Trump reformiert?

Yep, scheint so. In amerikanischen Wahlkämpfen werden Politiker gewöhnlich nach ihren religiösen Überzeugungen und ihrer Gemeindezugehörigkeit gefragt. Donald Trump gibt an, Presbyterianer zu sein. Trump, mein Glaubensgenosse? Na toll.

Dass Presbyterianer reformiert sind, bestreite ich gar nicht. Es gibt eine direkte Linie von Ulrich Zwingli und Heinrich Bullinger über Jean Calvin zu John Knox in Schottland und zur presbyterianischen Kirche in den USA. Aber Donald Trump?

Als Reformationsbotschafterin versuche ich, die leuchtenden Vorbilder der reformierten Tradition in Erinnerung zu rufen: Marie Durand, Jeremias Gotthelf, Harriet Beecher-Stowe, Elsie Inglis, Woodrow Wilson. Welche reformierten  Werte und Überzeugungen haben sie angespornt? Soll ich das bei Trump versuchen? Ich probiere es mal.

Donald Trump bindet sich an kein Glaubensbekenntnis. Das, was er selber in einem bestimmten Moment sagt, ist für ihn in dem Moment die Wahrheit. Ist das reformiert?  Reformierte der deutschsprachigen Schweiz betonen zwar auch gerne, dass sie „selber denken“, und dass sie bekenntnisfrei sind. Doch für Zwingli und Calvin war Gottes Wort Richtschnur des Glaubens. Das zweite Helvetische Bekenntnis von Bullinger wird in Ungarn, in den Niederlanden und sonst wo auf der Welt in Ehren gehalten. Fast alle reformierten Kirchen messen ihre Theologie und ihre ethische Haltung an ihren Bekenntnissen, bis hin zur Barmer Theologischen Erklärung in Deutschland (gegen Nationalsozialismus) und zum Belhar Bekenntnis (gegen Apartheid) in Südafrika. Der Generalsekretär der Presbyterianischen Kirche (PCUSA), Gradye Parsons, schrieb im letzten Oktober einen offenen Brief an Trump, um ihn über die offizielle Haltung seiner Kirche zum Thema Flüchtlinge und Migration zu belehren, ohne erkennbare Wirkung.

Und wie hat es Trump mit der Bibel? Er finde sie gut. Er bekomme sie oft geschenkt und hebe alle Exemplare an einem sicheren Ort auf. Gefragt nach seiner Lieblingsstelle hatte er lange Schwierigkeiten, eine Antwort zu finden. Dann fiel ihm doch ein guter Vers ein:  „Auge um Auge“. Reformiert daran könnte sein, dass es ein Zitat aus dem Alten Testament ist (Exodus 21,24). Zwingli, Bullinger und Calvin haben im Gegensatz zu Luther die Einheit des biblischen Zeugnisses betont. Das Alte und das Neue Testament legen sich gegenseitig aus. Ich vermute aber, dass Jesus‘ Kommentar über diesen Vers in der Bergpredigt (Matthäus 5, 38-39) nicht auf Trumps Radar ist.

Ein weiterer Test: Das Verhältnis zum Materiellen. Für die Reformierten gibt es keinen Unterschied zwischen heilig und weltlich. Die Arbeit ist auch Gottesdienst, zur Ehre Gottes. Der Beruf ist eine Berufung. Gewinn ist gut, aber man sollte bescheiden leben, und den weniger Privilegierten helfen. Trump orientiert sich an der Philosophie eines Predigers aus seiner Jugend, Vincent Peale, Autor des damaligen Bestsellers „The Power of Positive Thinking“. Wenn du dir selber hilfst, hilft dir Gott. Somit wären die Armen an ihrer Lage selber schuld. Das ist eine Verzerrung der reformierten Theologie. Dass Trump bisher der erste Präsidentschaftskandidat ist, der sich geweigert hat, Einblick in seine Steuern zu gewähren, passt ganz und gar nicht zum fast überspitzten Sinn für soziale Gerechtigkeit der reformierten Kirchen über die Jahrhunderte.

Für Zwingli, Bullinger, Calvin und für heutige Reformierte in den USA ist die Gemeinschaft wichtig. Ein Glaube ohne Gemeinschaft wäre unecht, genauso wie ein Glaube ohne das Streben nach Gerechtigkeit unecht wäre. Deshalb stellt sich die Frage, ob Trump tatsächlich Mitglied einer lokalen Kirchgemeinde ist. Er behauptet, dass er die Marble Collegiate Church in Manhattan, eine Gemeinde der Reformed Church in America besuche, wenigstens an Weihnachten und Ostern. Die Gemeindeleitung berichtet, dass er kein aktives Mitglied der Gemeinde sei. Es gibt aber auch keine presbyterianische Gemeinde, in der er Mitglied wäre. Darum, wenn es um die Kirchenmitgliedschaft geht, gilt die Devise viel Schein und wenig Sein. Mein Verständnis vom Reformiert sein ist genau umgekehrt: Viel Sein und wenig Schein.

http://www.weeklystandard.com/the-religion-of-trump/article/2000601
http://www.theatlantic.com/politics/archive/2016/07/trumps-sunday-school/492653/
http://www.sonntagsblatt.de/news/aktuell/2016_20_19_01.htm

Das ist auch noch interessant:

Marble Collegiate church according to its website is the oldest place of worship of the Collegiate Reformed Protestant Dutch Church of the City of New York and the oldest Protestant organization in North America with continuous service. It was organized in 1628 under the Dutch West India Company.

„We are a community of people on a shared journey of life and Faith. We are committed to inclusivity, to being a place of welcome, safety, love, and respect for all persons regardless of age, station, economics, color, sexual orientation, or any of the categories the world constructs to segregate or alienate people from people,“ states the church in a welcome message on the website. „In this place, we celebrate that we are all children of the same God and thus are all sisters and brothers to each other.“

Aus:
http://www.christianpost.com/news/marble-collegiate-church-says-donald-trump-is-not-an-active-member-143991/

 

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8 Kommentare
  • Anonymous
    Gepostet um 14:43 Uhr, 03. Oktober

    Sehr informativ! Ich freue mich schon auf den nächsten Blog! 🙂

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  • Thomas
    Gepostet um 00:10 Uhr, 04. Oktober

    Las ich gerne.

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  • Anonymous
    Gepostet um 19:16 Uhr, 08. Oktober

    Es ist bestechend treffend und informativ. Dass Donald Trump hervorgehoben wird zeigt aber auch und ist gleichzeitig auch eine Beleidigung für alle ehrlichen
    reformierten Glaubensbrüder und Glaubensschwestern. Denn was Donald Trump Presbyterianer zu sein stimmt nicht überein was er im privaten Leben und in
    der Politik aussagt.

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  • Albert Brülisauer
    Gepostet um 19:17 Uhr, 08. Oktober

    Es ist bestechend treffend und informativ. Dass Donald Trump hervorgehoben wird zeigt aber auch und ist gleichzeitig auch eine Beleidigung für alle ehrlichen
    reformierten Glaubensbrüder und Glaubensschwestern. Denn was Donald Trump Presbyterianer zu sein stimmt nicht überein was er im privaten Leben und in
    der Politik aussagt.

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    • Esther Gisler Fischer
      Gepostet um 17:34 Uhr, 19. Oktober

      … da hat sich der „Anonymous“ wohl geoutet: Schön! Ich habe es lieber, einen Namen vor mir zu haben.

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  • Felix Geering
    Gepostet um 15:00 Uhr, 29. Oktober

    …zur Bekenntnisfreiheit der Kirche:
    Bekenntnisfreiheit ist nicht das Gleiche wie Bekenntnislosigkeit.
    Auch dann nicht, wenn die Begriffe von angeblichen oder tatsächlichen Kirchenmitgliedern verwechselt werden.

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  • Catherine McMillan
    Gepostet um 09:13 Uhr, 31. Oktober

    Danke, dass Sie das Thema der Bekenntnisfreiheit aufgreifen! Mir war es in der Schweiz zunächst befremdlich, dass im Gottesdienst kein Glaubensbekenntnis gesprochen wurde. Für mich sind Bekenntnisse etwas wie ein Geländer, an dem ich mich orientieren kann. Ich muss nicht immer daran festhalten, aber in bestimmten Situationen – zum Beispiel bei ethischen Entscheidungen – bin ich froh, auf einen bewährten Glaubenssatz zurückgreifen zu können. Ein Bekenntnis kann eine gehaltvolle Grundlage für eine Diskussion über den Glauben sein. Vielleicht wären wir für Menschen anderer Konfessionen etwas fassbarer, wenn wir die Bekenntnisse unserer Tradition besser kennten.

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  • JimmiXzSw
    Gepostet um 14:41 Uhr, 19. Februar

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