
Tussi
Entrüstete Leser*innenreaktionen gingen ein bei SF DRS, offenbar zahlreiche: Sabine Dahinden sei in der Sendung „Schweiz aktuell“ in den Bergen viel zu stark geschminkt (Blick online vom 28.7.18)! Und tatsächlich: Mit knallrotem Lippenstift sitzt sie strahlend im Fels.
Da steigt doch einiges auf an Erinnerungen in mir, an Zeiten, die ich längst überwunden glaubte. Meine Sympathie liegt 200%ig bei Sabine Dahinden! Wie könnte ich anders, ich, eine der ganz frühen Tussen an Zürichs ehrwürdiger theologischer Fakultät :-)? Während des Theologiestudiums war ich eine der wirklich raren geschminkten Studentinnen, mein Markenzeichen – pinkfarbener Lippenstift – habe ich beibehalten bis heute. Die wenigen andern Mitstudentinnen mit Make up könnte ich heute noch namentlich aufzählen, sie leben noch, sind also nicht von Gottes Blitz zur Strafe niedergestreckt worden, oder so. Ganz anders sah es diesbezüglich aus an der philosophischen Fakultät I, die ich vorgängig beehrte. Vor allem Studierende der Kunstgeschichte wirkten gleich selbst wie kleine Kunstwerke. Bei den Theologen lief das nicht so einfach. „Ja, bist du denn nicht zufrieden damit, wie dich Gott geschaffen hat?!“ war noch das wenigste.
Nein, natürlich bin ich damit nicht zufrieden! Aber darum gehts nicht (nur). Auch nicht darum, möglichst viele potente Männchen anzulocken mit den Waffen einer Frau. Da würden rote Lippen im Gebirge tatsächlich wenig Sinn machen unter Murmeltieren und Steinböcken. Die würde frau übrigens auch in der Stadt nicht anlocken wollen.
Aber worum gehts dann? Beim sich Schminken? Identitätsfindung? Ausprobieren, viele eigene Gesichter entdecken, sich wandeln können? Sowas kommt mir bei jungen Frauen in den Sinn. Später geht es vielleicht eher in Richtung Maske. Weibliche Insignien als Schutz. Ich bin kein Mäuschen, das du verunsichern oder gleich umpusten kannst. Ich bin ein Gegenüber, mit Make up, Schmuck, Haaren, Parfum. Also erst mal einen Schritt zurück. Make up, bewusstes Styling bietet mir auch Schutz in meiner Arbeit: vor dem Ausgesetztsein in ganz schwierigen Situationen, mit täglich unbekannten Menschen, in Begegnungen, in denen Emotionen wirklich hochkochen. Und was die Vervollkommnung von Gottes Werk anbelangt: Da sind wir auch auf andern Ebenen dran. Stichwort Heilung von Krankheiten, zum Beispiel. Die Variante, dass Frauen nur leicht beeinflussbare und hilflose Opfer von Schönheitsindustrie und -wahn seien, lasse ich gleich weg. Wir wissen schon, was wir wollen und tun. Und zu guter Letzt: Sich schminken macht einfach auch Spass!
Was noch? Ich erinnere mich an meine erste Begegnung mit einer 20-Jährigen, die unter cystischer Fibrose litt. Krank seit Geburt. Sie sass im Bett, zart, blond, in rosa, umgeben von Teenie-Klatschheftchen und Blingbling aller Art und probierte Lippenstifte aus. Im Spital. Ein Tussi-Engel! Und das war sie. Die ganze Station liebte sie. Ihre Gesundheit – Gottes Werk? – meinte es nicht gut mit ihr. Auch die spätere Transplantation brachte ihr die so sehnlichst erhoffte Lebensqualität nicht. Heute lebt sie nicht mehr. Aber sie blieb standhafte Tussi bis zuletzt, Lippenstift selbstverständlich! Sie liess sich nicht kleinkriegen, liess sich als junge Frau, die doch so gerne ganz anders gelebt hätte, nicht zerstören. Was sie an Normalität erhaschen konnte, das nahm sie.
Worauf wir vielleicht beim Punkt sind: Sich schminken hat vor allem mit dem eigenen Lebensgefühl, der eigenen Identität zu tun. Nichts davon ist defizitär. Schminken tut gut. Schminken ist NORMAL. In den Bergen, im theologischen Seminar, im Krankenbett. Honni soit, qui mal y pense.
Die Meinung der Autorin in diesem Beitrag entspricht nicht in jedem Fall der Meinung der Landeskirche. Blog abonnieren Alle Beiträge ansehen
Barbara Oberholzer
Gepostet um 07:14 Uhr, 28. August@diesseits: Wunderbare Bildauswahl! Ihr macht das einfach super, danke!
michael vogt
Gepostet um 15:27 Uhr, 28. Augustallerdings warten kommentar + antwort des advocatus diaboli honni mit neuer adresse seit 08:07 auf freischaltung: geschminckte frauen und männer anerkenne ich als person, bin aber kritisch gegenüber dem, was sie tun – was sich freilich angesichts des ersten nicht immer zeigt. es besteht doch da ein problem: overdesigned world, künstliches menschsein, doping. ähnlich wie durch psychopharmaka und elektronik. alles zweideutig. die herausforderung, in dieser zweideutigkeit zu leben. gibt es echte erleuchtung, wenn immer schon eine künstliche erleuchtung vorgeschaltet ist? meine traumfrau ist nicht geschminkt.
das c zuviel im ersten wort weist mich darauf hin, dass der messias, der gesalbte, in gewisser weise auch geschminkt ist
michael vogt
Gepostet um 08:07 Uhr, 28. Augustgeschminckte frauen und männer anerkenne ich als person, bin aber kritisch gegenüber dem, was sie tun – was sich freilich angesichts des ersten nicht immer zeigt. es besteht doch da ein problem: overdesigned world, künstliches menschsein, doping. ähnlich wie durch psychopharmaka und elektronik. alles zweideutig. die herausforderung, in dieser zweideutigkeit zu leben. gibt es echte erleuchtung, wenn immer schon eine künstliche erleuchtung vorgeschaltet ist? meine traumfrau ist nicht geschminkt.
michael vogt
Gepostet um 08:22 Uhr, 28. Augustdas c zuviel im ersten wort weist mich darauf hin, dass der messias, der gesalbte, in gewisser weise auch geschminkt ist
Reinhard Rolla
Gepostet um 08:35 Uhr, 28. AugustWenn die Paviane nicht von Natur aus so wunderschön rote Ärsche hätten, würden sie sich diese bestimmt anschminken. Dem „Herrgott ins Handwerk gepfuscht?
michael vogt
Gepostet um 22:24 Uhr, 28. Augustdazu könnte man romane schreiben. nicht um den beitrag von barbara oberholzer zu widerlegen, denn da gibt es viel sehr anerkennenswertes, wie die begegnung mit der schwer kranken jungen frau, sondern um die kehrseite der medalie herauszuarbeiten. zum theologischen argument: make up kann creatio continua sein, durch uns fortgesetzte schöpfung, deren ursprung nicht wir sind, die aber durch uns geschieht. oder es kann widerspruch zur schöpfung sein, die sich dann nicht ereignen kann. oder, im unterschied zu diesem existentiellen gesichtspunkt, in der theorie: alles kommt aus demselben ursprung: die schminke als protest und der protest als protest gegen den protest. . . dann zum aktuellen anlass: das fernsehen schafft massstäbe. darum finde ich gegenreaktionen o.k. https://www.blick.ch/people-tv/tv/sie-schminkte-sich-nachts-um-drei-in-der-berghuette-sabine-dahinden-wehrt-sich-gegen-make-up-kritik-id8671238.html kurzum, lieber reinhard, wir haben uns zu weit von unserer abstammung entfernt. in unserer kindheit hat mein bruder mal zu mir gesagt: „du hast wohl so viel rissige haut, weil du so viel nivea creme verwendest.“ das sah er einerseits verkehrt. andererseits habe ich in den letzten jahren meine hautpflege auf weniger als 10% reduziert: ich brauche keine körperlotion mehr nach dem douchen und viel weniger handcreme. ganz ohne wäre medizinisch falsch. natürlich längst naturkosmetik. der affe weiss eben noch, dass der körper die substantien, die gut für ihn sind, selbst produzieren kann. wenn nun aber ideologie, werbung und medien bereits den kindern, hier vornehmlich den mädchen, respektive den eltern für ihre kinder, dieses und jenes nahelegen, wenden sie es von kindesbeinen an an und verlernen – so meine meinung – dass wahrhaft erlösende schönheit ungeschminkt ist. sie geht aus der lebendigkeit hervor, die ihrerseits aus dem tod, aus dem tod des todes, hervorgeht. sehr vieles vieles würden wir gar nicht brauchen, gelänge es uns bis zu den quellen zurückzugehen, was auch heisst zu den heilquellen, die – ganz prosaisch-anthropologisch gesagt – in unserem körper verborgen sind.
anonym
Gepostet um 14:02 Uhr, 28. AugustEntschuldigung, aber wirklich „typisch Mann“!!!!!
Alpöhi
Gepostet um 00:34 Uhr, 29. AugustMeine Güte! Soll sich eine Frau halt schminken, wenn sie das will. Und wenn sie nicht will, soll sie es eben lassen. Soviel Freiheit müsste heute normal sein.
Aber das da: „geht es vielleicht eher in Richtung Maske. Weibliche Insignien als Schutz“
– Schminke als Maske? Weil frau sich sonst nicht in die Öffentlichkeit traut!? Come on! Echt jetzt!?!
Barbara Oberholzer
Gepostet um 05:55 Uhr, 29. AugustJa genau, Alpöhi! Wie Kriegsbemalung bei den Indianern! Oder Schale und Kravatte bei Männern. Ungeschütztes ist dem engsten Kreis vorbehalten. Besitzt lange kulturhistorische Tradition ..,.
Barbara Oberholzer
Gepostet um 05:59 Uhr, 29. AugustJa genau, Alpöhi! Wie Kriegsbemalung bei den Indianern. Oder Schale und Kravatte bei Männern, auch eine Art „Rüstung“. Kein Oberarzt würde im Pulli offiziell zu PatientInnen gehen. Ungeschütztes bleibt dem engsten Kreis vorbehalten. Besitzt lange kulturhistorische Tradition ….
Barbara Oberholzer
Gepostet um 06:16 Uhr, 29. AugustAber Sie sind ja gar nicht immer ein Alpöhi, Alpöhi! Freutmi ?
michael vogt
Gepostet um 08:50 Uhr, 29. Augustvollständige emannzipation hiesse aber, nicht die frage zu stellen, was eine frau soll, und sich nicht in die rolle dessen zu begeben, der ihr etwas erlaubt. das ist zugleich die e-mann-antizipation, denn die brüder roboter werden das mit perfektion tun (von frauen programmiert?) – oder eventuell ihre alternative.
michael vogt
Gepostet um 09:05 Uhr, 29. Augustdas „halt“ verrät den öhi zugleich im positiven sinne als solcher: er ist auf seiner alp zuhause, mit ihren kühen und geissen. und bei heidi, was immer sie verwendet. dh er träumt nicht von einem tollen wagen mit einem perfekten finish – und auch nicht von einer diesem ähnlichen frau inklusive ihrer hochglanzkunstoffjacke, die doch die stimmung in den bergen eigenartig verändert.
Barbara Oberholzer
Gepostet um 06:04 Uhr, 29. AugustWas übrigens auch als Überlegung bei Sabine Dahinden anzufügen wäre: Sie klettert ja nicht für sich allein, sondern die Bilder werden deutschschweizweit ausgestrahlt.
Anonym
Gepostet um 10:51 Uhr, 29. AugustMorena Wiesmann
Was sich dä alles in diesem Tümpel von diesseits .ch bewegt Mann könnte fast Schmunzeln, wenn es nicht so traurig währ. Wenn wunderte da moch, ,dass die reformierte Kirche ins Niemandsland verschwindet. Sind das wirklich die Sorgen welche die reformierte Kirche beschäftigt?
Barbara Oberholzer
Gepostet um 03:19 Uhr, 31. AugustSehr geehrte Frau Wiesmann
Ich habe den lieben Gott schon manchmal gefragt, was ausgerechnet ich in der Kirche soll? Was kann er hier mit mir vorhaben wollen? Vieles sehe ich anders, denke anders, empfinde anders, befinde mich an den Schnittstellen auch zu ganz andern Welten. Aber vielleicht gerade drum ….?
Beste Grüsse, Barbara Oberholzer
Esther Gisler Fischer
Gepostet um 10:32 Uhr, 30. AugustSuper Text liebe Barbara; congrats von einer, welche sich auch immer schminkt: Ohne gehe ich selten aus dem Haus! 😉
Barbara Oberholzer
Gepostet um 11:01 Uhr, 30. AugustDanke, liebe Esther ???!