Vom Meinen, Posten und Liken

Ein Schreckgespenst geht um

Den sozialen Medien wird seit Trumps Wahlkampf vorgeworfen, für die Meinungsbildung untauglich zu sein. Sie würden die Leser in Bubbles einhüllen, die als autosuggestive Resonanzräume funktionieren: Was ich denke wird bestätigt, was ich nicht kenne, von mir ferngehalten, was ich schlecht finde, kommt nur in Kritik verpackt auf meinen Bildschirm. Margot Kässmann hat Facebook als einen „Spuk“ bezeichnet, den sie „jetzt ganz und gar beendet“ habe. Kürzlich gab die NZZ bekannt, die Kommentarfunktion in ihrem Onlineangebot weitgehend zu schliessen. Die Diskussionen waren offensichtlich den redaktionellen Aufwand nicht mehr wert. Sind die sozialen Medien eine demokratiefeindliche, sozialgefährliche Einrichtung?

Ungedeckte Cheques

Wahr daran ist, dass ich als Nutzer selbst entscheide, welchen AutorInnen ich folge, wen ich lesen will und was ich mir vom Hals halten möchte. Das hat auch seinen guten Sinn. Denn ich mag nicht mit Katzenbildern und anderen Allerweltslieblichkeiten konfrontiert werden, wenn ich Facebook öffne. Andere scheinen Facebook als Katzenbilder-Lebensweisheitssprüche-Austauschplattform zu nutzen. Das ist kein Problem. Ich entscheide dann einfach, nicht mehr den Beiträgen meiner ehemaligen Nachbarin zu folgen. Tut keinem weh, merkt niemand.

Ganz anders ist das, wenn jemand nicht bloss seine Katzenfotos, sondern seine Meinung mitteilt. Man kann zu allem eine Meinung haben. Mit Meinungen kaufen wir uns – vermeintlich kostenlos – das höchste Gut: Aufmerksamkeit. Man kann sie ausdrücken durch „likes“, wütende, lachende, weinende Smilies. Man kann sie „teilen“ und kommentieren und so seine Meinung zu anderen Meinungen verbreiten. Und man kann eigene Meinungen mitteilen. Ungefragt und wann immer man Lust dazu hat. Das ist ein Recht und soziale Medien sind nichts anderes als der Markt, auf dem man mit seinen Meinungen handeln kann.

Wie im echten Leben

Aber in einer Welt in der Meinungen inflationär geworden sind – Navid Kermani hat das jüngst im Gespräch mit Barbara Bleisch kritisiert – bieten soziale Medien eine Chance – was er mit mindestens eben so viel Verve hätte hervorheben müssen. Mittels Kommentarfunktionen können wir nämlich überprüfen, ob diese Meinungen gedeckt sind. Hat hier jemand bloss eine Befindlichkeit, getarnt als Meinung, geäussert oder ist seine Meinung das nachvollziehbare Ergebnis von Beobachtungen, Fakten und sinnvollen Analogieschlüssen? Hat hier jemand wirklich seine Meinung vertreten, oder nur einen Beitrag geteilt, dessen Autorin er mag und dessen Bild ihm gefallen hat? Wir können Fragen stellen, Behauptungen entkräften, Deutungen auf ihre Kohärenz überprüfen. Und wir können uns blossstellen, beleidigen und verleumden. Es ist wie im echten Leben. Es mag sein, dass mit „likes“ abgestimmt wird. Aber Meinungen bilden wir durch Diskussionen, in denen wir Informationen teilen, gewichten und bewerten.

Und wie im echten Leben, ist es manchmal ratsam, jemanden nicht in aller Öffentlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen, sondern ihm eine Privatnachricht zu senden, sie anzurufen, mit ihm zu chatten. Manchmal ist es der öffentliche Raum, indem die Diskussion stattfindet, der das Zuhören und das Eingestehen eigener Fehler erschwert. Und wie im echten Leben sollen wir zu unserer Meinung stehen, auch wenn es nicht viel Applaus, beziehungsweise „likes“ dafür gibt. Dass die NZZ entschieden hat, die Kommentarfunktion zu schliessen und stattdessen auf moderierte Chats zu setzen, ist kein Vorzeichen für das Ende sozialer Medien, sondern für den Bedarf kultivierter Diskussion.

Aber unser Garten muss bestellt werden

Wir können uns unsere Social Media-Aktivität wie einen Garten vorstellen: Wir entscheiden, wie durchlässig der Gartenzaun ist, welche Vielfalt an Gewächsen und Auswüchsen wir zulassen wollen. Damit etwas gedeihen kann, braucht es ein gutes Klima. Dieses Klima ist keine Schicksalsmacht, sondern unser eigener Anstand, den wir wahren, während wir  um Gründe ringen, unsere Fragen stellen und widersprechen. Und es gibt einen Zauberdünger: Die eigene Unsicherheit. Manchmal stinkt es einem, sie zu zeigen. Aber wie für Gülle gilt: In der richtigen Dosierung am rechten Ort verteilt, kann Mist Gold sein.

Soziale Medien erzeugen keine autosuggestiven Resonanzblasen. Das machen wir selber. Soziale Medien sind eben nicht bloss wie das echte Leben, sondern ein wichtiger Teil davon. Ob das gut kommt? Das entscheiden Sie selbst. Das Dümmste wäre, wegen des Unkrauts nicht zu gärtnern. Und das ist genauso wie mit der Demokratie.

 

 

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7 Kommentare
  • Dominik von Allmen
    Gepostet um 08:53 Uhr, 10. Februar

    „Soziale Medien erzeugen keine autosuggestiven Resonanzblasen. Das machen wir selber.“ – Das ist wahr und ein guter Grund, nicht vorschnell in das Bashing der social media einzusteigen. Was man m.E. aber auch in Rechnung nehmen muss (und da liegt vielleicht auch ein Wahrheitsmoment des Bubble-Vorwurfs): Soziale Medien „filtern“ eo ipso die emotionalen und gedanklichen Erstreflexe, die uns beim Scrollen durch den Newsstream durch Kopf und Bauch schiessen viel weniger als z.B. der gute alte Leserbrief. Im Gegenteil fordern sie durch Kommentarfunktionen und ständige direkte Zugriffsmöglichkeit per Smartphone zur schnellstmöglichen Reaktion auf. Wo man andernfalls erstmal eine eMail- oder Postadresse raussuchen und dann eine (i.d.R. etwas mehr als 140 Zeichen lange) Nachricht tippen muss(te), kann man gleich am Ende eines Artikels oder Posts ohne jede Verzögerung seinen Kommentar hinknallen. Müsste man hier also nicht mit Marshall McLuhan sagen: „The medium is the message.“? Wobei die Message von Facebook & Co. wäre: Reflektiere nicht zu lange, reagiere. Und der Leserbrief sagt eher: Lass es dir noch einmal durch den Kopf gehen, du musst eine Redaktorin überzeugen, dass dein Kommentar die Druckerschwärze wert ist. Soziale Medien sind so gesehen ein Schrebergartensystem: Jeder hat seinen eigenen Garten und darin einiges an Gestaltungsfreiheit. Aber es muss auch einen Diskurs und ein Regelwerk geben, durch den bzw. das reflektiert und bestimmt wird, wie das gesamte Gartensystem auf seine User einwirkt: Soll es dazu einladen, wild drauflos zu hacken – auf die Gefahr hin, dass der Weizen mit dem Unkraut ausgerauft wird? Welche Anreize schafft es, zu einem guten Klima beizutragen?

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    • stephan jütte
      Gepostet um 09:50 Uhr, 10. Februar

      lieber dominik! „the medium is the message“ hat schon was. nur ist die frage ja nicht, ob soziale medien besser oder schlechter als leserbriefe sind. es gibt sie und sie werden genutzt. wenn du von einem gartensystem sprichst, dann sind sie ein weit grösserer teil des systems, als die leserbriefe. und sie bieten allen die beteiligungsmöglichkeit, die das wollen. dabei loegt es an uns allen, nicht aus der hüfte zu schiessen, sondern abzuwägen, nachzudenken und sich öffentlichkeitsverträglich zu verhalten. die sozialen medien schenken uns ein öffentliches forum, das weit egalitärer ist als leserbriefe und kommentarspalten: wir aber müssen uns „öffentlichkeitswürdig“ verhalten?

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  • Thomas Grossenbacher
    Gepostet um 09:57 Uhr, 10. Februar

    Glänzender Artikel, einmal mehr. Danke.

    Die Sendung von SRF gestern zum Meinungsbildungsprozess zu einem weiterführenden Umgang mit der MEI ist ein glückliches Beispiel, wie Demokratie und Zusammenleben gelingen kann, wenn Menschen sich bemühen, den Dialog als Kultur zu leben und zu gestalten. (Tipp: Unbedingt diesen Film noch anklicken, wer gestern nicht dazu kam, ihn zu sehen. sfr.ch)

    Das Bild vom Garten ist nicht zufällig in diesem Beitrag hier erwähnt worden. Das ist doch mit Kultur gemeint. (Das Wort Kultur kommt bekanntlich von lat. „colere“.) Ob nun das Ringen in Komissionen, Fraktionen oder Parteien stattfindet, wie im gestern gezeigten Film aus Bundesbern, oder im frei sich ergebenden Austausch auf den social-media Plattformen, stets ist es eine Frage der Kultur, wie wir den Dialog führen. Darum bin ich weiterhin gerne gepflegt hier im Gespäch mit Vielen. Ob gleicher oder anderer Meinung, spielt eine untergeordnete Rolle. Es zählt die inhaltliche Argumentation und der Stil, in dem sich die Achtung vor dem andern ausdrückt.

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  • angelawaeffler
    Gepostet um 19:37 Uhr, 10. Februar

    „Es zählt die inhaltliche Argumentation und der Stil“: das ist es, was mich – als Neuling in der social-media Schrebergartensiedlung – am meisten irritiert: dass man likes und dislikes setzen kann, ohne sie inhaltlich-argumentativ erklären zu müssen. Gerade in diesem Blog überrascht mich immer wieder, welche Beiträge als „langweilig“, „schlecht“ oder „falsch“ beurteilt werden (und welche Artikel, die ich persönlich als provozierend empfinde, keine solche Beurteilungen erhalten): von wem? warum?
    Wie könnten wir ins Gespräch, in den Austausch kommen, wenn nur solch ein Echo erscheint, und mich als Autorin oder Mitleserin zu reiner Spekulation veranlasst, was wohl dahinter stecken könnte? Und solche Spekulation hilft ja nicht dazu, klarer zu sehen, besser zu verstehen, Missverständnisse zu bereinigen, sondern lässt allein mit den eigenen Fantasien und blinden Flecken.
    So reizvoll, anregend, manchmal auch irritierend ich die Kommentare finde, so schwer tue ich mich mit den Befindlichkeitsklicks. Während ich „wichtig“ – „inspirierend“ – „fundiert“ – „frech“ – „berührend“ – „langweilig“ – „lustig“ als persönliche Reaktion entgegennehmen kann – notabene auch, ohne zu wissen, was andere Menschen inspiriert oder berührt haben mag -, fällt mir das bei kommentarlosen Bewertungen wie „falsch“ oder „schlecht“ schwer. Und ich persönlich würde gern darum bitten, dass wer etwas schlecht oder falsch findet, dieses auch begründen möge…
    wie schön, dass dein Beitrag bisher noch nicht negativ bewertet worden ist, lieber Stephan!

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  • michael vogt
    Gepostet um 00:47 Uhr, 11. Februar

    das internet ist eine einmalige möglichkeit, etwas zu publizieren, ohne dass es von einer redaktion verändert wird. in einem meiner feder entflossenen leserbrief wurde mal sogar ein kant-zitat abgeändert. bei einem interview oder einem porträt bekommt der betreffende zwar den entwurf zum gegenlesen, aber es ist eine illusion zu meinen, es sei möglich, das ganze abzusegnen. einmal gibt man es aus der hand, und dann kann eigentümliches geschehen. beim vergleich mit dem leserbrief muss man unterscheiden vor oder eben heute mit dem internet. vor dem internet erschien an einem tag die zeitung und landete bald in der papiersammlung oder in einem regal der redaktion. interneteinträge sind auf unbestimmte zeit international vernetzt und mit suchmaschinen auffindbar. die treffer sinken nicht ab. die rechten stichworte lassen den eintrag auch nach jahren zuoberst erscheinen. das liesse sich mit sogenannten robot meta tags verhindern: „no index“ verhindert mit der indexierung alles, „no archive“ verhindert den cache, die aufnahme bei archive.org und die vernetzung. die prioritäten scheinen anders zu liegen. das kann ich einerseits verstehen, andererseits frage ich mich, wieweit alle beteiligten sich der möglichkeiten und unmöglichkeiten dieser sachverhalte bewusst sind.

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  • Verena Thalmann
    Gepostet um 11:36 Uhr, 11. Februar

    Hab zuerst gezögert, ob ich berührend anklicken soll – es dann aber doch gemacht. Dies ganz besonders wegen dem „Zauberdünger“! Ja, es ist nicht einfach, zu den eigenen Unsicherheiten zu stehen, bezw. diese auch zu formulieren. Dies merke ich im allgemeinen Leben, wie auch z.B. hier im „Blog“. Wenn ich aber, ein grosses Bedürfnis habe, echt zu sein (so gut wie möglich) ….. da komme ich nicht „darum herum“ die Unsicherheiten in meiner Gartenerde „mitzumischen“. Danke für den Impuls!

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  • JimmiXzSw
    Gepostet um 14:36 Uhr, 19. Februar

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