Outsiders (1968) von Susanne E. Hinton
Meine Tochter wünscht sich nachdrücklich, dass ich ihre aktuelle Englisch-Lektüre lese. Ihre Klasse ist genervt. Schon wieder ein Coming-of-Age-Roman. Sie fragt sich, was an diesem Buch so aussergewöhnlich ist, dass man es lesen sollte. Und ich frage mich empört, warum ich die Fragen beantworte, die im Unterricht nicht gestellt werden. Trotzdem bin ich natürlich schon fasziniert bei der Aussicht, ein Rätsel zu lösen. Nach drei Seiten bin ich völlig gefesselt und lege das Buch kaum mehr aus der Hand.
Der Roman ist 1968 erschienen. Lohnt es sich, das als „Jubiläum“ zu sehen? Nun, dieses Jahr ist so bedeutungsvoll, dass man einen zweiten Blick riskieren könnte. Existentielles Zentrum des Romans von S.E.Hinton ist für mich ein Gedicht von Robert Frost: Nothing gold can stay (1923). Der vierzehnjährige Erzähler Ponyboy und der sechzehnjährige Johnny lesen das Gedicht in einer Situation, in der sie ins Bodenlose abstürzen. Keiner von den beiden hat Hoffnung, aus der elenden Lage herauskommen zu können. Sie warten in einer verlassenen, halb verfallenen Kirche auf einem Hügel auf den Gangleader, der sie verstecken will. Und sie lenken sich mit dem Lesen des Romans Vom Winde verweht ab, das Johnny, zusammen mit notwendigen Lebensmitteln, für Ponyboy gekauft hat.
Die Autorin war selber vierzehn, als sie begann, das Buch zu schreiben. Es erschien, als sie 18 Jahre alt war. Über Nacht wurde sie berühmt und zur Stimme der Jugend erklärt. Wegen seines harten Slangs steht der Roman bei gewissen amerikanischen Highschools auf dem Index, bei anderen gehört er auch heute zum festen Bestand der Pflichtlektüren. Eine jugendliche Schreiberin entwickelt ein grossartiges Gespür für dramatische Momente und Orte, z.B. die Kirche auf dem Hügel. Vermutlich beschreibt sie in vieler Hinsicht das, was sie aus ihrer Heimatstadt kannte. Dass Kirchen auf erhöhten Plätzen stehen, dass sie Orte der Zuflucht für Menschen sein können, die alle Hoffnung verloren haben, ist vielleicht ein unbewusster Frame, der in manchen Köpfen existiert. Viele wissen es und nehmen es dennoch nicht mehr bewusst wahr.
Und dann nimmt sie in ihre Erzählung Poesie auf. Das Gedicht von Robert Frost beschreibt die Vergänglichkeit des Lebens – ein Wimpernschlag und alles ist vorbei. Das ist Johnnys und Ponyboys Situation. In einem Moment des Terrors und der Angst haben sie alle Kontrolle verloren und nun stehen sie vor dem erbarmungslosen Nichts: Nothing gold can stay.
So weit, so klar. Nur: Johnny versteht das Gedicht als Aufforderung, Gold zu bleiben. Er versteht das Gedicht nicht als Memento Mori – nicht als Denke an deine Vergänglichkeit. Inmitten von bestürzender Misere finden beide Jungen in dieser Poesie eine Orientierung, die am Ende dem einen zum Leben und dem andern zu einem Sterben in Würde verhilft. Der Dichter Robert Frost lässt den Leser im Rhythmus des Gedichts mit dem Satz Nothing gold can stay am Ende „stolpern“. Auch Frost wusste also, dass die Dinge längst nicht so klar sind. Zwar versank das Paradies in Trauer (eine Zeile aus dem Gedicht), aber vielleicht muss das nicht so bleiben.
Johnny sagt zum Schluss zu Ponyboy: Stay golden! Bleibe das Gold, das du bist! Und er fordert Ponyboy auf, diese Botschaft an alle Jugendlichen zu richten, die ihren goldenen Weg verloren haben. Es ist nicht das Gold von Jugendlichkeit, sondern das Gold einer unvergänglichen, tiefen Menschlichkeit. Und Ponyboy beginnt, genau dieses Buch, nämlich Outsiders, zu schreiben.
Manche Bücher bleiben aussergewöhnlich, auch nach 50 Jahren. Es ist ein Coming-of-Age-Roman, Lektüre für Jugendliche. Aber auch Erwachsene lesen solche Schätze, vielleicht vor dem Hintergrund ihrer inzwischen funkelnden Erfahrungen, anders als ein Jugendlicher, aber nicht mit geringerer Intensität. Mir jedenfalls ging es so.
1968 war das Jahr eines umwälzenden Umbruchs in der westlichen Welt. – Die jugendliche S.E. Hinton schrieb ein Buch, das Loser in der Farbe zeigte, die sie als Menschen auszeichnete, in Gold. Muss man sagen, leider habe die Mahnung in diesem Gedanken nichts von seiner Aktualität verloren? Es ist auch ein Buch, das den Sinn von Poesie reflektiert. Es stellt, indem es eine Geschichte erzählt, einen Zusammenhang zwischen dem Lesen grosser Poesie und den moralischen Konsequenzen her, die daraus folgen können.
Nothing Gold Can Stay
(publiziert 1923)
Robert Frost, 1874 – 1963
Nature’s first green is gold,
Her hardest hue to hold.
Her early leaf’s a flower;
But only so an hour.
Then leaf subsides to leaf.
So Eden sank to grief,
So dawn goes down to day.
Nothing gold can stay.
Die Meinung der Autorin in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche. Blog abonnieren Alle Beiträge ansehen
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