Vom Kind-Sein zum Leben in Beta-Versionen

«Und man brachte Kinder zu ihm, damit er sie berühre. Die Jünger aber fuhren sie an. Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. Amen, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen. Und er schliesst sie in die Arme und legt ihnen die Hände auf und segnet sie.»
(Markus 10, 13-16, Zürcher Bibel, 2007)

Einst waren Kinder ein Geschenk Gottes. Sie benötigten den Schutz des Himmels, um überleben zu können in der schroffen Welt. Denn Kinder wollen da-sein – unmittelbar im Hier und Jetzt. Keine Organisation, keine Unterscheidung, keine Instrumentalisierung auf einen Zweck hin.

Wohnen im Pilzhäuschen: Kinderfantasie ist da-sein, geborgen-sein im Universum.

Wohnen im Pilzhäuschen: Kinderphantasie ist Dasein und Geborgensein im Universum.

Nach den beiden Kriegen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts war da-sein wieder möglich für die Menschen, die teilweise der Kindheit beraubt worden waren. Man stürzte sich ins pralle Leben. Der Babyboom war eher Folge als Plan, eher Selbstverwirklichung als Geschenk Gottes. Ihr Da-Sein wurde zuweilen lästig. Kinder haben noch keine Lebensstruktur, müssen angeleitet, erzogen werden. Denn Struktur gibt Halt und Orientierung. Beziehung ist Struktur.

So kam die Pille und damit der Kinderknick. Handlung hatte keine materiellen Konsequenzen mehr. Es wurde ein Befreiungsschlag von jeglicher Verantwortung, für sich selber, für andere, für Beziehungen zu sich selber und anderen: Die Menschen haben begonnen, nicht das Reich Gottes, sondern die Welt anzunehmen wie ein Kind – sich mit Spielsachen zu umgeben und dabei die Welt zu vergessen. Ob der eigenen Schöpfungen Gottes Schöpfung und Geschöpfe zu vergessen. Wird aber die materielle Lebensbewältigung mit Lebensinhalt oder gar Lebenssinn verwechselt, geht der Gestaltungsraum verloren, Freiheit wird zur Beliebigkeit.

Tatsächlich: Das Mensch-Sein mit all seinen Fazetten ist zur Randexistenz geworden, immer wieder ausgegrenzt, diskriminiert. Jung-sein ist alles, die Aneinanderreihung von Beta-Versionen wird Leben genannt. Lebensweisheit, Reife, Würde, Berufung, Aufgabe sind Schmähwörter geworden. Jugendwahn – die ewige Jugend, die kein Mensch erreichen kann – hat keinen Inhalt, aber einen eigenen Gott, der nur im Dual-System, in einer atemberaubenden Ja-Nein-Abfolge, rechnen und sortieren kann: die künstliche «Intelligenz».

 

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7 Kommentare
  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 17:26 Uhr, 26. Juni

    Ein interessanter Beitrag, in welchem das ‚Unbehagen in der Kultur‘ der Autorin aufscheint. Gerne gebe ich jedoch zu bedenken, dass Kinder wohl ein Geschenk sind, doch die damit einher gehenden Konsequenzen bei der Erbringung von Fürsorge in Form finanzieller und emotionaler Zuwendung(en) zwischen den Geschlechtern ungleich verteilt sind. Und die Erfindung der Pille war in meinen Augen kein ‚Befreiungsschlag von jeglicher Verantwortung‘ sondern ermöglichte es insbesondere Frauen, Verantwortung für ihre eigene Sexualität und ihren Körper zu übernehmen und die Kinder zu. bekommen, für welche sie dasein wollten. Dieser Zugewinn an Freiheit und Selbstbestimmung ist für mich eine Reich-Gottes-Erfahrung par excellence: Weltlich und diesseitig.

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    • Ruth Floeder-Bühler
      Gepostet um 07:03 Uhr, 27. Juni

      Ja, wenn da nicht des Teufels Pferdefuss wäre: Rund die Hälfte der Kinder kommen «ungeplant» – zum «falschen Zeitpunkt». Warum? Weil es Frauen satt haben, die VOLLE Verantwortung für die Familienplanung zu übernehmen. Dies zum Preis der Freiheit, denn es entscheiden nun andere, ob sie das Glück teilen oder die Konsequenzen ganz der Frau überlassen wollen. Es ist Zynismus pur, wenn eine Gesellschaft nur noch diskutiert, ab wann aus einer embryonalen «Beta-Version» ein richtiger Mensch gewachsen ist – was zu entscheiden menschenunmöglich ist – statt über Rahmenbedingungen, die der Frau eine erfüllte Lebensgestaltung eingebettet in der menschlichen Gemeinschaft ermöglicht. In keiner Diskussion wird überhaupt in Erwägung gezogen, dass Abtreibung für die Frau auf jeden Fall eine Zumutung ist!

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      • Anonymous
        Gepostet um 09:29 Uhr, 27. Juni

        Da bin ich ganz bei Ihnen liebe Frau Floeder-Bühler! Das meinte ich eben, dass auch die Erzeuger und die Gesellschaft unbedingt in die Pflicht genommen werden müssen. Nach wie vor gilt jedoch leider immer noch in Bezug auf weibliche Lebensgestaltung: „It’s am man’s world.“

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        • Esther Gisler Fischer
          Gepostet um 09:31 Uhr, 27. Juni

          Ups; schreiberische ‚eiaculatio praecox‘. So kam’s ungewollt zu diesem Anonymous

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  • Barbara Oberholzer
    Gepostet um 08:47 Uhr, 27. Juni

    Ähm – ist Abtreibung nicht auf jeden Fall für das ungeborene Kind die grösste Zumutung?

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    • Ruth Floeder-Bühler
      Gepostet um 09:30 Uhr, 27. Juni

      Das können wir nicht entscheiden, weil wir es nicht wissen. Wir können aber nachvollziehen, was eine Abtreibung mit Müttern, Vätern, Grosseltern, Geschwistern, echten Freunden macht, dann entscheiden wir auch für das Ungeborene richtig.

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      • Esther Gisler Fischer
        Gepostet um 09:33 Uhr, 27. Juni

        Einfach ist das Ganze sicher nicht und unterschätzt werden sollte es wohl von allen Beteiligten auch nicht. Solle wirklich ultima Ratio sein.

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