Von Natur aus gibt es keine Moral

Ethik zwischen Gott und Gehirn

Ich erinnere mich sehr genau, wann mir die Redewendung „von Natur aus“ so richtig durch Mark und Bein fuhr, und ich sie definitiv auf meine persönliche schwarze Liste setzte. Ein kleiner Bub trampelte wie wild auf Ameisen herum. Auf eine kritische Bemerkung hin erwiderte die Mutter, man solle doch den Kleinen seine „Natur“ ausleben lassen.

Unfug und Unheil mit der „Natur“
Kaum eine Redewendung hat in der europäischen Geistesgeschichte mehr Unfug und Unheil angerichtet als „von Natur aus“. Mit „der“ Natur lässt sich dem Menschen so ziemlich alles andichten. Der Mensch sei „von Natur aus“ gut oder böse, hört man etwa; „von Natur“ aus Anarchist, Egoist, Rassist; er verkehre „von Natur aus“ sexuell nur mit andersgeschlechtlichen Partnern; Naturvölker seien „von Natur aus“ nicht zu Zivilisiertheit fähig, beschied Immanuel Kant; und der Zürcher Industrielle Adolf Guyer sah in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Menschen angesichts der Verhältnisse in Kuba und den USA „von Natur aus“ in Herrscher und Sklaven unterteilt – und so weiter, bis zum Ekeln. Man beschwichtige uns nicht, es handle sich hier um historisch zurückliegende „Verfehlungen“. Im Gegenteil: Es handelt sich um eine höchst aktuelle Denkfigur, die umso mehr ihr Unwesen treibt, als man sich ihrer implizit bedient. Man setzt sich mit „der“ Natur“ leicht in eine argumentative Pole-Position, da wir gegen „die“ Natur angeblich ohnehin nicht ankommen. Selbstverständlich handelt es sich um einen billigen Kniff, intellektuelle Schieberei. Man implementiert seine Ressentiments und Vorurteile in der Natur, und entzieht sie dadurch hinterrücks der Debatte.

Die Zweischneidigkeit von Natur
Die Wendung „von Natur aus“ zeigt ihren fragwürdigen Charakter vor allem im moralischen Diskurs, wenn es um unsere emotionalen, von der Natur ererbten Dispositionen geht. Die Evolutionsbiologen haben in den letzten Jahrzehnten einen beeindruckenden Fundus an empirischen Indizien zusammengetragen, die insgesamt klar darauf hinweisen, dass Formen von Sozialität und Moralität auch in anderen Arten existieren, also in diesem Sinn natürlich sind. Ist unsere Moral ein Resultat der Selektion?

So verstandene Natürlichkeit ist zweischneidig. Jene evolutiven Faktoren, die Kooperation und Kohäsion in Populationen stiften, können auch zu Konflikt und Exklusion führen. Ethische Tugenden wie Empathie, Solidarität, Mitleid finden ihre Erklärung und Absegnung im gleichen evolutionären Rahmen wie die Untugenden Xenophobie, Homophobie, Rassismus. Wenn Menschen sich oft für völlig Fremde aufopfern, sprich: einen altruistischen Charakterzug zeigen, dann ist das gut und schön und richtig. Daraus folgt jedoch nicht: Der Charakterzug ist gut, weil er natürlich ist. Egoismus und Grausamkeit sind auch natürlich, aber nicht gut. Natürlichkeit ist schlicht und ergreifend kein Massstab für ethische Haltungen.

Das Natürliche als das Normale
Wir betreten hier glitschiges philosophisches Terrain. Es reicht zurück bis zu Aristoteles’ Naturphilosophie und Ethik. „Von Natur aus“ bedeutet für Aristoteles zweierlei: Es kommt häufig vor, und: Alles Natürliche enthält den Plan seiner Entwicklung in sich selbst. Es wirkt eine zielgerichtete Kraft darin – ein Zweck oder Telos. Ein Stein fällt „von Natur aus“ zu Boden, weil dies fast immer vorkommt, und weil das so in ihm „angelegt“ ist. Es soll so sein. Dadurch mischen sich in Aussagen von Aristoteles oft deskriptive und normative Komponente. Wenn es heisst, der Mensch sei „von Natur aus“ für das Zusammenleben bestimmt, dann entspricht dies einerseits der Beobachtung, dass die meisten Menschen in Gemeinschaften leben, andererseits aber auch der Norm, dass sie so zusammenleben sollen. Damit verleiht man dem Häufigen, Normalen den Status des Natürlichen, und wertet zugleich das Anormale, Abweichende als unnatürlich ab. Diese meist implizite Abwertung findet sich noch heute in der Beschreibung der Homosexualität als widernatürlich.

Monopolistische Ansprüche: Kirche und Wissenschaft
Der Strategie des „Von-Natur-aus“ begegnen wir vor allem in zwei Institutionen mit Neigung zu monopolistischer Weltsicht. Man könnte sie sich auf Anhieb nicht gegensätzlicher denken: Kirche und Naturwissenschaft. Die aristotelische Lehre des natürlich Guten wurde von der christlichen Theologie des Mittelalters – namentlich von Thomas von Aquin – umgedeutet in die Lehre des göttlich Guten, da ja Natur – immer aus christlicher Sicht – Gottes Werk ist. An dieser Doktrin hält der Vatikan bis heute fest. Ein gelehriger moderner Schüler Thomas von Aquins, Joseph Ratzinger, ehemals Papst Bendikt XVI, wird nicht müde, in der Natur das Walten des „Ius divinum“ zu sehen, des Rechts und der Gesetzeskraft Gottes, welche letztlich unser Handeln als moralisch gut adle. Diametral entgegengesetzt argumentieren Neurobiologen seit zwei Jahrzehnten, dass Moral nicht durch eine Gottesordnung, sondern durch eine Gehirnordnung zu begründen sei. Vor zwanzig Jahren brachte der französische Neurobiologe und Nobelpreisträger Jean-Pierre Changeux das Bild des „neuronalen Menschen“ in die Diskussion. Moralische Konventionen oder Veranlagungen können sich gemäss Changeux ins neuronale Netz einschreiben, und umgekehrt wird „das moralische Urteil vom Gehirn hervorgebracht“ (NZZ, 17.6.98). Einen ziemlich agressiven Zug nimmt dieser Neuro-Moralismus heute bei sogenannten „neuen Atheisten“ wie dem Neurobiologen Sam Harris an, der dafür plädiert, unsere gesamte Ethik endlich von religösen Kontaminationen zu reinigen und auf die solide Basis des Gehirngeschehens zu stellen.

Mit Gott und Gehirn wider den moralischen Relativismus
In beiden Fällen handelt es sich um Fundamentalismus, religiösen bzw. säkularen. Und wie dies bei Fundamentalismen so üblich ist: Les extrêmes se touchent. Trotz ihrer gegensätzlichen Haltung herrscht zwischen Ratzingers und Harris’ Position ein Einvernehmen, wenn es um den gemeinsamen Feind geht: den moralischen Relativismus. Theist und Atheist verfechten die „Von-Natur-aus“-Strategie; der eine führt die Natur als Gottesordnung, der andere die Natur als Gehirnordnung ins Feld. So schrieb Ratzinger 2010: „Immer wenn das Naturrecht und die Verantwortlichkeit, die es einschliesst, geleugnet werden(…) wird auf dramatische Weise der Weg zum ethischen Relativismus auf individueller Ebene frei und der Weg zum staatlichen Totalitarismus auf der politischen Ebene.“ Und Harris dozierte im gleichen Jahr in einem TED-Talk: „Wenn wir nur zugeben, dass es richtige und falsche Antworten auf die Frage gibt, wie es Menschen gut geht, dann wird dies unser Denken über Moral ändern.“ Gemeint war selbstverständlich: Richtige Antworten gibt allein die Neurobiologie. An die Stelle Gottes tritt das Gehirn.

Verhilft die Neurobiologie zu einer besseren Moral?
Das Problem ist, dass wir auf neuronaler Ebene Synapsen und Neurotransmitter finden, keine Werte. Und bisher hat uns niemand plausibel erklärt, wie man von Hirnereignissen auf moralische Gebote schliesst. Wenn wir also „von Natur aus“ nicht schliessen können, was gut und was schlecht ist für uns, spielen dann biologische und neurologische Tatsachen überhaupt eine Rolle in moralischen Fragen? Zweifellos ist faktisches Wissen (bzw. Unwissen) ethisch relevant, obzwar nicht ethisch zwingend.  Wissenschaft kann uns darüber informieren, was „von Natur aus“ dem Menschen eher zuträglich und was eher abträglich ist. Besonders hier haben neurobiologische Befunde durchaus ihr Gewicht. Sie können als Tatsachen beigezogen werden zur Förderung menschlichen Wohls, und dieses Wohl ist ein Wert. Aber wenn Harris behauptet, dass „Werte eine bestimmte Art von Tatsachen sind, nämlich Tatsachen über das Wohlbefinden von Lebewesen“, dann begeht er einen elementaren philosophischen Denkfehler. Tatsachen über das Wohlbefinden sind nicht rein wissenschaftliche Tatsachen, wie etwa die, dass gewisse Zellen Neurotransmitter ausschütten. Sie setzen bereits einen Werterahmen voraus, und dieser Rahmen ist nicht „von Natur aus“ gegeben.

Beispiel körperliche Züchtigung
Betrachten wir das Beispiel, das Sam Harris in seinem Referat verwendet. In einigen US-Bundesstaaten gilt Körperstrafe von Kindern als legal. Nehmen wir an, die Neurobiologie findet heraus, dass Züchtigung von Kindern einen positiven Effekt auf das Verhalten und die schulischen Leistungen hat. Eine „Naturtatsache“. Wird nun dadurch Körperzüchtigung zu einer guten moralischen Tat, weil sie dem Kind „von Natur aus“ gut tut? Die Frage – um es deutlich zu sagen – ist nicht eine Frage nach der wissenschaftlichen Verlässlichkeit der Forschungsresultate, sondern eine Frage nach ihrer ethischen Verbindlichkeit. Die meisten von uns würden sich von solchen Tatsachen, und seien sie noch so solide, kaum umstimmen lassen, wir würden uns nach wie vor von einem ethischen Common Sense leiten lassen, der uns sagt, dass absichtliches Zufügen von Schmerz, Ausübung von Gewalt und öffentliche Demütigung von Kindern unmoralisch sind, ungeachtet jeglicher Evidenz aus den wissenschaftlichen Instituten und Labors.

Die Gleichgültigkeit der Natur
Nun liegen ja Harris und Ratzinger in der Diagnose des Zeitphänomens Relativismus nicht völlig falsch. Aber sie bauen einen Popanz auf – vor allem Ratzinger. Mehr als fragwürdig sind die „absolutistischen“ Radikaltherapien einer göttlichen oder einer neuronalen Naturordnung als Basis für ethisches Verhalten. Hier manifestiert sich denn auch der gefährliche Charakter der Wendung „von Natur aus“. Sie suggeriert uns eine Naturzwangsläufigkeit, wo keine ist; wo wir eigentlich frei wären, oder sagen wir vorsichtiger: wo wir erwägen sollten, ob es Optionen gibt. Unter der Hand schmuggelt die Redewendung eine normative Kraft in die Natur hinein, die sie „von Natur aus“ nicht hat. Als ob sie sprechen würde – aber im Grunde spricht der Mensch mit verstellter Bauchrednerstimme zu sich selbst. Man fühlt sich an die ergreifende „Erweckungsszene“ von Albert Camus’ „Der Fremde“ erinnert, in der Meursault aus seiner Gefängniszelle in den nächtlichen Sternenhimmel schaut: „Angesichts dieser Nacht voller Zeichen und Sterne wurde ich zum ersten Mal empfänglich für die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt.“ „Von Natur aus“ ist die Natur uns Menschen gegenüber gleichgültig. Sie hat keine Moral, steht also in moralischen Fragen nicht auf unserer Seite. Sie „kümmert“ sich ebenso um Läuse wie um Menschen.

Für einen natürlichen Existenzialismus
Ein niederschmetternder Bescheid? Nein. Er hält uns an zu einem natürlichen Existenzialismus. Die Natur mag gleichgültig sein, wir Menschen sind es nicht. Wir sind Lebewesen, die „von Natur aus“ nicht das sind, was sie sind. Wir sind frei, das zu sein, wozu wir uns – immer unter biologischen und anderen Beschränkungen – machen. Wir sind insbesondere frei, den Einflüsterungen aus Kirche und Wissenschaft zu misstrauen. Und das ist Grund genug, unsere ethischen Grundlagen da zu suchen, wo wir sie finden und gegebenenfalls auch verändern können: nicht im Himmel und nicht im Gehirn, sondern unter leiblichen Menschen mit Herz und Verstand.

 

 

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17 Kommentare
  • THOMAS GROSSENBACHER
    Gepostet um 07:18 Uhr, 19. Januar

    Es ist inreressant, dass Rabbi Jeschah ben Joseph we Mirjam beim Hinweis auf „die Vögel des Himmels und die Lilien auf dem Feld“ nicht die Natur zum Vorbild macht, sondern mit diesem Ausblick, die Geschöpflichkeit vor Augen führt. Er spricht uns Menschen damit als Mitgeschöpfe an und lädt seine HörerInnen ein, unser scheinbar natürliches Verhalten zu überdenken.
    Nota bene geschieht das noch fürsorglich; mit der Einladung. „Sorget nicht.“ (Mt 6:25)

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  • Andreas Losch
    Gepostet um 12:22 Uhr, 19. Januar

    sorry, bisschen lang, und: glaube ich irgendwie nicht. wenn ich drüber nachdenke halte ich es für einen falschen dualismus, den die psychologie längst korrigiert hat.

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  • Anke Ramöller
    Gepostet um 12:44 Uhr, 19. Januar

    Dieser Kommentar scheint mir sehr „gefühlt“. Darum überzeugt er mich nicht. Wo sind die Argumente?

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    • Andreas Losch
      Gepostet um 10:43 Uhr, 21. Januar

      „…dualismus, den die psychologie längst korrigiert hat.“ Ist ja nicht meine Aufgabe im Kommentar, einen Gegenartikel zu verfassen. Sorry.

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      • Corinne Duc
        Gepostet um 01:16 Uhr, 23. Januar

        Ethik ist ja auch nicht dasselbe wie deskiptive/empirische (Verhaltens- oder Sozial-) Psychologie. Die Differenz zwischen „Sein“ und „Sollen“ bleibt, solange eine konzeptuelle Differenz zwischen bloss deskriptivem bzw. biostatistischem Ansatz und einer normativ/begrifflich reflektierten Disziplin angenommen wird.

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      • Anke Ramöller
        Gepostet um 08:56 Uhr, 24. Januar

        Das scheint mir kein Argument zu sei, sondern eher eine These.

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        • Corinne Duc
          Gepostet um 00:18 Uhr, 25. Januar

          Was würden Sie denn gerne in Frage stellen?
          a) dass moderne Psychologie zu den empirischen Wissenschaften gehöre;
          b) dass Ethik i.e.S. wesentlich normative – und nicht vollständig auf empirische Befunde reduzierbare – Aussagen enthalte, und seien sie noch so abgeschwächt, etwa im Sinne von „es wäre wahrscheinlich in einem moralisch relevanten Sinn besser und sollte daher angestrebt werden,dass X (bzw. vermieden werden, dass Y)“ ;
          c) dass zwischen „Sein“ und „Sollen“ überhaupt ein Unterschied bestehe bzw. gemacht werden soll (das eine also im Gegenteil auf das andere reduzierbar wäre);
          oder etwas anders, oder alles zusammen?

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  • Anke Ramöller
    Gepostet um 15:32 Uhr, 19. Januar

    Mein vorangegangener Kommentar bezieht sich auf den Beitrag von Andreas Losch. Mein iPhone hat nicht das gemacht, was ich wollte.
    Zum Beitrag von Eduard Kaeser:
    Ich finde es interessant, von den „monopolistischen Ansprüchen“ bestimmter Positionen zu sprechen. Wenn ich es richtig verstehe, ist es eine Möglichkeit, Fundamentalismus zu beschreiben. Wenn man es gewohnt ist, monopolistisch zu argumentieren, ist eine Veränderung der eigenen Verhaltensweisen extrem schwierig. Ich finde es aber sehr lohnend, auch wenn Sicherheiten „wegbrechen“. Ich finde den Gedanken inspirierend, sich auf die Natur zu beziehen, ihre Varianten zu sehen und dann in einem neuen Gedankengang miteinander herauszufinden, was Menschen damit machen wollen. Vermutlich haben alle Menschen eine Vorstellung davon, was sie für „natürlich“ halten. Es wäre eine gute Perspektive, mit anderen darüber nachzudenken, ob das natürlich Erscheinende tatsächlich auch das Wünschbare ist.
    Also: Mich regt der Artikel von Herrn Kaeser sehr an und ich würde gern mit andern darüber nachdenken, welche „Sicherheiten“ „natürlich gegebener Erscheinungen“ ihnen im Laufe ihres Lebens weggebrochen sind!

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  • Esther Gisler Fischer
    Gepostet um 21:35 Uhr, 19. Januar

    Ich begreife schlicht und ergreifend die schon fast masochistisch anmutende Lust von Reformierten nicht, sich an hinterwäldlerischen Vertretern der römischen ‚Heiligen Ordnung‘ abzuarbeiten.

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    • michael vogt
      Gepostet um 22:56 Uhr, 19. Januar

      🙂

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    • Anke Ramöller
      Gepostet um 12:44 Uhr, 20. Januar

      Viele denkende Menschen verstehen sofort, worauf jemand hinauswill, der verkrustete hierarchische Strukturen der katholischen Kirche anspricht. Es wird also klarer, von welcher Sorte Fundamentalismen jemand spricht. Von da aus kann man tiefer forschen. Monopolistische Ansprüche gibt es gewissermassen bei allen Weltanschauungen. Ich brauche Instrumente, um sie identifizieren zu können. Bezug zu scheinbar natürlich existierenden Ordnungen nimmt auch ein Teil der Protestanten oder wie E. Kaeser zeigt, ein Teil von atheistisch sich verstehenden Menschen. Ich sehe darum die Unterscheidung von dem, was wir „in der Natur“ vorfinden, und dem, was wir im Diskurs daraus machen und wie wir die „natürlichen Gegebenheiten“ interpretieren, als extrem hilfreiche Differenz,

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      • michael vogt
        Gepostet um 16:37 Uhr, 20. Januar

        wir dürfen aber nicht von einem huhn erwarten, dass es einen wagen zieht, und von einem pferd, dass es ein ei legt. die ethischen grundlagen ergeben sich nicht nur aus dem dialog zwischen menschen. wir müssen den dialog mit dem huhn und dem pferd aufnehmen: was bist du von deiner natur aus? und die beiden verhalten sich insofern von natur aus moralisch, als sie weder vom jeweils andern noch von sich selbst so etwas erwarten. und ich nehme an, dass auch die menschen, bevor es noch einen diskurs gab, solche erwartungen nicht stellten.

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  • michael vogt
    Gepostet um 23:40 Uhr, 19. Januar

    in der buddhanatur ist alles enthalten. sie ist nicht habenorientiert, nicht gierig, nicht neidisch. . . ku (leere) ist die abwesenheit von allem, was sie überdeckt, von allem, was dem aus ihr hervorgehenden mitgefühl entgegensteht. die buddhanatur hat kein kennzeichen von männlich oder weiblich. sie missbraucht weder kinder noch personen im abhängigkeitsverhältnis. andererseit ist das ihr manko. damit ist doch nicht ganz alles in ihr enthalten. das kann zu einer mangelsituation führen, aus der der missbrauch dann doch geschieht. ich nehme an, sie hat in wirklichkeit diese kennzeichen eben doch. manchmal und manchmal nicht. die menschliche existenz kann anhand des begriffs der natur nicht vollständig verstanden werden. aber sie ist ein wahrheitsmoment der erleuchtung, die aus ihrer vereinigung mit dem sie überlagernden tod geschieht. wir sind von natur aus gut oder nicht – je nachdem, ob von unserer ursprünglichen oder von unserer verdorbenen natur die rede ist. gott, liebe, wahrheit, leben – das vollkommene zusammenspiel aller synapsen und neurotransmitter. das leben ereignet sich selbst, braucht keine werte, entlässt aber mitunter solche zu unserer orientierung. wollen wir das ganze, gehören die religionen auch dazu. möglichst vollständig. unsere vielleicht überhumane zeit sollte nicht vergessen, dass im zen-buddhismus schüler durch absichtlich hinzugefügten schmerz, bis zum beinbruch, durch ihren meister erwachten. und sollte es doch gott sein, der uns in versuchung führt, bestünde da eine ähnlichkeit. erfahrungsberichte, die die traumatisierung von kindern durch gewalt der eltern belegen, sind allerdings unbedingt zu beachten. absicht? nicht-absicht? le nez du zen? um uns im ganzen chaos der vieldeutigkeit zurechtzufinden, leistet uns unsere ursprüngliche natur einen sinnvollen dienst.

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  • Thomas Faes
    Gepostet um 07:32 Uhr, 20. Januar

    Natur & Gnade. Zum Gruss den hier röhrenden Hirschen.

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  • Andreas Gerster
    Gepostet um 21:55 Uhr, 21. Januar

    Wie kann der Autor, der die Denkfigur „von Natur aus‘ als billiger Trick abtut, seine eigene Position nur auf dem Argument abstützen, dass wir ‚von Natur aus nicht das sind war wir sind‘? Ich bin ihm ganz einig, dass physikalische Zustände in unserem Hirn nichts aussagen können über wie der Zustand unseres Hirns sein sollte, noch dass eine sich moralische Ordnung von der Schöpfung ablesen lässt – auch in einer nicht gefallenen Schöpfung würde mir nur die Abwesenheit von Mord nichts über die moralische Schlechtigkeit von Mord sagen können. Aber das gleiche kann auch über die Argumentation des Autors gesagt werden. Die Freiheit des menschlichen Willens sagt nichts aus über wie dieser Wille gebraucht werden sollte. Das Fazit des Autors („ethischen Grundlagen da zu suchen, wo wir sie finden und gegebenenfalls auch verändern können: nicht im Himmel und nicht im Gehirn, sondern unter leiblichen Menschen mit Herz und Verstand“) ist schwammig formuliert und könnte vieles bedeuten, klingt aber eigentlich genau wie der moralische Relativismus (vor allem der soziale moralische Relativismus: gut = was die Gesellschaft für gut befindet), mit dem er auch nicht einverstanden ist.

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  • Reinhard Rolla
    Gepostet um 17:29 Uhr, 22. Januar

    Ich sage es so: Das Leben ist weder gut noch böse – es ist einfach „l e b e n d i g“…

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  • Roland Portmann
    Gepostet um 14:56 Uhr, 24. Januar

    Ein anregender Artikel: Aber wird hier das Vermögen des Menschen nicht überhöht? Die scheinbare Selbstbestimmtheit und der freie Wille sind ein Konstrukt- so lehrt es uns die Tiefenpsychologie; wir sind eben nicht die Herren im eigenen Haus. Wäre hier nicht der Ansatz Luthers in „de servo arbitrio“ bedenkenswert?

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