Patriarchales Christentum
Auf viele wirkt das Christentum altmodisch und patriarchal. Dieser Eindruck ist nicht einfach falsch. Das hängt damit zusammen, dass das Christentum in einer durch und durch patriarchalen Welt entstanden ist. Man konnte sich bei Juden und Griechen eine gesellschaftliche Ordnung gar nicht anders vorstellen als patriarchal. Und das spürt man auch im Christentum. Es ist eine Mischung zwischen der Lehre Jesu und den patriarchalen Vorstellungen der Antike.
In den frühen Schichten, bei Jesus und Paulus, weht ein ganz anderer Geist. Jesus behandelte Frauen genau gleich wie Männer. Das war revolutionär und für viele auch unverständlich. In seiner Jüngerschar gab es Männer und Frauen, was anstössig war. Er liess sich von einer stadtbekannten Dirne die Füsse salben und mit ihren Haaren trocknen. Auch dieses Verhalten hat mit beigetragen, dass sich das Volk abwandte und sich seiner Kreuzigung nicht widersetzte.
Frauen als erste Auferstehungszeugen
Bei seinem Tod waren einige Frauen in der Ferne bei der Kreuzigung dabei, während seine Jünger nach den ältesten Texten Markus und Matthäus geflohen waren. Die Frauen waren auch bei seiner Grablegung anwesend und wollten nach dem Sabbat seinen Leichnam einbalsamieren und ihm so seinen letzten Dienst erweisen. Das ist auch verständlich; denn mit ihm haben sie für fast 2000 Jahre ihre Gleichberechtigung zu Grabe getragen. Aber dann finden Frauen das leere Grab, und ein Engel sagt ihnen, er sei auferstanden. Wie viel Jesus an der Gleichberechtigung der Frauen gelegen war, zeigt sich daran, dass er Frauen zu seinen ersten Auferstehungszeugen gemacht hat – und das, obwohl bei Juden das Zeugnis von zwei Frauen nur so viel galt, wie das von einem Mann. Er musste riskieren, dass die Auferstehung als Weibergeschwätz abgetan würde.
Die Evangelisten taten sich dann auch entsprechend schwer. Markus schreibt, die Frauen hätten aus Angst niemandem etwas gesagt, Lukas: Sie hätten es wohl gesagt, aber die Jünger hätten es nicht geglaubt. Bei Johannes gehen Petrus und Johannes selber nachschauen, ob das wirklich stimmt, was ihnen Maria aus Magdala erzählt hat. Nut Matthäus lässt die Frauen als erste Auferstehungszeugen gelten.
In Christus alle gleich
Paulus übernimmt die Haltung von Jesus. Er schreibt im Galaterbrief den damals revolutionären Satz: Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus (Gal 3, 28). Weil alle auf Christus getauft sind, darum sind alle in der Gemeinde auch auf genau gleicher Ebene. Alle sind gleich viel wert.
Gilt das nur in Kirche, aber nicht ausserhalb? Bei Paulus scheint die Gleichheit aller Gemeindeglieder vom Gemeindeleben auch nach aussen zu dringen. Im Philemonbrief, fordert Paulus Philemon auf, seinen entlaufenen Sklaven Onesimus als Bruder auch im Fleisch anzunehmen (Philemon 1,16).
Der Patriarchalismus dringt ins Neue Testament ein
Doch dringen nicht nur die neuen Werte aus der Gemeinde nach aussen, sondern der Patriarchalismus drang kräftig von aussen in die Kirche ein. Schon in den späteren Texten des Neuen Testamentes werden die gesellschaftlichen Verhältnisse wieder „in Ordnung“ gebracht. Schon im 1. Korinther 14, 34 heisst es: „Die Frau schweige in der Gemeinde“ (möglicher Weise wurde der Satz von einem Schüler von Paulus hineingeschrieben). Im ebenfalls von Paulusschülern geschriebenen Epheser- und Kolosserbrief heisst es dann, die Frau sei dem Manne untertan, und von den Sklaven wird Gehorsam erwartet. Da ist unmerklich der damalige Zeitgeist wieder ins Neue Testament eingedrungen. Nachher verwechselte man damaligen Zeitgeist mit heiligen Geist und betrachtete die patriarchale Ordnung als Gottesordnung.
Es besteht also im Blick auf den Patriarchalismus ein gewaltiger Unterschied zwischen der Botschaft von Jesus und dem Christentum mit seiner Vermischung von antikem Patriarchalismus und christlichen Impulsen, welche schon im Neuen Testament beginnt.
Der Geist kennt keine Unterschiede der Geschlechter
Freilich liess sich auch im Christentum die revolutionäre Botschaft Jesu nicht ganz unterdrücken. Es kam immer wieder zu Aufbrüchen der Gleichwertigkeit von Mann und Frau. Denn der Geist machte keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Immer wieder traten Frauen auf, die sich vom heiligen Geist ergriffen über die patriarchale Ordnung hinwegsetzten, etwa eine Hildegard von Bingen, Katharina von Siena u.a. Als die Waldenser im 12. Jh. nach Botschaft Jesu fragten, begannen bei ihnen zuerst auch Frauen zu predigen, was rasch wieder „in Ordnung“ gebracht wurde.
Als die Quäker bei ihren Versammlungen auf die Erleuchtung warteten, wurden auch Frauen vom Geist ergriffen. Zuerst führte man getrennte Versammlungen durch, traf sich aber bald wieder gemeinsam. Als William Booth, der Gründer der Heilsarmee erkrankte, begann seine Frau Catherine mit grossem Erfolg zu predigen. Sie trat auch auf Grund der Bibel für Frauenrechte ein.
Es sind vor allem Randgruppen die zum Teil offen waren für das überraschende Wirken des Geistes. Die Grosskirchen hatten durch ihr Amtsverständnis das revolutionäre Wirken des Geistes abgeblockt. Viele kirchliche Randgruppen wurden in die USA abgedrängt. In einzelnen Staaten der USA wie Virginia wurden dann auch zuerst Menschenrechte formuliert. Freilich dauerte es noch lange, bis die Sklaverei abgeschafft und Frauen gleichberechtigt wurden.
Langer Weg zur Gleichberechtigung
Das Christentum ist eine Mischung von Evangelium und antiken Wertvorstellungen. Es muss darum ständig kritisch hinterfragt werden, wie das in ganz grossen Stil in der Reformation geschah. Auch damals meldeten sich Frauen zum Wort, die aber bald wieder zum Schweigen gebracht wurden. Es dauerte beschämend lange, bis Frauen in unserer reformierten Kirche gleichberechtigt wurden, obwohl sie von Jesus selbst zu seinen ersten Zeugen gemacht worden waren. Doch verdrängten die patriarchalen Vorstellungen schon im Neuen Testament Jesu revolutionäre Auffassung der Geschlechter. Immerhin sind die reformierten Kirchen bei uns punkto Gleichberechtigung dem Staat vorausgegangen. Die Zürcher Kirche hat 1918 die ersten beiden Pfarrerinnen ordiniert, aber der Staat hat sie nicht anerkannt.
Besonders im ökumenischen und im interreligiösen Dialog ist die Gleichberechtigung ein heisses Eisen. Aber wenn wir berücksichtigen, wie wichtig sie Jesus selbst gewesen ist, darf sie nicht um eines faulen Friedens willen übergangen werden, und es gilt patriarchalen Tendenzen in den eigenen Reihen Einhalt zu gebieten.
Die Meinung des Autors in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche. Blog abonnieren Alle Beiträge ansehen
Carsten Ramsel
Gepostet um 10:32 Uhr, 22. MärzDas sind schöne Worte, Herr Jäger, und der vielseitige Zuspruch für Ihre Exegese dürfte Ihnen sicher sein. Doch möchte ich interessiert fragen, wie es in der Reformierten Kirche heute tatsächlich aussieht; über die römisch-katholische und die regional-orthodoxen Kirchen hängen wir mal aus den bekannten Gründen ein Mäntelchen des Schweigens.
1. Wie gross ist der Anteil der Frauen in Führungspositionen oder unter renommierten Pfarrstellen innerhalb der Reformierten Kirche Zürich resp. der Schweiz?
2. Wie viel verdienen diese Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen?
Gegeben es verhalte sich in der Reformierten Kirche so wie im Rest der Gesellschaft, dann weht wohl der Geist der christlichen Botschaft innerhalb der Reformierten Kirche nicht besonders stark oder Mann präferiert weiterhin die pseudopaulinischen Deutung, denn schliesslich ist mit Verweis auf die Bibel für jede und jeden etwas dabei, oder nicht?
Alpöhi
Gepostet um 16:00 Uhr, 22. MärzHerr Jäger, Sie arbeiten schön heraus, dass es bei Jesus anders war als beim religiösen Establishment seiner Zeit. Schade, dass Sie dann die Kurve nicht kriegen und daher unausweichlich beim „Christentum“ landen – welches in der Tat patriarchal ist.
Der Punkt ist: Dort, wo der Geist Gottes weht – dort also, wo weder Mann noch Frau, weder Freier noch Sklave, weder Römer noch Grieche ist – dort also, wo alle eins sind in Christus – dort handelt es sich eben gerade nicht um ein „Christentum“, nicht um eine Institution, sondern um Jüngerinnen und Jünger, die mit dem Auferstandenen unterwegs sind. – Ein Geheimnis? – Ja. Und dennoch real.
Das Geheimnis besteht darin, sich existentiell auf den auferstandenen Christus einzulassen, sich „an ihn zu hängen“.
Die Tragik des landeskirchlichen Christentums ist, dass die jungen Menschen bis zur Konfirmation oft nur eine Art „Impfung“ erhalten: Sie meinen nun den christlichen Glauben zu kennen, ohne aber von ihm existentiell erfasst zu sein. Das finden die jungen Menschen dann langweilig – mit Recht. Und kehren „dem Christentum“ den Rücken zu. Schade.
michael vogt
Gepostet um 15:32 Uhr, 23. Märzlangweilig wird das leben, wenn es seinen sinn verliert. mein leben hat sinn, darum bin ich. da höre ich zweimal die silbe -in. das beginnt aber – wenn ich sie als repräsentantin nennen darf – nicht erst mit der fehlenden katholischen priesterin, sondern mit ihrer schöpferin. sie liegt für die patriarchale welt nicht drin. vater – es gibt wohl kein wort, das besser zum ausdruck bringt, dass alles sehr gut begründet ist. lebendig wird es aber nicht durch das a und das ihm vorangehende v, auch nicht durch das er, sondern durch das u von mutter, das dann wieder in frau und – andersherum – in ruah auftaucht und vieles auftaut. das a wird in diesen beiden letzten worten nur kurz angesprochen. bleiben wir immer bei diesem yin (ein heller klang, den ich, entgegen der darin wahrscheinlich auch patriarchalischen taoistischen tradition auch mit einer hellen farbe wiedergeben würde), höben wir ab. im wort wahrheit finden wir wieder das er (ahr), das mit dem wort vater alles wieder auf den erdboden zurückbringt. es müsste eben sein wie auf dem internet, wo sowohl das -in wie das er, wo wir erfinderinnen der gelingenden interaktion sind. so kommen wir vielleicht bis zur langeweile, ein wort aus der mystik, zu einem nunc stans, in dem die zeit stillsteht. die übersetzung wäre „ein stehendes jetzt“. aber das „jetzt“ weckt zu sehr auf und macht das nunc kaputt, so wie auch schon partiell das „stehende“ das stans. im wort vater und im wort internet finden wir das t für den tod, der lebendig macht. für den stillstand, der bewegt. dass es in dem wort mutter gleich zweimal vorkommt, ist ein hinweis darauf, dass wir noch altmodischer werden wollten, im sinne einer reintegration. denn vor dem patriarchalischen ist das matriarchalische. paulus spricht vom vater und kennt – recht verstanden – kein anderes wort für den ursprung – sagt aber auch, unser erkennen sei stückwerk. bei jesus kann man sich fragen, ob er vielleicht noch gesagt hat, was durch die überlieferung unterdrückt worden ist, was bei johannes – „ihr werdet grössere werke tun“ – kompensiert wird, oder ob er zwischen den zeilen – zb von einer hundertfachen partnerin (mk 10.30 und synoptische parallelen) – gesprochen hat. ob sich ihm alles offenbart hat, er es aber der damaligen religion und gesellschaft adaptiert hat. am besten nehmen wir kontakt zu verstorbenen auf – spass beiseite: am besten fragen wir danach, was die inzwischen jahrtausende alten, ganz und gar gestorbenen und darum ganz und gar lebendigen, vollkommen erleuchteten repräsentantinnen und repräsentanten der relgionen und nicht-religionen uns heute mitzuteilen haben.
michael vogt
Gepostet um 15:41 Uhr, 23. Märzwollten – sollten, wollte ich schreiben
michael vogt
Gepostet um 17:51 Uhr, 23. Märzzu korrigieren auch noch die meinung, dass das v nicht belebend sei
Corinne Duc
Gepostet um 01:57 Uhr, 26. MärzSo lange die Menschen sich lieber an sklerotischen Schemata festklammern, tragen sie nicht zur Erneuerung bei.
Empfehlenswert (aus anderer Perspektive): https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=3783ce52-2723-481b-8c86-064db0c87e00
Esther Gisler Fischer
Gepostet um 13:32 Uhr, 05. AprilLieber Herr Jäger
Ich danke Ihnen herzlich für diese Ihre Ausführungen; -schön, das auch mal von einem Mann zu lesen!
Tatsache ist, dass Frauen immer wenn sich Religionen institutionalisieren den Kürzeren ziehen. Woran das liegt, wäre mal zu überlegen …
Schön wäre es gewesen, Sie hätten Ihren Beitrag auch in geschlechtergerechter Sprache verfasst. Denn die Frauenh am Ostermorgen waren wohl Zeuginnen der Auferstehung Jesu und keine Zeugen!
Freundlich grüsst Sie
Esther Gisler Fischer.