So schwierig wie der Ausstieg aus einer Sekte

Franziska Schreiber hat einen Aussteiger-Bericht aus der AfD geschrieben, welcher Beobachter der religiösen Szene aufhorchen lässt. Darin werden Vorgänge beschrieben, die aus radikalen religiösen Gemeinschaften gut bekannt sind. «Es war ein bisschen wie in einer Sekte», hält Schreiber selbst in ihrem Bericht fest (2018, S. 60).

Damit ist auch klar, dass Schreiber keinen religiösen Sektenbegriff wählt. Die theologische Definition von Sekte, als Abspaltung einer Gemeinschaft, ist in einer pluralistischen Gesellschaft auch obsolet und taugt wenig, die Problematik radikaler Gemeinschaften zu beschreiben. Verbreitet ist heutzutage hingegen eine ethische Definition von Sekte, die gesellschaftlich problematische Verhaltensweisen im Fokus hat. Dieser Definition von Sekte, die auch nicht-religiöse Gruppierungen umfasst, folgt offenbar auch Schreiber. Problematisches benennt ihr Inside-Report zu Genüge. In Bezug auf die Sekten-Thematik ist an erster Stelle die mit ihrem Engagement in der Partei verbundene wachsende Distanz zur Gesellschaft und insbesondere auch zu ihrer Familie zu nennen. Schreiber schildert in ihrem Buch eindrücklich, wie ihre politische Einstellung unbemerkt immer mehr nach rechts gedriftet sei. In ihrer politisch eher links stehenden Familie kommt es daher schon bald zu Konflikten: Die von den AfD-Parolen irritierte Familie verlangt von ihr, sich davon zu distanzieren, doch Schreiber will dies nicht. Sie entfremdet sich immer mehr von ihrer Familie und trifft sich je länger je mehr nur noch mit Gleichgesinnten, wie sie eindrücklich beschreibt:

«Je lauter Parteifreunde die Wahrheit – oder was ich damals dafür hielt – aussprachen, desto verständnisloser reagierte meine Familie … also zog ich mich in meine AfD-Familie zurück. Da musste ich mich nie rechtfertigen, da fand ich Bestätigung. … Die Besuche bei meiner Familie beschränkten sich bald aufs Pflichtprogramm.» (S. 38)

Distanzierung von Familie und Gesellschaft, die bis zum Abbruch jeglichen Kontakts führen kann, lässt sich bei vielen radikalen Gemeinschaften beobachten. Die Problematik liegt insbesondere darin, dass damit der Ausstieg aus der Gruppierung und die Rückkehr in die Gesellschaft massiv erschwert wird. Kontaktabbruch ist daher ein ethisches Sekten-Kriterium. Schreiber berichtet diesbezüglich gar von Gruppendruck: Um das Vertrauen der anderen zu gewinnen, müssen sie ihre Treue beweisen, indem sie sich öffentlich radikal geben, d.h. möglichst etwas tun, «was den Rückweg in die Mehrheitsgesellschaft verbaut.» (S. 57)

Die Distanz zur Mehrheitsgesellschaft verbindet sich in radikalen Gruppierungen mit einem grundsätzlichen Misstrauen. «Das Gefühl von außen permanent angegriffen zu werden, schweißte uns zusammen.» Distanzierung und fortschreitende Radikalisierung befördern sich so gegenseitig: «Wer nur noch in Parteikreisen verkehrt, dem fehlt das Korrektiv. In der Echokammer AfD werden die eigenen Ansichten immer wieder bestätigt.» Dieses Bedürfnis nach Selbstbestätigung und Selbstvergewisserung wird stärker, wenn die Lehre/Weltanschauung einer Gruppe in der öffentlichen Kritik steht. Sektiererisch wird dies, wenn man sich nur noch auf die eigene Lehre fixiert, alles andere ablehnt und Kritik ausblendet oder gar verbietet. Mit den Neuen Medien ist dieses Problem auch als «Filterblase» bekannt geworden.

Von dieser Mehrheitsgesellschaft hat man sich auch sprachlich abgegrenzt, weiss Schreiber. Es gab in der AfD eine «grenzenlose Toleranz gegenüber grenzwertigen Äusserungen», wie die Aussteigerin berichtet. «Wirklich verdächtig machte sich bei der jungen AfD nur, wer sich an den Mainstream anpasste» (S. 46). Gegen innen haben radikale Töne dominiert, gegen aussen hat man hingegen anders kommuniziert, so Schreiber: «wenn Gäste anwesend waren, potentielle Neuzugänger, dann fraßen alle Kreide…» (ebd.). Insider-Sprache ist zwar kein zwingendes Indiz, kann als zusätzliches Kriterium aber ebenfalls auf sektiererisches Verhalten hinweisen.

Dass Kritik nicht gern gesehen wird, war schon Thema. In vielen Radikalen Gemeinschaften verbindet sich mit dem Tabu bzw. Verbot der Kritik die Erwartung der unbedingten Nachfolgen. Wer dazugehören will, muss sich ein- und unterordnen. Schreiber macht in diesem Zusammenhang explizit nochmals den Sekten-Vergleich: «Das System aus Gehorsam und Abhängigkeit in der AfD ist vergleichbar mit dem einer Sekte» (S. 165).

Die Schwierigkeiten des Ausstiegs sind ebenfalls vergleichbar. Doch was hilft der jungen Frau diesen Ausstieg zu schaffen? Gemäss dem Religionswissenschaftler Michael Blume spielen Bildung und Sozialkontakte eine wichtige Rolle. Die Liebe und Freundschaft vernünftiger Menschen kann sie auffangen:

«Durch Lesen und Bildung hat sich die Aussteigerin einen Fundus an liberalen Überzeugungen bewahren können. Und auch wenn ihre Familie den Rechtsdrall entschieden ablehnt, so halten sie doch Kontakt zu ihr, ebenso einige wenige Freundinnen und Freunde.»

Franziska Schreiber hat sich zu einem radikalen Bruch entschlossen. Sie macht ihren Ausstieg öffentlich und arbeitet ihre Zeit in der Partei in einem Buch auf – dies ist eine weitere bemerkenswerte Parallele zu Austeigenden aus klassischen Sekten: ein prominent platzierter Aussteigerbericht wie neulich etwa von Michelle Hunziker oder Oliver Wolschke. Die Öffentlichkeit des Ausstiegs gibt einen gewissen Schutz, die Ex-Gemeinschaft kann einem nichts tun, ohne dass damit ihr Image als Sekte aller Öffentlichkeit vor Augen geführt würde. Der Umgang einer Gruppierung mit Aussteigenden ist denn ein weiteres Sektenkriterium, Schreiber wurde auf Social Media als «Verräterin» gebrandmarkt und beschimpft – bereuen tut sie ihren Schritt nicht, denn nun steht sie wieder mitten in der Gesellschaft und kann in einem Land leben, «das jetzt wieder viel klarer, heller und schöner ist» (Schreiber 2018, S. 208).

Zum Buch: Franziska Schreiber (2018), Inside AfD. Der Bericht einer Aussteigerin, München: Europa

Die Meinung des Autors in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche.

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4 Kommentare
  • michael vogt
    Gepostet um 09:42 Uhr, 11. Juni

    „das könnte die biografie von jesus sein“, wie im neuen testament dargestellt, dachte ich, nachdem ich einen guten teil gelesen hatte. das verhältnis zwischen ihm und seiner umgebung? interessant wäre auch der vergleich mit anderen partien des neuen testaments. der glaube als rettung, unglaube als verderben. . .

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    • Christian Metzenthin
      Gepostet um 12:07 Uhr, 11. Juni

      Lieber Michael
      Lies doch das ganze Neue Testament und nicht nur einen guten Teil davon 😉

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  • michael vogt
    Gepostet um 02:52 Uhr, 12. Juni

    mit dem „guten teil“ ist gemeint, dass ich Ihren beitrag eben zu einem guten teil gelesen hatte. was herauskommt, wenn man alles verarbeitet und vergleicht, überlasse ich den experten.

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