Berührende Momente mit Bruder Dalai Lama
Im Vorfeld des Besuches „Seiner Heiligkeit des Dalai Lama“, wie er offiziell von seiner tibetischen Gemeinde genannt wird, gab es nicht nur viel zu tun. Es wurde auch viel Lob und Anerkennung hörbar, sich nicht der Macht der Politik zu beugen. Ich bekam jedoch auch viele kritische bis verärgerte Stimmen zu hören, die mir meine auf die reformierte Tradition bezogene theologische Verantwortung in Frage stellten. Mit Recht, denn in unserer Tradition gibt es keine Verehrung und keine Vergöttlichung des Menschen, sondern alle Menschen sind geschaffen von Gott als seine Geschöpfe. Die Distanz zwischen Klerus und Laien ist überwunden, das Priestertum aller Gläubigen gilt es zu bilden, der Talar ist kein Priestergewand, sondern Arbeitskittel der Lehrenden.
Und dann kam er. Er stieg aus dem Auto und wurde von weinenden und klatschenden Mitgliedern der tibetischen Gemeinschaft warm empfangen. Beim Eintreten in den Kirchenraum erlebte ich eine Stille angesichts von 1000 Besuchenden, die ich mir bei einem Konfirmationsgottesdienst oder einer Christnachtfeier nur wünschte. Der Dalai Lama sass vor dem Taufstein, zusammen mit einem Rabbiner, einem Imam, einer Hinduistin, einer röm-kath. Seelsorgerin und einer evang.-ref. Pfarrerin. Bei der Begrüssung drehte ich mich zu ihm, nannte ihn „seine Heiligkeit“ und sagte: „Doch in unserer Kirche, darf ich es so sagen, da sind Sie unser Bruder, Sie, Dalai Lama.“ Beim Wort Bruder löste sich die Spannung, die klatschenden Hände nahmen Tücher hervor, um die Tränen vom Gesicht zu wischen, verstohlen und offen.
Ich habe selten so viele berührende Momente in so kurzer Zeit bei so vielen Menschen im Kirchenraum erlebt. Die intimsten Momente und die öffentlichsten Beobachtungen bis ausserhalb der Kirchenmauer, durch eine Screenwand auf den Zwingliplatz projiziert, flossen ineinander. Am Schluss des interreligiösen Friedensgebets und der Reflexion über die Verantwortung von Kirchen und religiösen Gemeinschaften für den Frieden löste sich der Dalai Lama vom Protokoll. Er näherte sich einem jungen Knaben mit geistiger und körperlicher Beeinträchtigungen, der in seinem Rollstuhl lag.
Der Raum krümmte sich zusammen mit der Menschentraube um den Knaben, der vom Dalai Lama geherzt wurde. Fremde Menschen hielten sich, Tränen flossen, ohne dass sich die im Herz Berührten schämten. Es entstand eine Kapelle berührender Stille um den Menschen mit seiner Verletzlichkeit und Behinderung. Zum zweiten Mal beteten Menschen unterschiedlicher Religion in ihrer Verletzlichkeit des Menschseins für den Frieden, mit Händen, mit Berührung, mit Anteilnahme. Und Frieden stellte sich ein.
Tränen, sie sind Zeichen dafür, dass ich mit meiner Herrschaft am Ende bin. Sie sind Zeichen der Ohnmacht. „Es hat mich übermannt“, sagen dann viele verstohlen. Da kommt etwas über mich, das mich schüttelt. Und aus meiner Erschütterung heraus fliessen sie, die Tränen. Es können Tränen des Ärgers sein oder auch Tränen der Ergriffenheit, der Trauer oder der Freude. Doch die Tränen ziehen mich in einen anderen, neuen Raum, in einen heilenden und einen heilig empfundenen Raum.
In diesem Raum merke ich, dass ich nicht stets von mir, sondern von woanders her Hilfe bekommen muss. Ich öffne meine verkrampften Hände, und mit meinen Händen auch mein Herz. Und dann bekomme ich ein Gespür für ein Du, das woanders herkommt. Und wir Menschen, Brüder und Schwestern einander geworden, weisen auf dieses Du vom Jenseits hier im Diesseits immer wieder hin.
Der Dalai Lama hat nichts anderes gemacht, als dem Jungen seine Hände zu halten. Und die Hand des jungen Knaben öffnete sich, und seine wandernden Augen blieben für einen Augenblick beim Anblick des fremden, alten Mannes stehen. Blick der tränenvollen Augen.
Christoph Sigrist
Andrea Linsi
Gepostet um 15:51 Uhr, 19. OktoberLieber Herr Sigrist
Ich bin die Mutter von Yorick, dem Jungen der vom Bruder ! Dalai Lama gesegnet wurde. Ihre Worte sind wunderbar treffend. Sie beschreiben sehr einfühlsam was viele Menschen am Samstag im Grossmünster erleben durften. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihren grossen Einsatz rund um die Organisation dieses wichtigenEreignisses.
Da wurden viele Keime gelegt. Sie werden aufgehen und die Welt heller und lichtvoller machen.
Andrea Linsi
Esther Gisler Fischer, la Pasionara
Gepostet um 16:04 Uhr, 19. OktoberGerade so müssen Begegnungen von Jeschua ben Mirjam, der Wanderprediger mit den Kranken, Ausgegrenzten und Armen seiner Zeit gewesen sein: Zugewandt und mitfühlend. Diese Haltung ist keiner Religion vorbehalten, sondern hat sich historsch in vielerlei Gestalt manifestiert und kann es noch heute durch jeden Menschen; -Mann oder Frau, der/die barmherzig druch die Welt geht und ihren/seinen Mitmenschen begegnet.
Fredi Rechsteiner
Gepostet um 16:05 Uhr, 19. OktoberGrossartig geschrieben . Auch das berührend und ergreifend. Ich danke Dir dafür
Fredi Rechsteiner, Ürikon (in Erinnerung an Deinen Gottesdienst für und mit Ernst-Werner Widmer vor zwei Jahren)
Esther Gisler Fischer, la Pasionara
Gepostet um 17:05 Uhr, 19. OktoberIch kann nicht umhin, in der allgemein bestehenden seligen Verehrung des 14. Dalai Lama, mit bürgerlichem Namen Tenzin Gyatso, einige kritische Bemerkungen zu machen: So befragt dieser zu Neujahr immer noch das Staatsorakel, um zu Entscheidungen zu kommen: „Wenn der Dalai Lama eine Frage hat, legt Thubten Ngödrup sein 40 Kilo schweres Ritualgewand an. Weihrauch wird angezündet, und Helfer setzen ihm eine mächtige Krone auf den Kopf. Dann tanzt das Orakel so lange zu Blashorn- und Zimbelmusik, bis es in Trance fällt und Sätze murmelt, die nur für geschulte Ohren zu verstehen sind. Der Dalai Lama glaubt fest an die Prophezeiungen. Er habe im Rückblick festgestellt, ‚dass das Orakel noch immer recht hatte‘, sagte er einmal.“ Tilman Müller: Die zwei Gesichter des Dalai Lama – Der sanfte Tibeter und sein undemokratisches Regime In: Stern, Nr. 32/2009
Und Frauen sind auch in seiner Auffassung nur zweitrangig. Wir Reformierte sind vielfach einfach zu naiv und zu unkritisch solchen Heilsgestalten gegenüber. Dies gilt auch Papst Franziskus gegenüber, der aller Sympathie zum Trotz halt auch die Frauen in seiner Kirche diskrimiert .
Christian Weiss
Gepostet um 12:59 Uhr, 20. OktoberNoch vor Jorge Mario Bergoglio aka Papst Franziskus scheint es Tenzin Gyatso aka Dalai Lama zum spirituellen Popstar geschafft haben, der Kultstatus geniesst und dabei auch von vielen Prominenten aus dem Show-Business hofiert wird. Obwohl mir der Dalai Lama durchaus sympathisch ist, ist mir dieser Personenkult doch sehr suspekt, und ich finde es seltsam, dass gerade ein reformierter Pfarrer – trotz der Distanzierung in der Einleitung – da Ergüsse der Ergriffenheit zum Besten gibt, als wäre er selber eben zum tibetanischen Buddhismus übergetreten und sehe nun in Gyatso eine LIchtgestalt, die in ihrer spirituellen Weisheit über uns Sterblichen steht. Irgendwie scheint mir das nicht im Sinne des Erfinders der reformierten Zürcher Kirche zu sein.
Problematisch scheint mir diese zum guten Teil dem herrschenden Zeitgeist und Lifestyle geschuldete kultische Verehrung für den Dalai Lama auch dahingehend, dass sie den Blick auf das vorchinesische Tibet verklärt. So sehr der Einfall der Chinesen mit dem Maoismus eine Menschen verachtende Ideologie nach Tibet brachte, so wenig war Tibet vor der chinesischen Annexion ein Paradies. Tenzin Gyatsos Vorgänger waren Führer einer Jahrhunderte lang währenden repressiven, feudalistischen Theokratie, die das Volk in Unfreiheit, Armut und Unwissenheit hielt.
Aufgrund der überaus erfreulichen Tatsache, dass viele Exiltibeter in unserem Kanton eine neue Heimat gefunden haben, ist es sicher richtig, dass man ihr spirituelles Oberhaupt zu so einem Anlass einlädt. Aber bezüglich Schwärmerei und Personenkult für diesen Mann fände ich etwas mehr Nüchternheit angebracht.
Regina Vettiger-Rösinger
Gepostet um 13:47 Uhr, 21. OktoberLieber Christoph
Wie wunderbar berührend Deine Worte sind.. Ich danke Dir von Herzen dafür!
Ps: mit Tränen in den Augen… grüsse ich Dich!
Regina
Anonymous
Gepostet um 18:00 Uhr, 18. NovemberDanke Christoph für deine berührenden Worte. Beim Händedruck mit Dalai Lama hinterlässt du einen sehr verkrampften Eindruck. Ohne Zweifel würdest du das auch mit dem obersten Islamführer der Schweiz machen. Auch er ist sehr friedliebend. Sollten wir Christen uns den endlich einmal umbesinnen? Islam wird von dir und der Kirche immer wieder gepriesen. Die Kirche will der Einfachheit halber den Islam fördern. Die Tatsache, dass Mohammed das selbe getan hat, was heute die IS macht, kümmert euch nicht. Jesus hat uns nur gutes gelehrt, niemals hat er andere Menschen geköpft. Im Islam ist das anders. Mohammed hat an einem einzigen Tag 700 Juden auf grausame Weise getötet. Der Koran sagt in vielen Suren, dass Ungläubige wie wir getötet werden müssen. Dafür hast du keine ehrliche Antwort. Aber immerhin hast du Dalai Lama mit verbittertem Gesicht die Hand gehalten. Ich glaube mit Ehrfurcht an unseren Gott. Für mich bist du etwas verblendet. Und noch etwas zuletzt: was du mir angetan hast, vergesse ich nie!
Esther Gisler Fischer
Gepostet um 11:52 Uhr, 05. DezemberAnbei der Link auf ein interessantes Sternstunde-Gespräch mit Tenzin Gyatso, worin er plädiert, dass jede/r am Besten bei ihrer/seiner Religion bleiben soll:
http://www.srf.ch/sendungen/sternstunde-religion/dalai-lama-wir-muessen-ganzheitlich-auf-das-menschsein-blicken
David
Gepostet um 20:34 Uhr, 10. JanuarI’m pleased that I seen this website, precisely the proper information that I was trying to find!