis jetzt wird es so gehandhabt. Und dennoch: So richtig glücklich bin ich nicht dabei. Die OB’s beschäftigen mich. Was mögen das für Menschen sein? Sind es alles FreidenkerInnen, die mich sofort rauswerfen würden? Sind sie aus Protest aus der Kirche ausgetreten? Wollen sie sich einfach die Kirchensteuern sparen? Sind es PatientInnen aus den neuen Bundesländern, dem «Osten», in atheistischen Staaten aufgewachsen? Oder – die Generation meiner Kinder – sind sie nie etwas gewesen? Weil ihre Eltern auch schon nicht mehr in der Kirche waren?
Als Seelsorgerin bin ich verunsichert. Hätte ich überhaupt das Recht, mich ihnen vorzustellen? Missioniere ich dann, bin übergriffig, respektiere ihren Entscheid nicht? Oder werden so die Reformierten, die Kirchensteuern bezahlen, für dumm verkauft? Zum Glück zahlt der Staat auch noch was an meinen Lohn, Dienst an der Gesellschaft wird erwartet, von daher bin ich save. Erstaunlicherweise werde ich in konkreten Begegnungen von den OB’s ganz gut akzeptiert. Ein gewisser Bedarf scheint zu bestehen; ein «Da geh ich möglichst gar nicht hin» gilt also nicht.
Gerade diese Kombination aus Unbehagen und doch guten Erfahrungen bewogen zwei katholische Kolleginnen und mich, diese «OB’» mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Ein halbes Jahr lang besuchten wir auch im Sinne von Spiritual Care auf zwei ausgewählten Stationen aufsuchend und systematisch alle PatientInnen, die keiner Religion mehr angehörten. Danach folgte eine detaillierte Auswertung.
Das Positive zuerst:
- Wir wurden nicht gleich wieder rausgeworfen.
- Gefressen auch nicht.
- Auch nachträglich gab es keine Klagen über unsere Besuche, z.B. bei der Pflege.
- Häufig ergaben sich Gespräche existenzieller, manchmal auch spiritueller Ausrichtung. Auch längere Begleitungen kamen zustande. Die «Ausgetretenen» gibt es tatsächlich nicht. Menschen ohne Bekenntnis erwiesen sich in Herkunft, Biografie, Spiritualität als ganz inhomogene Gruppe. Häufig entwickelten sie über Jahre ihre ganz eigene Spiritualität, über die sie sich gerne austauschten. Enttäuschung und Wut den Kirchen gegenüber erfuhren wir gelegentlich – das fehlbare Bodenpersonal halt… . Doch auch bewusst Ausgetretene empfanden sich weiterhin als ChristInnen, einfach ohne Kirche. Am interessiertesten und offensten erlebte ich jüngere PatientInnen, die schon völlig «religionsfrei» aufgewachsen waren. Sie waren nicht mit negativen Bildern oder Erfahrungen behaftet. Hier wurde eine gesunde Neugier spürbar, ein echtes Fragen und Suchen nach Grösserem, Umfassendem, Sinn. Müssten wir nicht gerade für sie da sein?
Dennoch bleibe ich auch ratlos zurück. Und jetzt – wie weiter? Eigentlich wäre der Kontakt auch zu Konfessionslosen wichtig. Und nicht nur, wenn wir gerufen oder von der Pflege aufmerksam gemacht werden. Auch aufsuchende Seelsorge würde sich hier lohnen. Aber eben – dürfen wir das? Welcher Zeitaufwand ist vertretbar? Die Kirchenfernen stehen bei der Kirche bereits im Fokus, die Menschen ohne Bekenntnis aber kaum. Geben wir sie nicht auf – darin hat mich unser Projekt sehr bestärkt. Seien wir für sie da, wenn sie uns brauchen. Und diskutieren wir auch gesamtkirchlich die Frage nach Mitteln und Wegen, mit ihnen in Kontakt zu kommen.
Reinhard Rolla
Gepostet um 09:18 Uhr, 17. OktoberIch würde Menschen ohne Zugehörigkeit zu einer Kirchen- oder Religionszugehörigkeit niemals „Menschen ohne B e k e n n t n i s“ nennen! Das Wort „Bekenntnis“ darf doch nicht von bestimmten Gruppe (Kirche…) für sich allein beansprucht werden. Man kann sich doch auch im weitesten Sinn zum T i e r s c h u t z bekennen, zum Vegetarismus, zur Demokratie, zur Menschlichkeit, ja sogar zu J e s u s und seinen Visionen. Ich meine, man sollte fairer Weise den Begriff „ohne Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Religion“ verwenden oder überhaupt auf eine Benennung verzichten. Und man sollte aufhören, fast panisch – oder auch „nur“ bedauernd – auf das Wörtlein „ohne“ zu reagieren. Altertümlich-religiös könnte man sagen, kein Mensch – auch nicht der „Atheist“ – kann „gottlos“, also „ohne Gott“ sein, wenn doch Gott als „allgegenwärtig“ geglaubt wird. Mir sind überzeugte Atheisten und Agnostiker allemal lieber als „Wischi-waschi-Christen“ ohne Überzeugung(skraft).
Barbara Oberholzer
Gepostet um 10:05 Uhr, 17. Oktober„Ohne Bekenntnis“ – OB – ist die Bezeichnung des Unispitals für die PatientInnen, die keiner Religion angehören.
Habs einfach übernommen. Was wäre denn Ihr Vorschlag?
Reinhard Rolla
Gepostet um 11:20 Uhr, 17. Oktober„Ohne Kirchen- bzw. Religionszugehörigkeit“ (kurz OKRZ)
Reta Caspar
Gepostet um 09:25 Uhr, 18. OktoberKonfessionsfrei, kurz KF 😉
Reinhard Rolla
Gepostet um 11:26 Uhr, 17. OktoberOder kürzer OKR
michael vogt
Gepostet um 22:59 Uhr, 17. Oktobernoch kürzer: ok 🙂
Anita Ochsner
Gepostet um 00:08 Uhr, 18. Oktoberok finde ich super! 🙂 🙂
michael vogt
Gepostet um 13:31 Uhr, 18. Oktoberaber im ernst: „ob“ spricht sich sanft aus, und das ist wohl der weg, auf dem die mbs auf die obs zugehen wollen
Alpöhi
Gepostet um 11:07 Uhr, 22. OktoberKonfession und Bekenntnis ist das Gleiche. Da es ein treffendes deutsches Wort gibt, sollte diesem der Vorzug gegeben werde. Also Bekenntnis statt Konfession…
Bekenntnislosigkeit („ohne Bekenntnis“) und Bekenntnisfreiheit ist aber nicht das Gleiche.
Warum weiss man das in der reformierten Zürcher Kirche nicht?
Daher bin ich für das bewährte „andere“, nämlich anders als die übrigen Listen-Auswahlmöglichkeiten.
Esther Gisler Fischer
Gepostet um 19:41 Uhr, 24. OktoberKlar weiss man das in der reformierten Zürcher Kirche. Diese bekennt sich ja zur Bekenntnisfreiheit, ohne dabei bekenntnislos zu sein!
Andrea Hadorn
Gepostet um 12:29 Uhr, 17. OktoberDas Gespräch am Spitalbett geht von der Bewältigung der Krankheit, des Unfalls aus; die Ausnahmesituation kann für Patienten eine gute Gelegenheit oder zusätzlichen Stress bedeuten. Ihr Gesprächsangebot ist klar ein Auftritt nach aussen, gerade gegenüber „OB“s. (Das gilt aber auch für Mitglieder wie mich, die ja zu einer bestimmten Gemeinde und nicht einfach zum Kanton gehören.) Das ist gut, das braucht es als Leim für die Gesellschaft: im Gespräch bleiben. Den Missionsauftrag würde ich nicht als Bekehrungs- oder Verbindlichkeits-, sondern als Gesprächsauftrag verstehen. Die menschliche Stimme, der menschliche Augenkontakt kann den Stress reduzieren helfen, zusammen mit der Möglichkeit, die eigene Bewältigung und Spiritualität einzubringen, ist es ein gutes Angebot für alle. — Die Bezeichung „ohne Bekenntnis“ trifft teilweise auf die Reformierte Landeskirche zu, die „Bekenntnis frei“ ist; deshalb finde ich die Bezeichung des Unispitals nicht gut. „Ohne Religionszugehörigkeit“ wäre zutreffender, „ohne öffentliche Religion“ besser, wenn es um den Status der Mitgliedschaft in einer Landeskirche oder anerkannten Religionsgemeinschaft geht.
Andreas Kyriacou
Gepostet um 20:16 Uhr, 18. OktoberDanke fürs Veranschaulichen, wie schnell es übergriffig werden kann…
Wer nicht versteht, dass Mission an einem Ort wie einem öffentlichen Spital nichts, aber auch wirklich nichts zu suchen hat, wer nicht kapiert, dass es in einer mit öffentlichen Mitteln finanzierten Seelsorge keinesfalls darum gehen darf, „die eigene Spiritualität“ Personen aufzudrängen, die nicht darum bitten, wer meint, die eigene Weltanschauung sei für alle gut und, bilde gar den Kitt für die Gesellschaft, der sollte sich hüten, eine derartige Rolle übernehmen zu wollen. Er oder sie wäre dafür nämlich gänzlich ungeeignet.
Dominik von Allmen
Gepostet um 13:35 Uhr, 17. OktoberLiebe Barbara,
tolles „Experiment“, danke für’s Teilen!
„Am interessiertesten und offensten erlebte ich jüngere PatientInnen, die schon völlig «religionsfrei» aufgewachsen waren. Sie waren nicht mit negativen Bildern oder Erfahrungen behaftet. Hier wurde eine gesunde Neugier spürbar, ein echtes Fragen und Suchen nach Grösserem, Umfassendem, Sinn.“ – Das ist „meine“ Generation und deine Beschreibung deckt sich mit den Erfahrungen, die ich mit meinen gleichaltrigen Bekannten und Freunden oder auch (da noch mehr) KonfirmandInnen & Jugendlichen mache. Das Christentum ist für sie ebenso (wenig) exotisch wie der Buddhismus.
Deine Frage: „Müssten wir nicht gerade für sie da sein?“ stellt sich längst nicht nur im Seelsorgekontext, sondern z.B. auch hinsichtlich des kirchlichen Bildungsauftrags. Der wird heutzutage (so bei der KUW in Bern) noch oft an der (Kinder-)Taufe festgemacht. Es gibt aber immer wieder konfessionslose Jugendliche, die sich für (guten) Konfirmationsunterricht interessieren – oder interessieren würde, wenn denn jemand auf sie zukäme. Es lohnte sich, Kirchen- und Dienstordnungen auch mal in dieser Hinsicht zu überarbeiten…
Barbara Oberholzer
Gepostet um 13:55 Uhr, 18. OktoberDanke dir, das freut mich sehr! Ich habe es bei kirchlichen Lagern erlebt, dass auch konfessionslose Jugendliche mitkamen und auch herzlich willkommen waren.
Barbara Oberholzer
Gepostet um 18:12 Uhr, 17. OktoberArmes Unispital ?! Wenn ich ins Spital komme, werde ich nach meiner religiösen/konfessionellen Zugehörigkeit gefragt. Die Alternative ist: Ich habe „keine“, ich bin „nichts“. In diesem Sinne ist „ohne Bekenntnis“ zu verstehen – für mich eine völlig akzeptable Bezeichnung im gegebenen Kontext. Doch die Patientenadministration ist bestimmt offen für Alternativen – ich melde sie aber nur zurück, wenn ich sie echt überzeugender finde ?!
Barbara Oberholzer
Gepostet um 18:17 Uhr, 17. Oktober„Ohne Bekenntnis“ ist übrigens ein anerkannter Begriff, vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Konfessionslosigkeit
Von meinem iPhone aus gesendet
michael vogt
Gepostet um 23:08 Uhr, 17. Oktoberwenn Sie aber schauen, was da unter konfession steht, erweist dieser ausdruck als gerade recht (es bleibt also bei ok :))
michael vogt
Gepostet um 23:11 Uhr, 17. Oktobergenauer: (. . . ok 🙂 )
michael vogt
Gepostet um 13:37 Uhr, 18. Oktoberhttps://www.diesseits.ch/ohne-bekenntnis-ob/#comment-7269
Catherine McMillan
Gepostet um 22:20 Uhr, 17. OktoberLiebe Barbara, danke für diesen einfühlsamen und anregenden Text. Auch die Länge gefällt mir gut! wenn die Beiträge immer so überschaubar wären, würde ich sie alle lesen. Lange Texte schrecken mich ab, weil ich langsam lese. :- ( und das Lesen bis später hinausschiebe,, und dann ist er schon hinuntergerutscht und verschwunden.
Anita Ochsner
Gepostet um 23:48 Uhr, 17. OktoberIch finde es bedauerlich, wenn nicht jede Person die als Patient im Spital liegt selbstverständlich angesprochen werden kann. Alle die Fragen von missionieren, Entscheid nicht respektieren, übergriffig sein, oder gar eine Situation ausnützen Menschen als Patienten.. schwach verletzlich …? Finde ich ganz berechtigt, kommen wohl auf.
Sie hindern für das was Seelsorge ist. (Was denken die Leute von Seelsorge ? habe ich mich schon öfters gefragt. Was stellen sich die Leute vor darunter?) Diese Fragen braucht es schon, sie sind wichtig.
Und doch, hat nicht jede Person die im Spital liegt, das Recht, sofern erwünscht, auf ein seelsorgerliches Gespräch? (so ist es ja auch, eigentlich ?) Nicht erst wenn Pflegende „rufen“, sondern, weil ein Spitalaufenthalt doch eine Sondersituation im Leben ist, wie leicht oder schwer auch immer. Ein Unterbruch des alltäglichen Lebens darstellt. Und da, kommt eine Person aus dem Seelsorgeteam und stellt sich vor. Nicht mehr und nicht weniger.
Ist das nicht einfach die Gelegenheit bieten, Seelsorgenden des Spitals persönlich begegnen zu können, sie sehen gegenüber sein, „kennenlernen“, soll meines Erachtens allen zu kommen.
Dazu gehört eben auch, das Recht, oder die Pflicht geradezu ?, sich als Spitalseelsorger_in bei allen vorzustellen. (Ob nun Kirchensteuerzahlende oder nicht. Ohne dass sich die einen für Dumm verkauft fühlen, hoffe ich)
Wie die Auswertung zeigt, es könnte ganz einfach für Jemanden, den oder die man sonst auslässt, ganz wichtig sein. Was heisst schon OB?! Wie unter 4. beschrieben, im Projekt erfahren werden konnte…
Nicht « nicht gerade für sie dasein », nur einfach : für sie gleich da sein. Sich auch ihnen vorstellen.
Es ist anders „nur davon zu lesen“, dass es Seelsorgende im Spital gibt, oder jemanden „anschauen“ können aus dem Seelsorgeteam. Sich allen vorstellen, meine ich ist erlaubt.
Barbara Oberholzer
Gepostet um 13:58 Uhr, 18. OktoberLiebe Frau Ochsner, liebe Catherine
Ihr Feedback und Interesse freut mich sehr!
☀️???
Andreas Kyriacou (Präsident Freidenker-Vereinigung der Schweiz)
Gepostet um 00:16 Uhr, 18. OktoberHäufig sind sie nicht, die Reklamationen über aufdringliche Seelsorger. Zumindest nicht bei uns. Aber es gibt sie. Und in solchen Fällen muss das Unbehagen der ohne iNachfrage umsorgten wohl substantiell gewesen sein, denn wer krank im Spital liegt, hat wohl zunächst einmal andere Sorgen als sich bei Dritten über ungebetene Besuche aufzuregen.
Aber auch wenn die bis zu uns dringenden Beanstandungen selten sind: sie zeigen, dass im System schon teilweise der Wurm drin ist. Da werden schützenswerte Personendaten von Spitälern einfach ohne Rechtsgrundlage weitergereicht, und die explizit konfessionell organisierte Seelsorge nimmt für sich ebenso ungefragt in Anspruch, auch für Personen, die ihre Weltanschauung nicht teilen, zuständig zu sein.
Das grösste Problem ist aber, wenn die Pflege konfessionslose Personen an die Sselsorge verweist, wenn deren Anliegen irgendwie ausserhalb der Kernzuständigkeiten der Pflege zu liegen scheinen. Das dürfte teilweise eine Folge der allzuknappen Zeit sein, die pro Patient zur Verfügung steht. Da wirkt das Outsourcen der nicht im engen Sinn medizinisch betreuungsbedürftigen and die Seelsorge verlockend. Ein wohl ebenso entscheidender Faktor ist, sich eine solche informelle „Überweisung“ ohne weitere Pathologisierung des Patienten erreichen lässt, Und anders als die Psychologin belastet die Seelsorgerin das Spitaletat nicht, bei Abrechnungen nach Kostenpauschalen besonders praktisch…
Es spricht durchaus einiges für ein niederschwelliges seelsorgerisches Angebot in Spitälern und Heimen. Doch wenn die „Seelsorge“ ein integrierter Teil der Versorgung nicht-konfessionell getragener Einrichtungen sein soll, muss sie nach dem Opt-In-Prinzip angeboten werden. Und es gibt nur einen gangbaren Weg, um dem Umstand gerecht zu werden, dass die Bevölkerung zunehmend säkular ist: Es braucht parallel zu den konfessionellen Angeboten auch weltlich ausgerichtete Seelsorger, die von denjenigen Patienten in Anspruch genommen werden kann, die sich mit einem aufs Diesseits fokussierten Gesprächspartner austauschen möchten,
michael vogt
Gepostet um 13:26 Uhr, 18. Oktoberdie entwicklung des menschlichen bewusstseins bewegt sich, finde ich, in richtung aufhebung des dualismus von theismus und atheismus, so dass sich das problem mehr und mehr selbst behebt
Barbara Oberholzer
Gepostet um 06:42 Uhr, 18. OktoberGuten Morgen, Herr Kyriacou, ich freue mich, dass Sie reagiert haben! Genau um solche Fragen geht es nämlich (auch), und ich nehme sie ernst. Die gesetzliche Grundlage für aufsuchende Krankenbesuche findet sich im Patientengesetz des Kantons Zürich. Wir bekommen die Informationen, die uns diese Aufgabe ermöglichen (wer liegt wo seit wann), mehr nicht. Und das reicht auch. Alles andere können uns die PatientInnen selbst erzählen, wenn sie mögen.
Im Zuge von Spiritual Care ist angedacht, dass auch nicht-kirchliche SeelsorgerInnen ausgebildet werden sollen. Da geht also was. Bloss – die werden für die Spitäler nicht gratis sein. Ihre diesbezügliche Analyse ist völlig zutreffend. Vor allem „das nicht weiter pathologisieren“ gefällt mir.
Doch – das ist wirklich meine Überzeugung! – ein akadamisch-theologisches Fundament in seiner ganzen Breite ist für die Seelsorge gewiss kein Nachteil. Übergriffigkeiten entstehen auch bei fehlender Ausbildung, Professionalität und Selbstreflexion – ich meins ja sooooo gut / ich bin ja soooo wichtig ? – und da kann ein Theologiestudium einiges vorbeugen.
Es ist immer gut, eine Wahl zu haben. Wenn sich daher die FreidenkerInnenvereinigung für eine nur weltliche Seelsorge einsetzen möchte – super! In Holland gibts diese Strömung ja schon. Aber achten Sie dabei auch auf Qualität, ich würde eine akademische Vorbildung zwingend voraussetzen.
Ihnen einen schönen Tag, herzlich, Barbara Oberholzer
Andreas Kyriacou
Gepostet um 15:18 Uhr, 18. OktoberDritte brauchen die Einwilligung der Patienten, um Einsicht in Patientendokumentation zu erhalten. Teil dieser Dokumentation ist die weltanschauliche Zugehörigkeit. Ausgehebelt wird dies nur durch eine gesetzlich geregelte Meldepflicht oder ein entsprechendes Melderecht. Das Patientengesetz enthält aber keinerlei Passus, aus dem sich ein Melderecht der Weltanschauung ableiten liesse. Dieses kann allenfalls für Patienten, die der Konfession eines Seelsorgers angehören, angenommen werden. Nicht aber für andere Personen.
Andreas Kyriacou
Gepostet um 15:23 Uhr, 18. OktoberUnd ja, eine adequate akademische Ausbildung ist für qualitative Seelsorgetätigkeit sicher eine gute, vielleicht sogar eine nötige Voraussetzung. Leider ist das Bildungsangebot zu „Spiritual Care“ ganz auf die Marktpositionierung des Sponsors ausgerichtet. Weltliche Seelsorger müssen sich ärgerlicherweise anderweitig ausbilden.
Barbara Oberholzer
Gepostet um 06:48 Uhr, 18. OktoberUnd ps: Viele viele unserer Seelsorgegespräche bewegen sich in einem rein diesseitigen Rahmen, und das ist auch theologisch absolut vertretbar ?. Unterschätzen Sie uns nicht ?!
Reta Caspar
Gepostet um 09:37 Uhr, 18. OktoberDas ist auch bei der Gefängnisseelsorge so. Menschen in solchen Situationen und Institutionen haben viel Zeit zum Nachdenken über ihr Leben und eingeschränkte Möglichkeiten, mit jemandem zu reden. Dieses Bedürfnis sollte jedoch nicht mit dem Bedürfnis von religiösen SeelsorgerInnen beantwortet werden, die gerne mit Konfessionsfreien ins Gespräch kommen würden, weil sie sich einfach nicht vorstellen können, dass jemand ohne Religion leben kann.
Barbara Oberholzer
Gepostet um 15:52 Uhr, 18. OktoberLiebe Frau Caspar
Da haben Sie mich definitiv falsch verstanden. Diese Unterstellung passt nicht.
Herzlicher Gruss, Barbara Oberholzer
Barbara Oberholzer
Gepostet um 16:16 Uhr, 18. OktoberUnd Konfessionsfreie sind in der Regel eben grad NICHT mit Freidenker identisch, das war eine klare Erkenntnis unseres Miniprojekts. Der einzige echte Freidenker, den ich mal im Spital besuchte, war auf dem Papier lustigerweise immer noch reformiert. Er kam irgendwie einfach nicht dazu, den Austrittsbrief zu schreiben … Ist das nicht süss ??
Barbara Oberholzer
Gepostet um 09:30 Uhr, 19. OktoberEigentlich ist es ja interessant, wie viele heutige FreidenkerInnen ursprünglich einen reformierten Hintergrund hatten – ich hab da mal etwas rumgegoogelt. Eine Kirche, die zum freien Denken motiviert – das ist eigentlich ein Kompliment an uns und tatsächlich eine unsern grossen Qualitäten. Ich möchte in keiner andern sein :-D!
Barbara Oberholzer
Gepostet um 12:22 Uhr, 19. Oktober… eine unserer grossen Qualitäten. Ich kann auch nicht mehr deutsch, peinlich 🙂
Ulrich Gurtner
Gepostet um 08:55 Uhr, 15. DezemberGuten Tag,
mit etwas Verspätung bin ich bei einer kleinen Internetrecherche zum Begriff“ aufsuchende Seelsorge“ auf diesen Blog gestossen und möchte auch noch ein Argument anfügen:
Ich halte die Abkürzung „OB“ für unverfänglich, ein Ausdruck im Rahmen evidenzbasierter naturwissenschaftlicher Verfahren, gebräuchliche Abkürzung in medizinischer Terminologie. vgl.
„Ohne Befund – DocCheck Flexikon
Abkürzung: o.B. Definition. Der Ausdruck „ohne Befund“ , kurz o.B., wird verwendet, wenn eine medizinische Untersuchung einen Normalbefund und keine speziellen pathologischen Befunde ergibt.“
Die Frage nach einer religiösen Zugehörigkeit ( bei der Aufnahme ins Spital) wurde negativ beantwortet. Gleichbedeutend mit: Leerstelle.
Im medizinisch Kontext bedeutet „OB“ auch: Der Verdacht auf eine Abweichung, auf ein vorliegendes Problem hat sich nicht bewahrheitet. Der Arzt darf berichten: „Sie dürfen Aufatmen, ein Lächeln ist angesagt, Sie sind gesund!“
Und was ist mit den Menschen, die positiv getestet werden? Die Testergebnisse tragen Nummern: 2 (römisch-katholisch), 3 (reformiert), 21(Orthodox), 31(Moslem), 99 (andere Konfession). Der Code für OB trägt übrigens die Nummer 12. Ein Schelm, der dabei symbolisch denkt!
Zur Dialektik des Begriffs „positiv“ sei zusätzlich verwiesen auf den Berner Liedermacher Jacob Stickelberger:
„negativ syg mi Befund, und das syg medizinisch sehr z’begrüesse / dass negativ syg positiv, wärs positiv, de wärs negativ/… d Aerztelogik wo die eim beschäre, für die isch d Chrankheit positiv und d Gsundheit dämna negativ, es sött nes ändlech eine mal erkläre!“
Ulrich Gurtner, Seelsorger an einem Regionalspital im Bernbiet