Transzendentalhygiene – Fragen über Fragen
Na, toll. Jetzt darf ich endlich in einem neuen Blog schreiben und mir fällt nichts ein. Es ist nicht das erste Mal, das so etwas passiert. Ein neuer Ort, eine neue Aufgabe, ein neues Zielpublikum – und schon bin ich selbst „neu“, bzw. ein „unbeschriebenes Blatt“, das vor einem unbeschriebenen Blatt [1] sitzt. Ganz schlimm wird es, wenn der Chef sagt: „Du bist vollkommen frei zu schreiben, was du willst“ [2]. Immerhin habe ich mir für solche Fälle eine Strategie zurechtgelegt, die ich „Transzendentalhygiene“ nenne. Die sieht folgendes vor: Ich frage mich, wieso mir nichts einfällt – und zwar so lange, bis mir eine Antwort zu dieser Frage einfällt. Damit ist der Anfang mal gemacht. Der Rest kommt dann wie von selbst. Meine Transzendentalhygiene trägt gewissermassen gedanklichen Zahnstein ab und verhindert, dass ich geistig auf dem Zahnfleisch gehe.
Und jetzt zu meiner Transzendentalhygiene.
Wieso fällt dir nichts ein? – Mir fällt schon einiges ein, aber ich weiss nicht, wo ich anfangen soll [3].
Wieso nimmst du nicht irgendeinen dieser Einfälle? – Ich habe bereits einen Blog [4] und da habe ich schon ziemlich viel gesagt. Ich will mich nicht wiederholen.
Wenn Du einen eigenen Blog hast, was willst du dann in diesem Blog? – Dieser Blog scheint sehr interaktiv zu sein. Man kann mit den Lesern via Kommentarspalten hin und her schreiben und richtig kommunizieren. Das wäre ja der Sinn des Internets.
Worüber willst du denn mit der Leserschaft kommunizieren?– Das kommt darauf an, wofür sich die Leser und Leserinnen interessieren. Es ist ähnlich wie bei einer neuen Schulklasse. Natürlich weiss ich, was ich laut Lehrplan unterrichten soll. Aber gleich zu Beginn will ich wissen, was die Schüler ganz speziell interessiert, was für Fragen sie haben. Das macht alles lebendiger. Ausserdem finde ich, Fragen sagen oft mehr aus als Antworten.
Und worauf wartest du noch? – Na, dann los!
Liebe Leserin, lieber Leser, ich lade Sie hiermit ein, die Kommentarspalten zu füllen! Sagen Sie mir:
Wieso lesen Sie diesen Blog, und was erhoffen Sie sich davon?
Welches Thema brennt Ihnen unter den Nägeln?
Falls Sie sich als „gläubig“ definieren: Glauben Sie , dass Sie glauben oder wissen Sie es (und wenn ja: woher)?
Ist Ihr Glaube immer gleich? Können Sie sich vorstellen, dass etwas passiert und Sie Ihren Glauben verlieren?
Falls Sie sich als „nicht gläubig“ definieren: Haben Sie an Ihrem Unglauben schon mal gezweifelt?
Was müsste passieren, damit Sie doch noch irgendwie gläubig werden [5]? Und wäre das überhaupt erstrebenswert?
Haben Sie Fragen von der Sorte „Was ich schon immer mal einen Theologen fragen wollte“?
Und zu guter Letzt: Würden Sie mir die Zugangsdaten zu Ihrem Bankkonto anvertrauen? [6]
[1] Überflüssige Fussnote: Die Redewendung „unbeschriebenes Blatt“ ist nicht mehr zeitgemäss. Eigentlich sitze ich vor einem unbeschriebenen Word-Dokument. In 100 Jahren werden Germanisten auf diese Etymologie hinweisen. Ähnlich wie Theologen biblische Bilder ins Heute zu übertragen versuchen, weil sie niemand mehr wörtlich verstehen kann.
[2] Überflüssige Fussnote: Über den Zusammenhang von Freiheit und Verunsicherung haben schon Kierkegaard, Heidegger und die französischen Existenzialisten philosophiert. Niemand aber traf diesbezüglich den Ton genauer als der Schnulzengitarrist Ricky King mit seinem unsäglichen Hit „Frei – das heisst allein“.
[3] Überflüssige Fussnote:Bei Woody Allen beschwert sich ein Dramatiker, dass er ein Stück nie zu Ende schreiben kann, weil ihm kein Schluss einfällt. Man rät ihm, das Ganze umzudrehen und mit dem Ende zu beginnen. Zwar findet er so ein Ende, es fällt ihm aber kein Anfang dazu ein. Hätte er die Transzendentalhygiene schon gekannt, wäre ihm das nicht passiert.
[4] Flüssige Fussnote: www.vorletztes.blogspot.com
[5] Überflüssige, aber lustige Fussnote: Ein guter Freund von mir kann mit Glauben und Kirche nichts anfangen. „Religiöse Gefühle“ habe er im Leben genau ein Mal gehabt. Als er nach einem Fest bei einem Sturzbetrunkenen ins Auto stieg, der wie ein Henker fuhr. Da habe er das einzige Mal gebetet. – Für die Kirche könnte sich hier eine neue Missionsstrategie auftun.
[6] Das war ein kleiner Scherz. Ich hoffe sehr, Ihre Antwort ist ein entschiedenes Nein!
Anonymous
Gepostet um 08:54 Uhr, 24. OktoberGrüezi, Herr Amatruda,
Zu Ihrer Frage betr. glauben Sie, dass Sie glauben? Ich bin in meinem Leben Gott so oft begegnet, dass ich gar nicht anders kann, und weil ich diese Begegnungen nicht vergessen werde ( das hoffe ich doch, obwohl ich allmählich in das kritische.Alter komme), und sie mir schon durch Vieles ziemlich Scheussliches durchgeholfen haben, habe ich keine grosse Bedenken, dass das so bleiben wird.
Ich wünsche Ihnen von Herzen das Gleiche.
Bruno Amatruda
Gepostet um 19:25 Uhr, 24. OktoberIhr Wunsch in Gottes Ohr! Vielen Dank! Und ich bin überzeugt, solche Begegnungen vergisst man nie mehr! Alles Gute wünsche ich Ihnen!
Bruno Amatruda
Huber Erwin
Gepostet um 14:49 Uhr, 26. OktoberGuten Tag Herr Amatruda,
Ich muss Ihnen leider sagen, dass ich über Ihren Humor nicht lachen kann. Jetzt fragen Sie sich sicher wieso. Die Antwort ist ganz einfach: weil er nicht lustig ist! Unter meinen Nägeln brennt deshalb nur eine Frage, die aber lichterloh: Wie tief ist die reformierte Kirche gesunken, dass sie einen wie Sie hier schreiben lässt? Ich habe vor Jahren einmal gehört, dass Sie jetzt Bibliolog-Kurse anbieten. Ich hatte schon damals ein ungutes Gefühl. Vom Bibliolog zum Blog ist es bekanntlich nur ein kurzer Weg, genauer gesagt minus 5 Buchstaben. Irgendwie hatte ich geahnt, dass Sie der Versuchung nicht würden widerstehen können, wie das sprichwörtliche Kamel der Versuchung des kurzen Wegs nicht widerstehen zu können. Aber als mein ehemaliger Lateinschüler sollten Sie doch wissen, dass im Wort Blog noch das aramäische Wort für „Geistkraft“ steckt: logos! Ich erwarte von Ihnen hier deshalb geistvolle, inspirierende, im besten Sinn des Wortes erbauliche Beiträge! Aber was kommt?! Nicht viel mehr als faule Sprüche. Ich gebe Ihnen jetzt mal einen gut gemeinten Rat: Sie sollten mal ganz einfach anfangen und für sich selbst ein Blogbuch führen. Jeden Morgen sollten Sie aufschreiben, ob Sie persönlich noch auf Kurs sind oder nicht. Vielleicht kommt dann irgendwann etwas dabei raus, mit dem Sie sich an die Öffentlichkeit wagen können. Aber bitte keine halbgaren Witze mehr! Das braucht hier keiner, am allerwenigsten ich. So, jetzt habe ich Ihnen die Kommentarspalte gefüllt. Alten Wein in neue Medien sozusagen. Bitte beherzigen Sie in Zukunft meinen Rat: Gehen Sie „in medias res“. Es geht nicht nur darum. in den Medien (medias) zu sein, sondern auch darum, etwas von der Sache zu verstehen und dieser auf den Grund zu gehen.
Hochachungsvoll grüsst Sie,
Erwin Huber
Bruno Amatruda
Gepostet um 18:52 Uhr, 26. OktoberGuten Abend, Herr Huber
Vielen Dank für Ihr Feedback. Ich gebe Ihnen Recht, was die Kirche anbelangt, auch wenn ich es etwas anders formulieren würde. Jemanden wie mich schreiben zu lassen ist sehr gnädig. Aber das ist auch irgendwie das Motto der Reformierten: Wir leben nur aus Gnade, sola gratia! Womit ich aber beim nächsten Punkt wäre: ich hatte nie bei Ihnen Latein (ich hatte eine Lehrerin) und mit Bibliolog habe ich auch nie etwas zu tun gehabt. Daher hänge ich gleich NOCH eine Frage an: Verwechseln Sie mich mit jemandem? 🙂
EInen schönen Abend wünscht Ihnen
Bruno Amatruda
Sonja
Gepostet um 16:07 Uhr, 24. OktoberIch erhoffe mir Gedankenanstösse von diesem Blog. Und ich bin gespannt über aktuelle Themen aus einer anderen Perspektive zu lesen. Als nächstes fragst Du mich sicher, ob ich schon etwas Interessantes gefunden habe. Ja. Den Post von Eduard Kaeser fand ich sehr interessant, für mich eine neue Perspektive zu dieser Problematik, Prädikat wertvoll. Und dann habe ich mich sehr über den Post zum Themenabend „Terror“ gefreut. Dieser Abend hinterliess mich einigermassen sprachlos und ich teile in vielem die Ansicht des Autors und bin froh, dass das jemand gesagt hat. Ausserdem fand ich einige Beiträge, die mich berührten (Dalai Lama) und andere entlockten mir ein Lachen (Deiner). Fazit insgesamt: ich habe hier in zwei Wochen mehr Interessantes gefunden als in anderen Blogs über Monate.
Deine Frage mit dem „Glauben“ möchte ich gerne zurückgeben. Du bist gläubig, richtig? Weisst Du, dass Du gläubig bist oder glaubst Du gläubig zu sein? Und wenn Du es weisst, woher?
Die Frage mit den Zugangsdaten zu meinem Bankkonto ist schnell beantwortet. Nein! Nicht, weil ich Dir persönlich misstraue, tue ich nicht, wir kennen uns ja nicht. Aber es gibt ein paar wenige Dinge, die nur ich von mir weiss und diese Daten gehören dazu ;).
Bruno Amatruda
Gepostet um 19:34 Uhr, 24. OktoberDanke, Sonja, für Dein Feedback! Es freut mich, dass Dir der Blog gefällt. Und klar, kannst Du die Fragen gleich zurückgeben, dann wird der Blog ja richtig interaktiv! Ich weiss nicht, ob ich gläubig bin. Ich weiss nicht einmal, ob ich überhaupt irgendetwas weiss, bzw. ich denke, alles ist sehr vorläufig. Was ich jetzt „weiss“ könnte in 20 Jahren widerlegt werden. Aber ich glaube, dass ich gläubig bin. Allerdings auf meine sehr persönliche Art und Weise…also nicht sehr orthodox. Aber genau deshalb bin ich reformiert, weil hier in Glaubensfragen sehr grosse Offenheit herrscht.
Viele Grüsse und verrate niemandem Deine Kontonummer!
Friederike Kunath
Gepostet um 00:58 Uhr, 29. OktoberLieber Bruno, das war erfrischend! Interessanter Zugang, so transparent die kreisende Leere zu beschreiben, die es beim Schreiben oft gibt (ich kenne sie auch! und habe auch eine Methode so ähnlich wie die Transzendentalhygiene, aber hab sie natürlich nicht so eindrücklich benannt).
Gern nehme ich die Einladung an und antworte auf Deine Fragen:
Wieso lesen Sie diesen Blog, und was erhoffen Sie sich davon? – Ich bin Theologin und dazu gläubig. Ich habe auch einen Blog und sofort als ich auf den hier stiess, fand ich das Projekt bloggende Kirche gut. Was ich mir erhoffe? Inspiration, Bewegung, Aha-Momente, Entdeckungen, Vernetzungen. Und ich lasse mich gern überraschen, ganz erwartungsfrei.
Welches Thema brennt Ihnen unter den Nägeln? – Wie kann theologische Sprache und Sprache über Geistliches, Gott, Spirituelles usw. gut sein, also klar, direkt, persönlich, ohne anzubiedern, ohne abzuheben und all das, was so oft nervt?
Falls Sie sich als „gläubig“ definieren: Glauben Sie , dass Sie glauben oder wissen Sie es (und wenn ja: woher)? – ich weiss, dass ich glaube. Woher? Viel Selbstbeobachtung und bewusste Entscheidung (für Glaube im Sinne von Vertrauen!)
Ist Ihr Glaube immer gleich? Können Sie sich vorstellen, dass etwas passiert und Sie Ihren Glauben verlieren? – Mein Vertrauen ist erstaunlich treu, aber auch wechselhaft wie das Wetter. Unter den Stimmungen gibt es aber tatsächlich eine immer weiter wachsende Gewissheit, eine Art wachsende Übung im Vertrauen. Ja klar, das kann verloren gehen, sehr schnell – aber dann kann es auch wieder zurückkommen. Das ist eigentlich das tollste.
Und zu guter Letzt: Würden Sie mir die Zugangsdaten zu Ihrem Bankkonto anvertrauen? – Wohl eher nicht.
Bruno Amatruda
Gepostet um 12:07 Uhr, 29. OktoberVielen Dank, Friederike, für Deinen Post! Deine Antworten sind spannend und ganz speziell die Frage „was brennt unter den Nägeln“ – geht mir nämlich ähnlich.Was wären angemessene Übersetzungen der theologischen Begriffe in die heutigeZeit? Ist das ein rein sprachliches oder doch auch ein inhaltliches Problem etc., also mehr, als die Kritik etwa von Erik Flügge. – Wie heisst Dein Blog?
Viele Grüsse,
Bruno
Friederike Kunath
Gepostet um 23:23 Uhr, 29. OktoberVielen Dank wiederum! Erik Flügge hat mich auch beschäftigt und er kommt kurz in einem meiner Blogartikel vor. Allerdings anders, als ich gedacht hatte (denn ja, Sprache ist Teil des Problems, aber auch Symptom für Inhaltliches und sehr viel und immer Persönliches). Mein Blog findet sich auf http://www.schreibstimme.ch/blog. Viele Grüsse, Friederike
Bruno Amatruda
Gepostet um 08:42 Uhr, 31. OktoberDanke für den Bloghinweis. „Die zweite Einfachheit“ hat mir sehr gut gefallen. Erinnert mich an all die Jazz-Grössen, welche -nachdem sie halsbrecherische Läufe und komplizierte Tonleitern in brutalem Tempo gemeister haben – wieder „back to the roots“ gehen. „Play as if you can’t play!“ sagte Miles Davies zum Gitarristen John Mclaughlin in einer der ersten Aufnahmesessions. 🙂